Samstag, 21. Juni 2025

tucho+baram

 

tucho+baram


In bin allmählich zu betagt, um mir immer noch mehr Bücher zuzulegen. Jetzt habe ich aber doch den Band 21 der Gesamtausgabe Texte und Briefe von Kurt Tucholsky gekauft und heute erhalten. Es sind die letzten Briefe, die er geschrieben hat, alle aus 1935.

Vor allem habe ich mich dazu entschlossen, weil mir eine Äußerung von Baram in den Sinn kam. Vor Jahrzehnten auf Formentera haben wir über einen Grafiker diskutiert, der geometrische Formen auf Gemälde brachte. Ich gestand Baram, dass ich damit nichts anfangen könne, und er antwortete: „Why should you? It is not art“. Ich war verwundert, denn der Gemeinte hielt sich für einen sogar besonders begabten Künstler. Und so fragte ich: „How do you know, what is art and what is not?“ Baram antwortete: „If it has no magic, it is not art, Mike.“

Ich habe das nie vergessen, und ein wunderschönes Bild von Baram, der selbst Maler war, hängt seither in meinem jeweiligen Wohnzimmer. Ich sehe es täglich und ja: Es meint mehr als das, was es zeigt. Es ist Kunst.

Womit ich bei Tucholsky bin. Ich halte ihn für einen der größten deutschen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Er hat die Göttergabe, durch seine Sprache mehr zu sagen als das, was wir den content nennen; mehr und anderes, als er inhaltlich mitteilt. Seine Sprache gibt Kunde von etwas, das über den Inhalt geht. It has magic. It is art.

Tucholsky's Sprache birgt ein Geheimnis, ich nenne es einen einzigartigen „Klang“.

Genau das, was Thomas Manns Sprache sogar in den berüchtigten vaterländischen Polemiken hat. Auch bei Jean Améry höre ich diesen Sound mit. Bei Arno Schmidt. Das sind die ganz großen literarischen Lieben meines Lebens. Über all die Jahrzehnte bin ich ihnen treu geblieben. Deshalb stehen so viele Einzelbände von ihnen im Regal. Daß Franz Kafka ein Sonderfall ist, brauche ich wohl nicht zu erwähnen. Die vier genieße ich. Kafka - ? - leide ich mit.

Hannah Arendt hält den großen K. freilich für einen Humoristen. Na, ich weiß nicht, nicht einmal ihr glaube ich alles.

So, jetzt ist aber Schluss mit dem Bücherkauf. Was soll überhaupt aus all den Schätzchen werden, wenn ich dereinst...? Schluss für heute.

Sonntag, 25. Mai 2025

Der überlistete Mitmensch

 


Das Schlimme anderen aufzubürden verstehen“

Aphorismus 149:


Einen Schild gegen das Mißwollen zu haben, ist eine große List der Regierenden. Sie entspringt nicht, wie Mißgünstige meinen, aus Unfähigkeit, vielmehr aus der höheren Absicht, jemanden zu haben, auf den der Tadel des Mißlingens und die Strafe allgemeiner Schmähungen zurückfalle. Alles kann nicht gut ablaufen, noch kann man alle zufriedenstellen; daher habe man, wenn auch auf Kosten seines Stolzes, so einen Sündenbock, so einen Ausbader unglücklicher Unternehmungen.“


Balthasar Gracián, 1647, SJ, Oráculo manual.

Es sind Aphorismen zum Erwerb von Lebensweisheit für Weltleute.

Meine Quelle: Peter Sloterdijk, Was geschah im 20. Jahrhundert? Suhrkamp 2016, „Der überlistete Mitmensch“, S. 339




Donnerstag, 22. Mai 2025

Zu Befehl

 

Krieg mit drei Großmächten - 28. Juni bis 4. August 1914

An diesem oder am vorausgehenden Tag, dem 3. Juni, fiel die in seiner ganzen Regierungszeit folgenschwerste Entscheidung Wilhrelms II.: er tadelte den deutschen Botschafter in Wien, v. Tschirschky, für dessen zurückhaltende, ja abwiegelnde Haltung in der Frage einer Strafaktion Österreich-Ungarns gegen Serbien: "Wer hat ihn dazu ermächtigt? Er soll den Unsinn gefälligst lassen! Jetzt oder nie! Mit den Serben muss aufgeräumt werden und zwar bald." Diese kaiserliche Willensäußerung wurde im Auswärtigen Amnt als Befehl verstanden und sofort an Tschischky nach Wien weitergegeben."

Fritz Fischer, Hitler war kein Betriebsunfall, Beck'sche Reihe 1992,

S. 95


Dienstag, 20. Mai 2025

Ortega y Gasset

 

Vom Baum der Recherchen gepflückt.


Ortega Y Gasset 1933:

Man vergesse nicht, dass der entscheidende Faktor in der Geschichte eines Volkes der Durchschnittsmensch ist. Von seiner Beschaffenheit hängt die Konstitution des Volkskörpers ab... Darum hängt alles davon ab, dass das mittlere Niveau so hoch wie möglich ist... und es kann geschehen, dass ein Volk geniale Einzelne besitzt, ohne dass darum der historische Wert der Nation größer würde. Das tritt immer ein, wenn die Masse sich diesen Vorbildern nicht fügt, ihnen nicht folgt und sich nicht vervollkommnet.


Ortega Y Gasset 1957:

Ich misstraue der Liebe eines Menschen zur eigenen Fahne oder zu seinem Freund, wenn ich bei ihm nicht das Bestreben sehe, seinen Feind oder dessen Fahne zu verstehen. Und ich habe beobachtet, dass es...leichter fällt, uns für irgendein Moraldogma zu erwärmen, als unsere Herzen den Geboten der Wahrhaftigkeit zu erschließen.


ÜBER DIE LIEBE, MEDITATIONEN ÜBER DON QUIJOTE

Mittwoch, 14. Mai 2025

Newark New York

 

Katastrophale Zustände – wo??


An großem US-Flugplatz Newark

Seit Jahrzehnten keine Updates, Kontrollen ausgefallen

Zuvor der Vorfall am Reagan Airport. Washington. Und in Heathrow, London. Wo an Infrastruktur gespart wird, muss die unruhig werdende Bevölkerung durch Geldgeschenke beruhigt und durch Kriege geeint werden, beides schuldenfinanziert. Diesen Zustand hat Trump geerbt und will nun versuchen, das Wirtschaftssystem zu verändern.

Was er einführt, erinnert an Merkantilismus. Mit diesem System haben Frankreichs Könige dem Bürgertum aufhelfen können. Die Staatskassen Versailles waren durch kostspielige Hofhaltung (für den Adel, den Klerus, die Feldherren) geleert. Die Parallelen zu den USA scheinen mir offensichtlich zu sein. Schuldenfinanzierte Kriege, immer neue Stellen für Bürokraten, Geldgeschenke ans unruhig werdende Wahlvolk. Niemandem fällt das auf.

Außer den amerikanischen Wählern. Die haben sich für Merkantilismus entschieden. Unsere Medien triefen vor Hohn. Sie fanden die Washingtoner Hofhaltung bis zu Trump vorbildlich und werden nicht müde, sie zu preisen. Neulich sehe ich eine Fotografie von Obama und seiner Frau und die Aufforderung, fleißig zu teilen. Er hat Krieg in 7 Staaten geführt. Wir lieben ihn noch immer.


Michael Molsner

Freitag, 9. Mai 2025

Frohe Botschaft aus Rom

 

Zum Papst Leo XIV. habe ich eine besondere Beziehung. Das darf ich sagen, ohne zu übertreiben. Hannah Arendt hat ihre Doktorarbeit über den Liebesbegriff bei St. Augustinus geschrieben. Sie betont,wie ich hier schon berichtet habe, dass die Theologie des Kirchenvaters ein Bekenntnis zum Wunder menschlicher Geburt darstellt. Mit jedem Neugeborenen sei die Möglichkeit gegeben, aus einer angeblich zwangsläufigen Reihenfolge auszusteigen und neu zu beginnen. Sie bezeichnet das Weihnachtsfest als das bedeutendste des christlichen Kulturkreises. Für gläubige Christen ist es das Osterfest – nach Johannes 16: „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ (Luther). Doch Hannah spricht nicht nur zu Christen. Interessant fand ich immer, daß man es christlich auffassen kann oder philosophisch: Wahr bleibt, dass ein junger Wanderprediger in Sandalen, der von milden Gaben lebte und nächtigte, wo man ihn aufnahm, zweitausend Jahre unserer Kultur geprägt hat. Und wahr ist, dass der neue Papst Wanderprediger war und nicht von vergangener Schuld sprach, sondern Frohe Botschaft brachte: Lasst uns in Frieden und Liebe die gemeinsame Zukunft beginnen.

Er war Augustinermönch.


Michael Molsner

Samstag, 3. Mai 2025

Unser Stolz

 

Ich habe eine Frage, sie ist ernst gemeint. Nachdem wir zwei Weltkriege geführt und verloren haben, wüsste ich gern, ob von den vielen weltweiten Kriegen, an denen wir uns beteiligt haben, irgendeiner gewonnen wurde. Gewonnen würde bedeuten: wunschgemäßes Resultat erzielt. Mir scheint nämlich, alle gingen verloren. Verloren würde bedeuten: wunschgemäßes Resultat verfehlt.
Nun bin ich kein Speicher für historische Daten. Kann mich irren. Falls ich aber richtig liege, hätten wir vor 150 Jahren zum letzten Mal Kriege gewonnen - unter Bismarcks politischer Aufsicht. Ausgerechnet sein Porträt hat Annalena Bärbock, seine Nachfolgerin, aus dem Büro des Auswärtigen Amtes entfernen lassen.
Und das führt mich zu einer weiteren, einer Zusatz-Frage. In einem Brief vom 19. März 1960 schreibt Hermann Hesse, weshalb er Deutschland 1910 verlassen habe, "um nie mehr dorthin zurückzukehren. Es ist die politische Unfähigkeit und Unzuverlässigkeit des Volkes... Das deutsche Volk, trotz seiner vielen guten Begabungen, eignet sich wie kaum ein anderes zur Diktatur... ist ihr stets offengestanden."
Zum Trost fügt er hinzu: "Deutschland ist ein kleiner Teil der Welt und seine Bedeutung für die Welt ist heute sehr viel kleiner als je seit 1870."
Aus Hermann Hesse, Ausgewählte Briefe, Erweiterte Auflage, Suhrkamp Taschenbuch 211
Kann es denn sein - es klingt widersinnig- dass wir stolz darauf sind, nur solche Kriege zu führen oder mitzuführen, die absehbar verloren gehen werden - ??

Dienstag, 29. April 2025

Kriegsverschleppung?

 Eine verschleppte Kriegserklärung muten Regierungen ihren Bevölkerungen immer dann zu, wenn eine offene Kriegserklärung unpopulär wäre. Wir Deutschen haben zwei Regierungen in Erinnerung, die offiziell versicherten, sie wünschten keineswegs einen Krieg zu beginnen. Doch sowohl der Kaiser wie Hitler bereiteten Expansionskriege gegen Russland vor. Das wurde von etwa 1900 an von Churchill und von 1935 an von Stalin klar erkannt und mit Verteidigungsmaßnahmen beantwortet. Ein Wettrüsten setzte ein. Auch wir erleben ein Wettrüsten. Im Fernsehen hörte ich soeben Friedrich Merz sagen: Wir seien nicht im Krieg und wollten auch keine Kriegspartei werden. Dann sinngemäß, wie ich es verstand: Wir stehen ohne Wenn und Aber zur Ukraine. Das bedeutet ja wohl, wir bezahlen ihre Soldaten und deren Ausrüstung, ihre Bürokratie zur Gänze, und versorgen gleichzeitg eineinhalb Millionen Ukrainer in unserem eigenen Land sehr viel großzügier, als sie es zuhause erwarten konnten. Waffen haben wir geliefert oder liefern sie noch. Von uns Wahlberechtigten wird erwartet, dass wir es gutheißen. Tun wir das? Gegenstimmen werden an Brandmauern geführt und mit Verbotsanträgen täglich eingeschüchtert. Ist das so? Übertreibe ich die Gefahr? Ich erwarte eine offene Kriegserklärung, wie sie innerhalb der abgewählten Regierung bereits geäußert war, nun auch von kommenden Akteuren.Wir gehen auf eine "heroische Festivität" zu. Auf ein Neues!

Donnerstag, 17. April 2025

Rechte & Pflichten

 

Unter meinen Notizen gefunden, was US-Präsident Franklin D. Roosevelt Ende Dezember 1942-Anfang Januar 1943 bezüglich der Deutschen sagte: "Wir müssen den Brüdern eine Abreibung verpassen, die sie in Generationen nicht vergessen." Die Deutschen haben es anscheinend auch nicht vergessen, denn eine Mehrheit der Befragten ist nach zuvertlässigen Umfragen dagegen, einen neuen Krieg um der alten geostrategischen Ziele willen zu führen. Einen Weltkrieg auszulösen, wie schon zweimal, ist ebenfalls anscheinend nicht der Wunsch unserer Wahlberechtigten. Was aber geschieht, wenn Friedensversprechungen derer, die man gewählt hat, nicht eingehalten, sondern durch Kriegsversprechen ersetzt werden? Was haben wir daraus zu folgern? Dass es unseren Entscheidungsträgernganz gleichgültig ist, wofür wir stimmen? Handeln sie nach dem Motto des Songs: I don't care what you say, I will do it anyway? Sollen wir nun bei Wahlen abstimmen oder ist es ganz gleich, ob wir und wie wir es tun? Verantwortung tragen für Un-Taten, auf die wir keinen Einflluss haben, müssen wir wohl nicht.
Allerdings gehöre ich zu den Nerds, die noch an Bürgerpflichten und auch Bürgerrechte glauben. Nu -

Dienstag, 15. April 2025

Entdeckung bei Hofmannsthal

Er stand mir bisher nicht nahe. Nun entdecke ich eine verblüffende Gemeinsamkeit zwischen poor little me und dem österreichischen Klassiker. Auf S. 202 des Fischer Taschenbuchs 25 (Das gute Buch für jedermann) findet man die Stelle. Wir hätten im Deutschen eine sehr hohe dichterische Sprache und ausdrucksstarke Volksdialekte. "Woran es uns mangelt, das ist die mittlere Sprache, nicht zu hoch, nicht zu niedrig, in der sich die Geselligkeit der Volksglieder untereinander auswirkt."
In einem Essay (Leiden mit Sinatra, Hoffen mit Garland), mein Buch BEGEGNUNGEN von 2015, beklage ich genau das, fast genau hundert Jahre nach Hugo von.
Das scheint mir zu bedeuten, dass sich nach den furchtbaren Lehren, die uns zwei verlorene Weltkriege hätten beibringen können, nichts geändert hat. Noch immer haben wir Deutschsprachigen keine Möglichkeit geschaffen, uns über lebenswichtige, auch todbringende, Themen offen miteinander zu verständigen.
Wir können es nicht. Krieg wird gefordert, ohne dass die aus Erfahrung bekannten Folgen diskutabel sind. Und so geht es mit fast allen Begriffen, die in sich einen Widerspruch bergen. Wir kennen nur noch Eindeutigkeit.
Sogar Menschen werden wie Begriffe behandelt, wir verwandeln sie in Abstraktionen. Hitler ist kein Mensch, er ist DAS BÖSE. Da dieses Böse nicht verschwindet, ist Hitler nicht tot, er verkörpert sich immer wieder. Er kann sich in einem CSU-Politiker verkörpern, in Alice Weidel, in Donald Trump. Marine LePen, Elon Musk, und wie heißt nochmal der US-Außenminister? Auch er steht für DAS BÖSE. Ich könnte dafür einstehen müssen, wäre ich wichtig genug.
Mein Gefühl ist, falls auch ich hier mal über meine Gefühle reden darf, dass ich in einer Menschenwelt lebe, wo viele Einzelne nie zu produktiver Anarchie gefunden haben - nur zu deren detruktiver Variante: Sie führt ins Chaos.
Aber es fällt niemandem auf. Und wer liest noch Hofmannsthal oder Molsner? Ich muss selbst lachen über diese eigenartige Zusammenstellung.

Montag, 17. März 2025

Kollege Paulus

 

Kollege Paulus

Angst, Schuld, Nicht-weiter-wissen, Liebe, Religion

All das kam Ende des Jahres 1924 in der kleinen Universitätsstadt Marburg  zusammen, als die Studentin Hannah Arendt sich beim Philosophieprofessor Martin Heidegger vorstellt. Sie ist 1906 geboren und knappe 19, als der 36jähtige sie zu einem ausführlichen Gespräch empfängt. Beider Reaktion auf dieses Treffen ist von einer Vehemenz, die sie nicht erwartet hatten. Heidegger schreibt ihr: Das Dämonische hat mich getroffen. Das ist ein Zitat. Daimon nennt Goethe das Gesetz, wonach du angetreten. So mußt du sein, dir kannst du nicht entfliehen...

Hannah erlebt es ebenso. Liebe, Leidenschaft, heimliche Treffen. Ich hätte mein Recht zu leben verloren, wenn ich meine Liebe zu dir verlieren würde. Schwärmerei? Ist sie allzu jung, um sich zu „erden“?

Ist sie nicht. Sie verlässt Marburg ausschließlich deinetwegen, um in Heidelberg weiter  zu studieren. Der mit Heidegger befreundete Philosoph Karl Jaspers promoviert sie. Die Doktorarbeit behandelt den philosophischen Liebesbegriff bei Augustinus. Jaspers gibt ihr die schlechtestmögliche Beurteilung, weil er ahnt, sie verarbeitet eine persönliche Erfahrung und weniger die Theologie des Kirchenvaters.

Jaspers täuscht sich nicht. Hannah will sich von  Heidegger lösen und heiratet. Es hilft nicht, sie trifft ihn, wann immer es möglich ist, und schreibt ihm, dass jedesmal, wenn sie ihn sieht, die Kontinuität meines Lebens wieder entzündet wird, die Kontinuität unserer – lass mich bitte sagen – Liebe.

Bei Augustinus sucht sie die theologische Basis für einen Neuanfang. Der Mensch werde geboren,  findet sie beim Kirchenvater, damit ein Anfang sei. Der Kirchenvater stützt sich auf Paulus, der als Saulus von Tarsus mit einem Trupp Soldaten durch die Wüste nach Damaskus zog, um Reste der   Terroristen auszulöschen, die unter dem Namen Christen bekannt waren. In einer Vision erschien ihm der Gekreuzigte und beauftragte ihn, unter dem Namen Paulus allen Menschen, auch Heiden, die Frohe Botschaft zu predigen.

Paulus zog um das Mittelmeer, gründete christliche Gemeinden und schrieb die berühmten Briefe (Episteln), die Bestandteil der christlichen Heiligen Schrift sind. Lebt nicht wie Menschen, die ohne Hoffnung sind. Das kostbarste Blut ist für euch geflossen. Man bat ihn, die Botschaft Jesu kurz und bündig zu übermitteln. Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete, / hätte aber die Liebe nicht, / wäre ich dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke. Und wenn ich prophetisch reden könnte / und alle Geheimnisse wüsste / und alle Erkenntnis hätte; / wenn ich alle Glaubenskraft besäße / und Berge damit versetzen könnte, / hätte aber die Liebe nicht, / wäre ich nichts. Und wenn ich meine ganze Habe verschenkte / und wenn ich meinen Leib opferte, um mich zu rühmen, / hätte aber die Liebe nicht, / nützte es mir nichts. Die Liebe ist langmütig, / die Liebe ist gütig. / Sie ereifert sich nicht, / sie prahlt nicht, / sie bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig, / sucht nicht ihren Vorteil, / lässt sich nicht zum Zorn reizen, / trägt das Böse nicht nach. Sie freut sich nicht über das Unrecht, / sondern freut sich an der Wahrheit. Sie erträgt alles, / glaubt alles, / hofft alles, / hält allem stand. Die Liebe hört niemals auf. /Prophetisches Reden hat ein Ende, / Zungenrede verstummt, / Erkenntnis vergeht. Denn Stückwerk ist unser Erkennen, / Stückwerk unser prophetisches Reden; wenn aber das Vollendete kommt, / vergeht alles Stückwerk. Als ich ein Kind war, / redete ich wie ein Kind, / dachte wie ein Kind / und urteilte wie ein Kind. Als ich ein Mann wurde, / legte ich ab, was Kind an mir war. Jetzt schauen wir in einen Spiegel / und sehen nur rätselhafte Umrisse, / dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt ist mein Erkennen Stückwerk, / dann aber werde ich durch und durch erkennen, / so wie ich auch durch und durch erkannt worden bin. Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; / doch am größten unter ihnen ist die Liebe.

Hannah Arendt und ihr zweiter Ehemann Heinrich Blücher mussten aus dem Machtbereich Deutschlands fliehen. Sie war Jüdin, er Kommunist trotzkistischer Richtung.  Heidegger erhoffte sich von den Nazis ein Ende bestimmter Erscheinungen der Emanzipation. Aus der populären Kultur ist der Schlager überliefert: „Du bist verrückt, mein Kind, Du musst nach Berlin. Da wo die Verrückten sind, da gehörst du hin.“ Berlin war Sinnbild dessen, was in süddeutscher Provinz, wo Heidegger als Universitätsrektor amtete, unmöglich war. Das Ehepaar Arendt/Blücher lebte sich in New York ein. 1950 bereist Hannah Europa im Auftrag einer jüdischen Organisation, um Überbleibsel jüdischen Lebens und jüdischer Kultur zu registrieren und zu sichern.

Heidegger ist jetzt kein angesehener Professor mehr, die Parteinahme für die Nazis wird ihm, als einem König des Denkens, besonders übelgenommen.

Hanna weiß nicht, ob sie ihn wiedersehen will. Durch ein Zusammentreffen im Hotel kommt es zustande. Er bittet sie in seine Wohnung, seine Frau Elfriede werde dabei sein; doch Elfriede ist nicht da, er ist mit Hannah allein. Sie schreibt ihm am Tag danach: Dieser Abend und dieser Morgen sind die Bestätigung eines ganzen Lebens…, als stünde plötzlich die Zeit stille. Da kam mir blitzartig zu Bewusstsein, was ich vorher nicht mir und nicht Dir und keinem zugestanden hätte, dass mich der Zwang des Impulses… gnädig bewahrt hat, die einzig wirklich unverzeihliche Untreue zu begehen und mein Leben zu verwirken. Aber eines sollst du wissen…, hätte ich es getan, so nur aus Stolz, dh aus purer reiner verrückten Dummheit. Nicht aus Gründen.

Sie ist jetzt eine erfolgreiche verheiratete Frau. Meisterschülerin des bedeutendsten Philosophen des zwanzigsten Jahrhunderts, wie sie ihn nannte. Sein Werk hat sie bis zu ihrem Tod betreut und verbreitet. Er sei nicht auf ein System aus gewesen, die Welt zu erklären. Heidegger ging aus von jedes Menschen Erfahrung, dass Lebewesen sterben müssen. Daraus entwickelte er Wege des Denkens, um mit der Tatsache auch eigener Endlichkeit fertig zu werden. Hannah Arendt vertrat auf der Basis ihrer theologischen Studien die Auffassung, es reiche nicht, als Individuum tapfer zu sein. Man müsse die Öffnung weltlicher Räume ermöglichen, in dem die tapferen Einzelnen miteinander sprechen, und Lösungen für Probleme suchen.

Dass mit jeder Geburt ein Neuanfang gesetzt sei, der gänzlich unerwartete Lösungen bringe, hat sie nie bezweifelt. Jesus von Nazareth habe die abendländische Ethik durch den Begriff der Vergebung bereichert. Und wer war Jesus? Ein Wanderprediger in Sandalen. Jeder Mensch könne neu anfangen, immer.

Da war nun wieder die Heidegger’sche Aufforderung: Wähle dich selbst und lebe nicht das Leben anderer. Als Hannah im März 1962 ein Schädeltrauma erlitt, fragte sie sich, ob sie noch als sie selbst weiterleben werde. Sie überprüfte ihr Gedächtnis auf Daten. Die Telefonnummer ihres Mannes. Die Geburtsdaten Martin Heideggers. Beruhigt stellte sie fest. Alles noch da.

Einem Brief, den er ihr schrieb, legte er ein Gedicht von Rilke bei. Sternenfall. Was ist verschuldet und was ist verziehn.

                         

Samstag, 8. März 2025

Das letzte Kapitel

Sprachschatz. Robert Gilbert wurde im letzten Jahr des Ersten Weltkrieges 1918 Soldat und kam in Kontakt zu den Kommunisten im Spartakusbund, der sich an Rosa Luxemburgs Thesen orientierte. Das war die Basis seiner lebenslangen Freundschaft mit Heinrich Blücher, der sich zum Kommunismus trotzkistischer Richtung bekannte. Es war eine Freundschaft zwischen Ungleichen. Robert Gilberts Eltern waren jüdische Deutsche, der Vater bereits wohlhabend als Operettenkomponist und Verfasser populärer Schlager: Puppchen, du bist mein Augenstern wurde noch bis in letzte Jahrhundert gesungen. Sohn Robert ist dann in der Zwischenkriegszeit regelrecht reich geworden durch Mitarbeit an Filmen und Verfasser von Schlagern, die jeder sang. Es war eine goldene Zeit für ihn. Er war jedoch genügend weit „links“ geblieben, um die Zerbrechlichkeit des schuldenfinanzierten Booms zu durchschauen. Das gibt's nur einmal. Das kommt nicht wieder, Das ist zu schön um wahr zu sein. So wie ein Wunder fällt auf uns nieder Vom Paradies ein gold'ner Schein. Das gibt's nur einmal, Das kommt nicht wieder, Das ist vielleicht nur Träumerei. Das kann das Leben nur einmal geben, Vielleicht ist's morgen schon vorbei. Das kann das Leben nur einmal geben, Denn jeder Frühling hat nur einen Mai. Für seinen kommunistischen Freund war ohnehin klar, wie es enden könnte. Heinrich Blücher, von 1936 an zweiter Ehemann von Hannah Arendt, wird den Freund in dessen Zweifeln bestärkt haben. Robert schrieb und komponierte: Keenen Sechser in der Tasche, bloß 'nen Stempelschein. Durch die Löcher der Kledasche kiekt die Sonne rein. … Stellste dir zum Stempeln an, wird det Elend nich' behoben - wer hat dir, du armer Mann, abjebaut so hoch da droben? Unter den Gassenhauern von damals sind viele, die beinahe Umgangssprache wurden: Die Liebe der Matrosen; Es muß was Wunderbares sein, von dir geliebt zu werden (zitiert nach Hannah Arendt, Menschen in finsteren Zeiten, Piper Verlag, Taschenbuchausgabe, Mai 2012) Entweder Text oder musikalische Einlagen steuerte Robert Gilbert bei zu: Am Sonntag will mein Süßer mit mir segeln geh'n; Irgendwo auf der Welt (Text von RG), Musik Werner Heymann; Was kann der Sigismund dafür (komponiert von RG; Im Salzkmmergut,da kamma gut lustig sein; Die ganz Welt ist himmelblau (Musik Robert Stolz); Ein Freund,ein guter Freund; Liebling mein Herz läßt dich grüßen... Zitiert nach Wikipedia Die deutsche Sprache hat RG mitgenommen, als er emigrieren musste. Sie war der nicht zollpflichtige Teil seines Reichtums. Lebwohl, Berlin.- Es muß geschieden sein.../ So grüßt mich meine alte Bleibe noch Zum Städtele hinaus Hab keinen Dunst, wie lang es dauern wird, und was vom Elbstrom bis zum Rhein Aus deinen Arbeitern und Bauern wird, lieb Vaterland. Und kann nicht ruhig sein. Zollrevision. Devisen. Paßkontrolle. Ach, man läßt mich durch. Es ist gelungen. Da murmelt noch der letzte deutsche Bach: Es ist ein Ros' entsprungen. Zitiert nach Robert Gilbert, Durch Berlin fließt immer noch die Spree, Blanvalet 1971 Neben dem deutschen beherrschte er auch den englischen Sprachschatz. Die deutschen Dialoge des Films My Fair Lady mit Rex Harrison und Audrey Hepburn hat er getextet. Ich finde sie besser als das englischsprachige Original. Besonders die Schlußszene hat mich tief beeindruckt. Der Sprachwissenschaftler Professor Henry Higgins zieht sich in sein Labor zurück, wo er Dialekte auf Walzen zu übertragen pflegt, um sie abzuhören und sie nach Lautbildungen analysieren zu können. Dieses Labor ist das Zentrum seines vernunftgeleiteten Lebens. Vereinsamt und tief unglücklich sitzt er da. Er hat nichts falsch und alles richtig gemacht, wie Logik und Wissenschaft es forderten. Aber seine Meisterschülerin Eliza Doolittle kann er nicht vergessen. Er hat es versucht. Er kann nicht: Ich bin gewöhnt an ihr Gesicht... Erfüllt von einem Gefühl, unfaßbar wie das Licht, aber doch eben notwendig, weiß er nicht weiter. Was tun, was?! Ich habe in dieser Szene, wie Professor Higgins in seinen Sprachanalysen, mehrere Aspekte entdeckt. Vernunft als Rationalität allein ist nicht genug. Einfühlen jedoch kann er sich nicht. Es geht dabei keineswegs, meine ich, um Einfühlung in das Innenleben von Eliza. Er kann sich in sich selbst nicht einfühlen! Das ist das Problem. Er müsste nun eingestehen, wie er zu seiner Meisterschülerin steht. Ausgeschlossen. Nun legt er also die Walze in den Lautsprecher ein, wo er Elizas ersten Besuch festgehalten hat. Er hört sie sagen, dass sie Sprachunterricht bei ihm nehmen und bezahlen will, um in einem Blumenladen arbeiten zu können und nicht auf der Straße mit Blumen rumrennen muss wie bisher. Und er hört den damaligen Hausgast Pickering darauf wetten, daß Higgins es nicht schafft, Eliza soweit zu bringen. Und er hört, dass er die Wette annimmt. Er hat gegen sich selbst gewettet – und verloren. Vernunft ohne Empathie mit sich selbst ist tödlich. Im Film allerdings dürfen wir uns über die Erlösung des Vernunftmenschen aus seinem selbstgebauten Gefängnis freuen. Während er Elizas Stimme lauscht, wird die Walze angehalten. Eine schöne, in elegantem Weiß gekleidete Dame sehen wir die Szene betreten. Und Eliza – sie ist es – sagt: Ick ha' ma ooch Jesicht un' Hände jewaschen, bevor ick jekomm' bin. Robert Gilbert hat die Aufgabe gelöst, den mit acht Oscars ausgezeichneten Film für das deutschsprachige Publikum anschaubar zu machen. Er hat dafür die Sprache gewählt, die ihm als Berliner am vertrautesten war. Berliner waren es, die nach dem Krieg als erste zurückgekehrt sind. Friedrich Hollaender textete: In den Ruinen von Berlin Fangen die Blumen wieder an zu blüh'n Und in der Nacht spürst du von allen Seiten Einen Duft, als wie aus alten Zeiten! Der Wahl-Berliner Billy Wilder drehte den Film, in dem Hollaender selbst am Klavier sitzt und die Sängerin Marlene Dietrich begleitet, die Berlinerin, die heimgekommen ist. Inmitten von den Ruinen, die deutscher Größenwahn hinterlassen hat, zeigen sie mit einer Nachsicht, die kaum zu fassen ist, dass sie die Stadt und ihre Bewohner nicht aufgegeben haben – im Gegenteil. Es ist eine Wette auf unsere Zukunft. Wer hat die Wette gewonnen, wer verloren? Wir sind aufgefordert, wieder zu hassen. Nicht – wie damals – Anne Frank und Etty Hillesum. Nach ihnen sind Straßen und Schulen benannt. Wir hassen jetzt andere, diese aber gründlich und mit Vernichtungswillen. Erfreut zählen wir die Toten, die unsere Waffen dort hinterlassen haben. Und rechnen die künftig noch zu erwartenden Leichenzahlen siegesfroh aus. Wir rüsten eigens auf, um die Grenzen der Ukraine zu schützen. Niemand spricht mit vergleichbarer Zustimmung davon, dass die USA ihre Grenzen schützen wollen. Dass Russland seine Grenzen gern geschützt sähe, scheint noch weniger begreiflich zu sein. Dass China die Einheit des Mutterlandes verteidigt, wird uns als offene Kriegsdrohung im Pazifik geschildert. Wir entsenden Kriegsgerät in diesen Raum. Dass Nordkorea einen Heldenkampf um seine Souveränität nicht vergisst, versteht buchstäblich überhaupt gar niemand. Ob wir die Wette auf unsere Zukunft noch einmal verlieren? Es könnte das letzte Mal sein, bevor es heißt: Les Jeux Sont Faits. In dem gleichlautenden französischen Film kann dann nicht mehr gesetzt werden. Es gibt keine Chips mehr.

Samstag, 22. Februar 2025

Vortag unserer Wahlen

Tausend Milliarden Falls die Wahl so ausgeht, dass ein Kredit (Sondervermögen) von 1 Billion politisch durchgesetzt werden kann – und zugleich der Wiederaufbau der Ukraine von westeuropäischen Konzernen geleistet wird, ist für letztere ein Riesengeschäft zu machen. Die Kosten für den Kredit werden erst für die nächste und übernächste Generation fällig. Sie sind also nicht unser Problem. Noch interessanter ist die Überlegung, dass Trump nur eine Amtszeit hat. Sein Nachfolger könnte einer Kontrolle Russlands geneigter sein. Es geht also nicht nur darum, dass wir unseren zweiten Krieg gegen Russland gewinnen. Wir bereiten uns durch Hochrüstung auf einen möglichen dritten deutschen Krieg gegen Russland vor. Das unbekannte X in der Rechnung sind diejenigen US-Eliten, die nicht noch einmal Gut und Blut zugunsten deutscher Expansion opfern wollen. Sie lehnen das Risiko eines Weltkrieges ab. Das eben verbindet Trump und Putin. Unterstützt wird diese Einschätzung von Peking, das zwar – wie die beiden anderen riesigen Flächenstaaten – einen Weltkrieg überstehen könnte, jedoch Frieden für seine Entwicklung bevorzugt. Michael Molsner, 22. Februar 2025 Vormittag vor der Bundestagswahl

Sonntag, 16. Februar 2025

Vergleich von Kampfzielen

Entmündigt. 1813 forderte Ernst Moritz Arndt ein, was Napoleon den Deutschen versprochen, was Goethe für möglich gehalten hatte – den Zustand innerer und äußerer Entmündigung zu beenden. Die staatliche Einheit Deutschlands war herzustellen. Das Recht dazu hatten wir: Was ist des Deutschen Vaterland?/ So nenne mir das große Land!/ So weit die deutsche Zunge klingt/ Und Gott im Himmel Lieder singt,/ Das soll es sein!/ Das, wackrer Deutscher, nenne dein! Alle erklärten sich einverstanden. Achim von Arnim: Kein sel'ger Tod ist in der Welt,/Als wer vom Feind erschlagen...Zu Clemens Brentano, dem Wander- und Dichterbruder, brach die Beziehung ab. Im Volk kursierten Lieder, deren Verfasser unbekannt blieben: Wohlauf ihr Brüder, die Zeit ist da/ Die Zeit, sich als Mann zu bewähren,/ die Kette klirrt, die Knechtschaft ist nah,/ Laßt mutig uns gegen sie wehren;/ Wenn Vaterland, Freiheit man entbehrt,/ Bleibt diesem Leben ja doch kein Wert. Es war die Massenmobilisierung der Entmündigten. Entmündigung ist das Schlimmste, was man einem Menschen, einem Staat androhen kann. Als eine liebe frühere Freundin schrieb, es gebe keinen Frieden, solange der Irre in Moskau am Rad dreht, bin ich fürchterlich erschrocken. Aus dem Umkreis dieser Freundin wurde dann eine Entmündigung Gerhard Schröders gefordert, nämlich der Entzug der Bürgerrechte. Er hatte an seiner Freundschaft zu dem Irren in Moskau festgehalten. Wer Irre nicht einsperrt, gefährdet alle – durch die Messerattacke von Magdeburg ist das sogar tagesaktuell. Bekanntlich wurde sie von einem Mann begangen, der psychiatrischer Beobachtung, wenn nicht Betreuung, bedurft hätte. Die politische Dimension wird deutlich, wenn wir Theodor Körners Lieder ernst nehmen: Durch, Brüder, durch! Dies werde/ Das Wort in Kampf und Schmerz,/ Gemeines will zur Erde,/ Edles will himmelwärts!!... Durch! Dort ist's Vaterland! Es ist kein Krieg, von dem die Kronen wissen;/ Es ist ein Kreuzzug, 's ist ein heil'ger Krieg!! In dem herrlichen Stück Prinz Friedrich von Homburg sagt die Geliebte des zum zum Tod verurteilten Prinzen: Das Kriegsgesetz, das weiß ich wohl, soll herrschen,/ Jedoch die lieblichen Gefühle auch.Die Franzosen haben sich nach dem Zweiten Weltkrieg mit diesem Widerspruch beschäftigt, sie haben das deutsche Stück auf ihre Bühnen gebracht und die Titelrolle ihrem damals bedeutendsten jungen Schauspieler anvertraut: Gérard Philippe. Das tut man, wenn man sich der Realität zu stellen wagt: Dass man gerade von einer deutschen Invasionsarmee überwältigt wurde und sich nicht selbst befreien konnte, sondern fremde Hilfe brauchte. War unsere große Stunde da, als England uns den Krieg erklärt hat? Galt es jetzt? Ging es um unsere letzte Chance, die staatliche Einheit zu sichern? Viele dachten so. Sie sangen die Lieder Körners: Und schlägt unser Stündlein im Schlachtenrot, / Willkommen dann, sel'ger Soldatentod!/ Du verkriechst dich in seidene Decken,/ Winselnd vor der Vernichtung Schrecken./ Stirbst als ein ehrlos erbärmlicher Wicht!/ Ein deutsches Mädchen küßt dich nicht,/ ein deutsches Lied besingt dich nicht,/Und deutsche Becher klingen dir nicht... Unsere Lage hat sich nicht geändert. Nach der rauschhaften Einheitsfeier durch frühe Siege fand der Zweite Weltkrieg uns abermals geteilt. Wieder stehen wir vor der Tatsache, die Hitler gegenüber den militärischen und wirtschaftlichen Eliten klar umrissen hat. Deutschland ist zu klein, um sich gegen einen Überfall zu verteidigen. Als Landmacht braucht es ausreichend Raum, um zu manövrieren. Dieser ersetzt aber nicht die Knappheit an Ressourcen. Es reicht daher nicht, die benachbarten europäischen Staaten einzubinden. Russland benötigen wir sowohl als strategischen Raum wie als Quelle von Ressourcen. Und als Zugang zu den Weltmeeren! Die Ostsee, Danzig! Die Krim, Sewastopol! Alles unverzichtbar, nur – mit friedlichen Mitteln nicht zu bekommen. Das Recht, Russland zu überfallen, liege in der Geisteskrankheit seines Anführers und der ihn umgebenden Clique, erfahren wir. Geisteskranke – wie schon erwähnt – sind zu entmündigen. Bekanntlich ging Hitler sogar noch weiter, er bestimmte die politischen Interessen nicht nur so, wie wir sie täglich erfahren, er sprach von den Russen als Tieren. Das tut bei uns noch nicht jeder. Nun stehen Tiere ja unter Schutz. Sie können Freunde sein, Hund, Pferd und Katze etwa, oder Nutztiere, dann kann man sie essen. Sobald wir aber Menschen, russische oder andere, zu Tieren erklären, landen wir bei der Tatsache, dass wir sie zu Freunden weder haben noch sie essen wollen, sie daher zu vernichten sind. Eine andere Option hat sich bisher nicht gezeigt. Wir sind eisern entschlossen, den aktuellen heiligen Krieg als Verteidigungskrieg zu bezeichnen und bis zu Ende durch!zuhalten. Die Kosten vererben wir den folgenden Generationen. Sie seien nicht unser Problem. Zumal wir nach der Ausweitung unserer Macht bis wenigstens zum Ural über vielerlei Sachwerte verfügen sollten. Hitler entschloss sich, die Probleme seines Dritten, des dritten deutschen, Reiches, nachhaltig zu lösen. Er überfiel Polen. Der britische Premier Chamberlain musste zurücktreten. Aus dem Hintergrund plädierte er für Friedensverhandlungen mit Hitler. Der Außenminister in Churchills Kriegskabinett war unbedingt dafür; man könne an gemeinsame Interessen anknüpfen. Dieser Standpunkt erschien realistisch. Hitler beherrschte damals bereits große Teile Europas und stand mit weit überlegener Macht vor der Kanalküste. Der britische König fragte seinen Premier Churchill, was er zu dem Angebot meine. Churchill antwortete: Nationen, die kämpfend unterliegen, erheben sich wieder. Nationen, die sich unterwerfen, gehen unter. Vor dem Unterhaus hielt Churchill dann seine große Rede: We shall never surrender! Wir werden uns nie ergeben. Und wenn der letzte Kämpfer bei der Verteidigung gegen die deutschen Landungstruppen am eigenen Blut erstickt ist, gehen wir nach Norden und kämpfen weiter. Es ist eine der berühmtesten Reden der Neuzeit. Sie hallte weithin. Auch bis Berlin. Hitler hat sie beantwortet mit dem Versprechen, die Konsolidierung deutscher Landmacht bis zum Ural durch einen Sieg über England zu sichern. Auch wir Heutigen versprechen Russland die sichere Niederlage und die Konsolidierung unserer Landmacht bis zum Ural. Es ist nicht dieselbe Politik, darauf bestehen wir mit größter Vehemenz. Wir seien Vorkämpfer von rechtsstaatlicher Demokratie, überall in der Welt erwarte man uns sehnsüchtig. Beinahe überall gibt es Unterdrückte, in Afrika mit seinen enormen menschlichen und materiellen Ressourcen. In Hongkong, wo Minderheiten in einer Sicherheit leben, die ihnen keine Organisation von Widerstand gegen den Staat erlaubt. Wir müssten nur endlich kommen, um zu ernten. Nicht nur Sachen, auch Dank. Schöne Mädchen würden an den Straßenrändern unseren siegreichen Truppen Blumen und Früchte reichen, alte Mütterchen in rührender Frömmigkeit für uns beten. Macht nur endlich Ernst!

Samstag, 1. Februar 2025

Kollegen

Kollege Ossietzky Seit es überlieferte Zeugnisse menschlicher Kultur gibt, ist die Existenz von unguten Mächten erkannt worden. Sie wurden böse genannt. Oft ist das unleugbar in unserer Erfahrung mächtige Böse personifiziert worden. Eugen Drewermann, Theologe und Psychoanalytiker, weist die unterschiedlichen Gestalten des Bösen nach, die in unterschiedlichen Kulturen zur Unterscheidung vom Guten benutzt wurden. Die Begriffe verändern sich, werden weitergegeben von Kulturkreis zu Kulturkreis und lassen Rückschlüsse auf deren Entwicklung zu. Der Teufel ist eine bevorzugte Gestalt des Bösen und in vielen Sprachen präsent: Diable, diavolo, devil... Ausgerechnet der populärste Begriff, der sich von Deutschland aus über die zivilisierte Welt verbreitet hat, scheint nirgendwoher zu stammen. Jedenfalls kann Drewermann ihn nicht ableiten: Mephistopheles. Unter diesem Namen ist der Teufel in Goethes Faust eingewandert und erscheint dort als Pudel, als fahrender Scholar, und später in wieder anderer Gestalt. Das ist charakteristisch für die teuflische, die böse Macht. Sie erscheint in stets neuen, unerwarteten Gestalten. Das Böse ist keine Persönlichkeit, wie oft und immer wieder geglaubt wurde, es ist eine allerdings furchtbare, zu fürchtende Macht. Als Joseph Ratzinger noch Theologieprofessor war und nicht der Papst, der darauf achten musste, den Stand kirchlicher Lehrmeinung zu wahren, antwortete er auf eine Frage, ob der Teufel eine Person sei: Der Teufel sei nicht durch Persönlichkeit zu erkennen, sondern durch die Auflösung von Persönlichkeit. Kulturmenschen wie Carl von Ossietzky, Herausgeber der regierungskritischen Zeitschrift Weltbühne, fürchteten nicht die Einschränkung ihrer bürgerlichen Freiheiten. Diese seien durch die Verfassung geschützt. Grausamkeiten, wie sie ihm dann im Konzentrationslager zugefügt wurden, hat sich niemand vorgestellt. Kulturverrat mochte anderswo möglich sein, in Deutschland nicht. Die Macht des Bösen wurde unterschätzt, weil es in der Erfahrung kultivierter Persönlichkeit auch die ausgleichende Macht des Guten gibt. Aber was ist zu erwarten, wenn Persönlichkeit sich auflöst? Nach Erlass von Berufsverboten gegen jüdische Deutsche stand ein junger Mann jüdischer Herkunft bei einer Behörde um irgendeine wichtige Bescheinigung an. Der Mann hinterm Schalter stempelte emsig Formulare ab. Es war ein Schulfreund. Beide erschraken. Der Bittsteller verriet keine frühere Beziehung oder gar Freundschaft. Die Situation konnte für beide gefährlich werden. Dann sagte der Schulfreund: Du musst schon verzeihen. Ich war fünf Jahre arbeitslos. Mit mir können sie alles machen. Die Antwort ist deshalb so erschreckend, weil sie auf die Bedeutung des Überlebenswillens hinweist. Er kann Gehorsam erzwingen. Bei gutartiger Grundveranlagung aber werden nicht gleich die dunklen Mächte wirksam, von denen viel geschrieben und dargestellt ist. Gestern fand ich im Ablagekasten einer Buchhandlung den Film Der Nachtportier mit Dirk Bogarde und Charlotte Rampling. Ich bin geneigt, von Fügung zu sprechen und nicht von einem Zufallsfund. Die furchtbaren Quälereien, die Bogarde als KZ-Offizier der jungen Charlotte antut, sind fast unerträglich anzusehen – aber das halte ich aus. So waren sie, die Nazis. Ich weiß es. Was mir aber fast das Herz zerreißen wollte, ich bekam Atemnot und tatsächlich, ja, das Herz tat mir weh, waren die wunderbaren Szenen aus der Wiener Aufführung der Zauberflöte, Stabführung Karl Böhm, Farb-Video, und dann diese Musik! Menschen sind fähig, Mozarts Entdeckung der Liebe zu feiern, und fähig, Lust an der Tortur zu genießen. Dass der Scherge und sein Opfer sich während der Aufführung wiedersehen und die damalige Beziehung wieder aufnehmen, bedeutet für mich eine Erscheinung des Bösen. Persönlichkeiten lösen einander auf. Indem sie gemeinsam einander töten. Es gibt diese Lust, sie hat Namen. Aber wenn sie nicht auf Einverständnis beruht, ist es das Loslassen der Teufelsmacht in uns. Uns dieser Tatsache zu stellen, fällt nur den Besten ein. Normal ist es, das Böse, Teuflische, anderen zuzuordnen. Eine Freundin schrieb mir jüngst: Gar nichts tun wir den Russen an. Dass wir Russland mit Wehr und Waffen umgeben, wie schon einmal, ist in unserer öffentlichen Meinung ohne Opposition hinzunehmen. Wer russische Interessen kennenlernen will, findet sich ohne erlaubte Informationsquelle. Putin gilt als Erscheinung des Bösen. Trump auch, ihm wird von einem Kommentator in der New York Times hatefulness unterstellt, das bedeutet: Bösartigkeit. Der Kommentar ist vor zwei, drei Tagen veröffentlicht und bei mir archiviert. Amerikaner hätten ihn gewählt trotz seiner Bösartigkeit. Zugleich wird darauf hingewiesen, dass Benjamin Franklin virtue (Tugend) forderte, nicht nur virtus (Tapferkeit). Bin einverstanden, Ben Fanklin war mein Einstieg ins amerikanische politische Denken. Ich war 22 Jahre alt und habe seinen Traum vom freien Bürger mitgeträumt.

Donnerstag, 30. Januar 2025

Unverdrossen

Kollegin Anne Frank Anne Frank ist 1929 geboren, wäre zehn Jahre älter als ich jetzt. Eine Freundin machte mich anlässlich des Gedenkens an den Holocaust darauf aufmerksam, und ich erinnerte mich an den Besuch, den meine Frau und ich dem Anne-Frank-Haus in Amsterdam gemacht haben. Die Erinnerung stieg in mir auf, zusammen mit den Gefühlen. Und dass ich mir geschworen habe, Annes Vermächtnis zu achten, indem ich niemals Massenmorde und Hetze gegen andere Völker, Rassen, Religionen, Veranlagungen gutheiße. Wie es meine Art ist, habe ich mich mit dem Gefühlsüberschwang nicht begnügt. Ich suchte das Buch heraus, das auf 800 Seiten Annes gesamten Nachlass enthält. An mancherlei konnte ich mich sofort erinnern, anderes entdeckte ich neu, so im Schöne-Sätze-Buch: „Wir würden alle gern in vollem Sommer enden, wenn Schönheit über den Rasen auf uns zuschreitet.“ Aus der Forsyte-Saga. Strophen von Goethe hatte sie wortwörtlich aufgeschrieben. Aus dem „Egmont“ Klärchens Ängste um den Geliebten: „Freudvoll/und leidvoll/Gedankenvoll sein; Hangen und Bangen /in schwebender Pein; Himmelhoch jauchzend,/zum Tode betrübt; Glücklich allein/ Ist die Seele, die liebt,“ Februar 1944… Und alle Verse von Goethes „Gefunden“: Ich ging im Walde so vor mich hin – wusste oder spürte sie, dass es ein Liebesgedicht war und dass Christiane Vulpius gemeint war? Ich habe es spät in meinem Leben begriffen. Bevor Anne Frank untertauchen musste, wohnte sie zusammen mit ihren Eltern und ihrer Schwester von 1933 bis 1942 am Merwedeplein in Amsterdam-Süd. Sie verlebten hier eine glückliche Zeit, bis die Niederlande von Nazi-Deutschland besetzt wurden. Der Umzug in die Prinsengracht wurde unvermeidbar, wo ihr Vater ein Versteck vorbereitet hatte. Die Fotografie der Hollywoodschönheit Hedy Lamarr an der Wand hat mich zu Tränen gerührt. Ein Missverständnis, Anne wollte keineswegs nur schön werden, wie andere junge Mädchen, sondern auch so klug wie LaMarr. Anne wollte beides, denke ich. Im April 1944 notiert sie: „…werde ich jemals Journalistin und Schriftstellerin werden? Ich hoffe es, ich hoffe es so sehr! Mit Schreiben kann ich alles ausdrücken, meine Gedanken, meine Ideale und meine Phantsasien.“ Sie setzt Standards für Journalisten, weckt Mut zur Wahrhaftigkeit und zu unseren Träumen. Ein ungeheurer Zorn auf ihre Mörder steigt in mir auf. Ich will ihn umsetzen in Unverdrossenheit bei der Verbreitung von erkennbaren Tatsachen.

Mittwoch, 29. Januar 2025

Alte Hüte, neue Empörung

Interessanter Einfall Ich verdanke ihn meiner Frau. Sie beklagte heute, es sei in der vergangenen Nacht das langweiligste Fernsehprogramm gewesen, das sie jemals im Angebot gesehen habe. Alle und selbst Nuhr, den sie schätzt, hätten Trump geschmäht, als ob es kein anderes Thema gebe. Und sie berichtete mir, Nuhr habe den jüngeren Trump zitiert, der – nach ihrer Erinnerung – etwa gesagt habe: Wenn du Macht hast und reich bist, kannst du jeder Frau an die Pussy gehen. Nuhr fand, allein das kennzeichne Trump für alle Zeit; als widerlichen Typen, meint er wohl. Ja, und dazu fiel mir nun etwas ein, das ich unerhört interessant und kolossal wichtig finde. Ich bitte um Beachtung, es ist nicht ironisch gemeint, sondern eine Wahrheit. Dass Macht sexy sei, hat bereits Kissinger gesagt. Kennedy hat es gelebt und geheim gehalten. Bill Clinton haben seine Gegner in einer Honigfalle (Lewinsky!) scheitern lassen wollen – es ging bekanntlich daneben, er wurde mit mehr Stimmen als zuvor wiedergewählt. Es ist der Roland-Kaiser-Effekt. Je sexualisierter seine Schlagertexte, desto begeisterter seine Fans, auch und gerade die weiblichen! Frauen mögen einen Mann, der spüren lässt, dass er sie begehrt, haben will, genießen will, von ihnen träumt und sie anschwärmt. „Wunderbar, wunderbar, diese Nacht so sternenklar, und wir zwei sind ein Paar, das ist wirklich wunderbar.“ Wenn man noch weiter zurückgeht, zeigt sich, dass Macht und Reichtum in der Tat erotische Partner gewinnt. Edward VII., naja. Auch unter Schwulen ist das so, und unter Lesben, es gibt eine Biografie von Patricia Highsmith, nebenbei bemerkt. Also diese ganze Erkenntnis ist es nicht und kann es nicht sein, die so empörend wirkt. Und doch ist die Empörung wohl echt und wird weltweit verbreitet. Was ist gerade jetzt bedeutend daran? Die genannten angeblichen Übeltäter, bleiben wir bei Kissinger, an den erinnern sich manche noch, waren Elite und drückten sich gebildet aus. Trump sagte, was Kissinger gesagt hatte, aber er formulierte es in der Sprache der Prolls. Nicht wegen des Inhalts seiner Aussage, sondern wegen des Idioms einfacher Leute, der Sprache der „deplorables“ in den „fly-over-states“, diese waren von Trump auch mal Arschlochstaaten genannt worden. Eliten nennen diese Staaten nicht so, sie behandeln sie nur entsprechend. Wichtig ist hier der Unterschied in der Ausdrucksweise, nicht im Inhalt. Und diese Differenz bedeutet, Eliten haben noch immer eine Scheißangst vor dem Proletariat. Sie fürchten sich vor den normalen Leuten, die Trump anspricht. Noch immer wirft die Oktoberrevolution von 1917 einen gewaltigen Schatten über die entwickelte Welt. Es ist geschehen. „Duldet die Schmach nun länger nicht“, ist den Leibeigenen, Sklaven, auch Arbeitssklaven und Belogenen zugerufen worden! Sie haben die Stimme gehört. In der Erinnerung, wer weiß von wem, könnte sie Widerhall finden. Angst in den Redaktionen und Sendern, Angst! Aber doch nicht vor mir. Drücke ich mich denn nicht gebildet aus wie Hilary Clinton und keinesfalls wie Donald Trump? Das ist nicht mein Duktus. Michael Molsner

Samstag, 25. Januar 2025

Zurück in die Gotik

Heute früh hörte ich im Radio eine frische Frauenstimme berichten, sie habe aus einem dieser öffentlichen Gratisangebote ein Exemplar des Romans "Moby Dick" mitgenommen, weil sie das Buch noch nicht kannte, aber wusste, dass es sehr berühmt ist. Gleich der Anfang habe sie „gecatched“. Ich horchte auf. Weshalb hat der Anfang sie gefangen? Weil sie auch schon, wie Ismael, das Gefühl hatte, dass in ihrem Leben nichts mehr stimmt und nichts mehr geht wie geplant. Ismael heuert dann als Matrose an, die junge Frau hingegen... Hab nicht mehr mitbekommen, was sie dann tut. Im Anschluss habe ich überlegt, was mich aktuell abgelenkt hat von Zeitläuften, die ich nicht mehr ertrage. Bei einem Walfänger, wie Ismael, heuere ich nicht an, und als Panzerfahrer in die Ukraine melde ich mich auch nicht - das ist etwas für die Tapferen der vorletzten Generation, von mir aus gezählt. Was mich derzeit wieder einmal einfängt, ist ein Buch von Thomas Mann, das ich in viel zu jungen Jahren gelesen habe, als dass ich es damals verstanden hätte. Es ist das geschmähteste Buch des Kollegen. Er vermutet im Jahr 1917, dass die modernen Fortschrittler seiner Zeit ein klar formulierbares Ziel haben - das sie selbst nie eingestehen würden. Sie seien zutiefst bewegt von der Sehnsucht, weltweit ein neues Mittelalter heraufzuführen, eine Gotik diesseits von Renaissance, Reformation, Aufklärung. Man war geborgen im Haus des Glaubens. Niemand brauchte zu zweifeln, was wahr und richtig oder was "fake" und verboten sei. Man wusste und befolgte es. Das Risiko jeder Beurteilung fiel weg. Ich dachte bei mir: Das ist es, was derzeit anscheinend alle wollen, die bei uns für Entscheidungen zuständig waren, sind, sein werden. Menschenrechte sind nicht das Problem. Verlangt ist, dass sie jederzeit überall so ausgelegt werden, wie wir es für angemessen (und nützlich) halten. Wer daran zweifelt, landet wie im Mittelalter auf einem Holzstoß; ist zwar als Metapher zu verstehen, doch auch heutigentages und unter uns Wahlberechtigten kann Zweifel an der Rechtgläubigkeit zum (bürgerlichen) Tod führen. Mediale Hinrichtungen sind an der Tagesordnung, gelten als Ausweis der Seriosität. Öffentliche Zweifel sind nicht mehr zulässig. Wir dürfen über bestimmte Themen nicht anders sprechen, als uns durch Medien und Politik erlaubt ist. Versucht es und tragt die Folgen, wenn ihr euch sicher genug fühlt. Ich selbst bin zu alt, um noch Fahnen zu hissen. Michael Molsner

Donnerstag, 23. Januar 2025

Verrat am Kreuze

Das Kreuz verraten. Gestern der deutsch-französische Tag brachte die üblichen Leerformeln. Tatsächlich ist die Allianz immer wieder gescheitert und musste auch scheitern – der Grund ist einfach zu erkennen. Frankreich ist stolz auf seine Geschichte, ohne deren dunkle Seiten zu leugnen, ganz im Gegenteil. Wir Deutschen wollen unsere Geschichte in einem Welteinheitsbrei begraben. Es ist „Verrat am Kreuze“, schreibt Thomas Mann. Dieses Wort hat mich getroffen. Statt tausendjährige christliche Vergangenheit in unsere Zukunft hinein zu nehmen, erklären wir uns Deutsche zu Aufgeklärten. Aber es ist nicht wahr, dass wir diese Sorte Laizismus mit Frankreich teilen. Das Gegenteil ist richtiger. In großartigen Romanen und Filmen hat Frankreich sich zu seinen christlichen Monarchen und Kriegshelden bekannt. Frankreichs Stolz auf seine Geschichte ist so groß wie deutsches Bedürfnis, Schuld nur als bewältigte erinnern zu dürfen. Andere Völker und sogar Stämme sind stolz auf ihre besondere Geschichte. Erinnert sich jemand an die für mich kaum anschaubaren Filme, in denen US-Amerika den Vietnamkrieg und seine Folgen dargestellt hat? Es war ein fast schon verzweifelt wirkendes Bemühen um Wahrhaftigkeit. Es war die Auseinandersetzung mit einem verlorenen Krieg. Für Frankreichs Bewältigung, und es war eine, des Algerienkrieges, nenne ich einen Film von vielen: „Die Frau des Leuchtturmwärters“. Italiens Bewältigung des Faschismus, Filme wie „Heisser Sommer“ und die vielen Romane. Wir Deutschen haben uns nach dem verlorenen Krieg selbst leid getan. Wir waren nicht Täter, wir waren Opfer. Nicht Täter und Opfer. Nur Opfer. Als Beispiel „Der Stern von Afrika“. Und Böll? Ein armes Luder. Und Sissi, bis Romy es nicht mehr aushielt und sich nicht kaufen ließ. Das sind Allgemeinheiten, ich weiß, Gegenbeispiele können genannt werden. Heute nun gedenken wir der Befreiung von Auschwitz. Die Nachrichten, die mich erreicht haben, sind eingepackt in antirussische Propaganda. Das wird so bleiben. Deshalb vertraue ich westlichen Nachrichten nicht mehr. Statt dessen höre ich, passend zur Begleitung Thomas Manns, ungewohnte klassische Musik. Die Oistrachs, Guldenberg, in Moskau geboren und ausgebildet, das erinnert mich an Salka Viertels Familie. Alle ihre Angehörigen haben überlebt, weil sie unter Stalins Regierung rechtzeitig aus der Ukraine gerettet wurden. Gerettet vor uns – die wir jetzt die Leistungen der Roten Armee gar nicht genug zerreden können. Niemandem wird körperlich übel beim Gedanken daran, was wir den Russen wieder antun – nach allem, was wir ihnen schon angetan haben. Deutsche haben starke Mägen. Michael Molsner

Montag, 20. Januar 2025

Erstmals

Faschingsscherz? Bisher war mir völlig unbekannt, was die schweizer Weltwoche gestern mitteilte. Demnach habe die Gütersloherin Alice Weidel sechs Jahre in Peking gelebt und 2011 ihre Diplomarbeit über das chinesische Rentensystem geschrieben. Sie habe für die Bank of China gearbeitet und solle fließend Mandarin sprechen. Zuvor habe sie nach einem Wirtschaftsstudium Arbeitserfahrungen in den USA, Asien und Europa gesammelt. Kann das sein oder sitze ich einer Fehlinformation auf? In China soll die Co-Vorsitzende einer bei uns nicht koalitionsfähigen Partei Star-Status genießen und weithin bekannt und beliebt sein. Ich kann das alles kaum glauben, denn in unseren Medien habe ich davon bisher nichts erfahren.

Freitag, 17. Januar 2025

Verantwortlichkeit

Was ein Präfix ist, das habe ich grade noch gewusst. Mir war aufgefallen, wie eichhörnchenhaft behend ausgerechnet die sich als marxtreu bezeichnende „junge welt“ den Begriff Marxismus durch Präfixe zur Bedeutungslosigkeit verwischt. Meloni ist postfaschistisch, Elon Musk cryptofaschistisch, Alice Weidel neofaschistisch, - was noch, mir fällt nicht mehr alles ein. Aber nun habe ich mich im Fremdwörterlexikon umgesehen. Suffix bedeutet, zwei selbständige Wörter werden aneinander gereiht: Himmelreich. Pazifistenpöbel ist ein Suffix, Pazifistenmeute auch. Ein Infix ist es, wenn zwei selbständige Wörter durch einen eingefügten Buchstaben ergänzt werden: Kriegstreiber, Friedenswille, da ist es das „s“. Beides sind Afixe. Das ist der Oberbegriff. Meine Frau erinnert sich an ein Biologieseminar, wo sie eingeschärft bekam, dass Begriffe ohne Trennschärfe unter Wissenschaftlern verpönt sind. Weshalb will die „junge welt“ uns einreden, dass Faschismus alles bedeuten kann – also nichts bedeutet, außer „rechtskonservativ“. Und das wäre nicht schon das, was Faschismus war. Ohnehin scheint mir, dass nach den furchtbaren Greueln, die unsere deutsche Kopie des Italofaschismus angerichtet hat, der leichtfertige Umgang mit dem Begriff verharmlosend ist. In diese Richtung gehört auch der Vergleich deutscher Provinzpolitiker mit Hitler. Das ist nicht komisch, es ist – denke ich – unverantwortlich. Michael Molsner

Mittwoch, 15. Januar 2025

Wer sollte siegen?

Da Gewalt niemals ganz aus unserer menschlichen Welt verschwinden wird, stellt sich immer wieder die Frage nach deren Berechtigung. Zitat aus der schweizer Zeitschrift Die Weltwoche: „Entweder siegt Russland, oder die ganze Welt wird zerstört.“ So äußert sich ein russischer Moderator in einem Interview mit Chefredakteur Roger Köppel. Der Russe wird zitiert mit der Frage::Was sind eure Werte? Ihr seid keine Christen mehr. An was glaubt ihr? An Transgender-Götter?“ Dann wären wir Schamanisten. Es stellt sich in solchen Fällen stets die Frage der Beurteilung. Diese kann unter vernünftigen Menschen nur auf Daten basieren, die zuverlässig sind. Aber Kriegsparteien werden je ihre eigenen Daten bekannt geben. Dennoch kommen wir Normalbürger an Beurteilungen nicht vorbei. Es geht um Leben und Tod. Dabei mitsprechen zu wollen, hat Hannah Arendt gefordert. Mit der Einschränkung, wir müssten bei aller Bemühung dennoch gestehen , dass Irrtümer möglich sind. Auf dieser fb-Seite ist die Einschränkung nicht üblich. Was unsere Medien melden, wird akzeptiert. Es sei kein Frieden möglich, habe ich gelesen, „solange der Irre in Moskau am Rad dreht“. Die Auffassung des russischen Talkshow-Masters Solowjow in der Weltwoche Nr. 25 aus dem vorigen Jahr 2024 gilt bei uns als abwegig. Die Begründung ist klar: Die Armee Russlands sei in die Ukraine einmarschiert. Dass sowohl kluge Russen wie gescheite westliche Völkerrechtler die Meinung vertreten, die Invasion „Putins“ kein kein Bruch des Völkerrechts, ist seit langem bekannt. Auch erfahrene Politiker wie Oskar Lafontaine haben jetzt erklärt, erstens zeuge diese Behauptung von Doppelmoral, zweitens sei sie falsch. Das sind unleugbare Widersprüche. Sie könnten auf Denkfehlern beruhen. Da es um Tod oder Leben geht, müssen wir am 23. Februar wissen, wo wir unser Kreuzchen setzen. Es gibt Parteien, die leidenschaftlich einen siegreichen Krieg gegen Russland fordern. In der üblichen Formulierung bedeutet das: Unterstützen wir die tapferen Ukrainer bei ihrem mutigen Abwehrkampf gegen die brutalen Angriffe der Russen. Ob wir die Russen bei ihrer Abwehr der NATO unterstützen, fragt wohl niemand bei uns. Wir überlassen solch gewagte Fragen anderen, vor allem US-Amerikanern – die dafür keinerlei Applaus erwarten dürfen. Michael Molsner