Sonntag, 30. August 2020

GEISTIGE SKINHEADS

VERSTEIGERUNG PARTEIAUSWEIS Es reicht! Nie wieder Sozialdemokrat Von Otto Köhler, Ex-SPD Bekannt gegeben auf Seite 1 der „Jungen Welt“ am 29.08.2020, Seite 1 / Titel Anlass sei hm unerträgliche Nominierung von Olaf Scholz als Kanzlerkandidat. „Dieser Mann, der als Schröders Generalsekretär Hartz IV zur Erzeugung von mehr Armut durchpeitschte…“ „Dann bewährte er sich als Bürgerkriegsmeister: G 20 – er ließ jedes Zeichen von Widerstand niederknüppeln.“ Kann man das nicht auch anders sehen? Beide Behauptungen erinnern mich an eine Polemik Köhlers vom 27. Februar 1999 in der Zweiwochenschrift OSSIETZKY, die mich damals ebenso erstaunt hat wie jetzt die Polemik gegen Scholz. In derselben Ausgabe von OSSIETZKY (Zweiter Jahrgang, 4) habe auch ich einen Beitrag abdrucken lassen. Geistige Skinheads sind keine angenehme Gesellschaft, habe ich darin bekannt. Er trägt den Titel „Abend mit Dinos“ und schließ mit den Worten: „Man lebt und lernt. Wenn man kann. Und will.“ Ich habe ihn in meinen Essayband BEGEGNUNGEN aufgenommen und zitiere ihn hier, weil ich fürchte, Otto Köhler gehört zu den Dinos. Welche Interessen hinter dem gewaltigen Shitstorm stehen, der gegen die SPD und ihre Forderung nach Entmilitarisierung unserer Außenpolitik angeblasen wird – erscheint recht klar. Statt Gesprächen mit „Putins Russland“ fordert z.B. die FAZ das „Ablegen der rhetorischen Samthandschuhe“. Hatten wir die denn je an?
ABEND MIT DINOS Von Michael Molsner Wir wollten das Ende des Faschings feiern und gingen aus, abendliches Fischessen.Weil ihm mein letztes Buch gefiel, hatte ein Akademiker aus einem benachbarten Kur-und Wintersportplatz uns eingeladen, dazu „noch ein paar besonders nette Leute“, ein Unternehmer-Ehepaar. Ich überlegte mir, was ich anziehe - prinzipiell gehe ich nirgendwohin, wo ich mich nicht in Jeans zeigen darf. Als äußerste Konzession an bürgerliche Konventionen kommt eine Cordhose in Frage. Ich entschloß mich, einfühlsam allfällige Empfindlichkeiten zu schonen, wählte die Cordhose und dazu ein – wie ich finde – besonders attraktives Sweatshirt. Künstlerkluft, sagte ich mir, wenn sie dafür kein Verständnis haben, hätte ich auch im Abendanzug keines zu erwarten. Es wurde ein interessanter, lehrreicher und gelegentlich bizarrer Abend. Ein Essen mit Dinosauriern. Bei Port, Sherry und Käsecrackern auf weiter, flacher Schale (Zinn oder Silber? o Metallurgie!) berichtete der U (Unternehmer) von seinem "riesigen" Grundstück oberhalb Oberstdorfs, und daß er es von einem scharfen Hund bewachen läßt, und wie lustig es war, als das Tier einen an sich freundlichen Besucher „stellte“, der aus Angst um sein Leben reglos an der Hauswand klebte und keinen Laut von sich gab, „und wenn mich die Stille nicht hinausgelockt hätte...Der stünde da heute noch!“ Bei der Suppe wütete der U dagegen, die Leute würden immer mehr Ansprüche stellen. Es sei ihnen ja so beigebracht wiorden, seit Jahren und Jahrzehnten schon. Und jetzt gehe es munter weiter, die Laienspielschar in Bonn...! Ich faßte mich in Geduld. Eingeladen worden war ich mit der Begründung, der U sei begeistert von meinem Buch (über prominente Besucher des Allgäu wie Max Liebermann, Carl Zuckmayer, Gottfried Benn...) Und die Frau des U kenne gar mehrere meiner Bücher und freue sich auf die persönliche Bekanntschaft. Wer hört das nicht gerne. Ich wartete also darauf, irgendwann freundlich – oder wenigstens höflich – ins Gespräch einbezogen zu werden. Eine Stunde später fiel mir auf, daß es nicht geschah. Es ging unentwegt um Tarif- und Steuerfragen. Die Lohnforderungen waren unverschämt, die Unternehmenssteuern Wahnsinn („die schlachten die Kuh, die sie melken wollen!“). Jugenderziehung: eine einzige Katastrophe, die ganze Generation völlig verweichlicht. Dann ferner, die USA hätten keine Kultur – nichts, null, zero, alles Barbaren! und das würden auch Amerikaner selber so sehen und offen aussprechen. Und dann bezüglich des 20. Juli 44 (Gott weiß, wie das Gespräch darauf gekommen sein mag): An Stauffenberg finde er nichts Gutes. Ich fragte erstaunt: Wirklich gar nichts? - Nichts, beharrte er. Na, und da gestand ich, abweichender Ansicht zu sein, und daß ich mich in der Runde allmählich als absichtlich ausgegrenzter Außenseiter fühlte... Warum als einziger freundlich sein, wenn die andern ein Niveau vorlegen, das an keinem Stammtisch der umliegenden Dörfer – und ich kenne mich aus – niedriger ist? Ich war inzwischen sauer, so schofel behandelt zu werden. Den Herrschaften war bekannt, ich bin SPD-Mitglied, und da, wo ich herkomme, lädt man keinen Katholiken zum Essen ein, um den Papst zu beschimpfen. In meinem Sweatshirt kam ich mir allmählich wie der einzige Mensch mit Manieren an dieser seltsamen Abendtafel vor. Die Frau des U rief aus: Mein Mann beurteilt das als Offizier, er war Offizier! -Was für einer? fragte ich. - Offizier, bestätigte er...Und ich: Was für einer? - Leutnant. - Oh, sagte ich, Sie reden nämlich, als hätten Sie im Generalstab gesessen. Ich begann über ein bestimmtes Kapitel des Buches zu sprechen, in dem es um einen großen Offizier, einen General, dieses Jahrhunderts geht, nämlich um die Abnahme der Siegesparade im Mai 1945 in Immenstadt/ Oberallgäu durch Charles de Gaulle. Der These von der allgemeinen Unkultur der Amerikaner widersprechend, führte ich aus, die Immenstädter hätten sich Ende April 45 sehr gefreut, die „Amis“ als Besatzer zu bekommen, und berichtete weiter von der enttäuschenden Wendung der Dinge. Der Bürgermeister, statt den Flecken zu übergeben, erklärte ihn zur Festung und ließ indische SS zur Verteidigung aufmarschieren, eine Straßenwalze des Bauhofs wurde als Panzersperre aufgeboten. Mit dieser improvisierten Befestigung wären die GIs wohl fertig geworden, doch starke Schneefälle („wie zu Weihnachten!“) hielten die Maschinen der US Air Force am Boden fest, und französische Truppen, vom Bodensee her, kamen der Army zuvor. Widerspruch. Der Gastgeber wußte nichts von aus Richtung Kempten vorrückenden Amerikanern. Ich verwies auf Zeitzeugen und die Quellenlage. Widerspruch des U, er erlaube sich gelinde Zweifel! Niemals könne ein kleiner Bürgermeister die Stadt zur Festung erklärt haben. „Dazu war er gar nicht befugt!“ Gerade dieser Aspekt war durch einen Kollegen des U, einen in der Region bedeutenden Unternehmer, bezeugt – der allerdings sowenig wie ich den Befehls“pfad“ rekonstruiert hatte. Er weiß aber aus eigener Erinnerung, daß der Bürgermeister es war, der die Verantwortung übernahm. Ein Vorgang, versuchte ich einzulenken, dem wohl unfreiwillige Komik nicht abzusprechen sei! Immenstadt mit seinen 14 000 Einwohnern eine deutsche Festung! Gegen die amerikanische Besatzungsarmee! Welch ein Gedanke! Hatte ich gehofft, mit der kleinen Geschichte – ich schmückte sie aus, wie sie im Buch steht – die Runde zu erheitern, so hatte ich meine Gaben überschätzt. Der Leutnant a.D. sah sich veranlaßt, Israel zu kritisieren. Wie kam er von, Gott behüte, Immenstadt auf die Israel Defence Forces? Einfach: Wurde in Israel nicht der Mythos von der unbedingten und todesbereiten Verteidigung der Festung Masada verbreitet? Wer kritisierte das? Ich protestierte namens der geschichtlichen Logik gegen diesen Spagat vom Allgäu nach Masada. So gebraucht, seien die Begriffe ohne Trennschärfe. Masada sei ein Aufstand gegen die Kolonialmacht Rom gewesen... Wohingegen der Bürgermeister, der Immensatdt zur Festung erklärte, unmöglich habe glauben können, er wehre sich an der Spitze Unterdrückter gegen eine Kolonialmacht! Inzwischen spielte sich in mir ein Kampf zweier Linien ab. Einerseits drängte sich mir der Eindruck auf, daß ich es mit Menschen ohne auch nur rudimentäre historische Bildung zu tun haben müsse, und ich ärgerte mich über die Dreistigkeit, mit der sie mir zumuteten, ihre „Begriffe ohne Trennschärfe“ anzuhören. Andererseits aber... Der Gastgeber hatte mich zwei Wochen zuvor während mehrerer Stunden in einer Weinstube auf den Abend vorbereitet. Er hatte mich angesprochen als gestaltendes Mitglied eines Kulturvereins, dem auch – falls ich richtig verstanden habe – der U angehört. Der Verein bemüht sich um öffentliche, vor allem auch kommunale, Unterstützung. Er wirbt ferner Mitglieder. Mir war vor dem Fischessen eine Beitrittserklärung zur Unterschrift zugesandt worden...Diese Leute verstehen sich nicht als Vertreter des Geldpöbels, wie er jeden Kurort verpestet, sondern als führungsfähige und –willige Elite. Das ließ, so schien mir, die in bizarrem Themenwechsel versandende „Diskussion“ in einem andern Licht erscheinen. Ich lese gerade ein Buch über die Geheimbünde, die 1920 - 23 gegen die erste deutsche Republik gebildet wurden. Die mehr oder weniger wahrscheinliche Verantwortung für die Attentate auf Gareis/ München (USPD), Scheidemann, Rathenau, und Maximilian Harden wird der Marinebrigade Ehrhardt zugeschrieben. Mag sein, daß die Lektüre mich argwöhnisch gestimmt hatte; jedenfalls setzte ich beim Fischessen die Ideologie vor allem innerhalb der O.C. (Organisation Consul, eine RAF von Rechtsaußen) in Beziehung zu dem, was ich „von den besonders netten“ Vertretern dieser lokalen Kulturinitiative geboten bekam. In der Summe genommen, fielen Gemeinsamkeiten auf. Ätzende Kritik an den Politikern der Republik, die nicht fürs Regieren qualifiziert, keine Fachleute seien („Laienspieler“). Wut derer, die sich im Besitz von Herrschaftswissen wähnen, und Larmoyanz angesichts eigenen Machtverlustes nach demokratischen Wahlen. Fassungslosigkeit der im Fette Sitzenden gegenüber Lohnforderungen („Anspruchsdenken“). Scharfe Wendung gegen Israel. Verbales Niedermachen von Widerstand gegen Diktatur, Militarismus, Imperialismus (an Graf Stauffenberg „nichts Gutes, gar nichts!“). Verachtung gegenüber angeblicher Verweichlichung der Jugend. Umwidmung westlicher Kultur, vor allem der amerikanischen, in Barbarei. Aus alledem sich vermeintlich zwangsläufig ergebende, völlige Unfähigkeit unserer gegenwärtigen Gesellschafts- und Staatsverfassung, die Aufgaben der Zukunft zu meistern, vor allem die globalen Verteilungskämpfe, die China uns aufnötigen werde (gelbe Gefahr!) Hörte ich an diesem Tisch zusammenwachsen, was zusammengehört? Das wollte ich wissen und äußerte folgende These: 1920 war die Gesellschaft in Lager zerspalten, die einander als Todfeinde gegenüberstanden. Kommunisten, Faschisten, Liberale, Sozialisten, Zentrum vertraten Weltbilder, die nicht kompatibel waren und deren Kompatibilität auch nicht angestrebt wurde. Sogar der Papst habe in diesem scheußlichen Poker ein Blatt gehalten, im 2. Vatikanischen Konzil habe der Heilige Stuhl eindeutig und unmißverständlich alle Gläubigen bei Strafe der Exkommunikation auf antiliberale und antidemokratische Grundsätze verpflichtet. Demgegenüber seien wir heute viel günstiger dran. Der Kapitalismus sei als ökonomische Grundordnung weltweit anerkannt, kein bedeutendes Industrieproletariat werde jemals wieder auf Tod und Leben für die Zentralverwaltungswirtschaft kämpfen. Die Demokratie sei als Staatsform durchgesetzt, und keine hochentwickelte Bourgoisie werde sich noch einmal mit Gut und Blut für die faschistische Diktatur schlagen. Der Sozialismus als flankierende Maßnahme, die Kirchen als homogenisierendes Element innerhalb der Gesellschaft, Atheismus und Agnostizismus als wertvolle Beiträge zu modernem Denken, das alles sei heute unstrittig! Die Antwort an diesem Abendmahlstisch erstaunte mich. Sie lautete: Unter neuen Bezeichnungen würden diese Versuche wiederholt werden. Geistige Skinheads sind keine angenehme Gesellschaft, wenn auch sehr interessant: Im ersten Zorn zerriß ich die Beitrittserklärung zu dem Kulturverbund, und jetzt tut es mir leid um den Beleg, für einen Schriftsteller ist schließlich alles „Recherche“. Und weil in dem Buch über Prominente im Allgäu, das an dem Abend besprochen werden sollte, aber nicht besprochen werden konnte, Gottfried Benn mit Liebe und Respekt von mir zitiert und beschrieben wird, sei ihm das letzte Wort überlassen: „Ich will mich nicht erwähnen, doch fällt mir manchmal ein zwischen Fässern und Hähnen eine Art von Kunstverein. Die haben etwas errichtet, eine Aula mit Schalmei, da wird gespielt und gedichtet, was längst vorbei...“ Benn machte im September 1934 in Oberstdorf Urlaub und schrieb „aus wunderbaren Herbsttagen, heiß und blau“, einige magische Zeilen an seinen Bremer Brieffreund Oelze. Sie enthalten Benns erstmalige, verächtliche Absage an die lärmende und vulgäre Faschisierung des Vaterlands, die er ein Jahr zuvor noch als Aufbruch in neue Zeit begrüßt hatte. Mn lebt und lernt. Wenn man kann. Und will. Bezüge auf: Martin Sabrow, DIE VERDRÄNGTE VERSCHWÖRUNG, Fischer Taschenbuch 14302; Michael Molsner/Elke Wiartalla, PROMINENTE IM ALLGÄU; Zebulon Verlag Köln; BEGEGNUNGEN Elvis und der neue Papst. Erlebnisse und Ermittlungen aus vier Jahrzehnten.

Samstag, 22. August 2020

Praxis und Prinzip

Am 13. September gebe ich meine Stimme für die Wahl der Mitglieder des Rates der Stadt Duisburg ab. In Interviews haben die Kandidaten aller (sic) Parteien sich zu dem Masterplan Digitales Duisburg bekannt, der 2018 beschlossen worden ist. Der Plan kann nur unter Verwendung von 5 G verwirklicht werden, Huawei inklusive.

Ich wähle nicht automatisch die Vertreter der Partei, der ich angehöre – aber diesmal tue ich es. Denn der Spitzenkandidat ist ein Förderer unserer Beziehungen zu China. Duisburg ist eine wichtige Station auf der

Neuen Seidenstraße One Belt One Road. Unser weltgrößter Binnenhafen ist sowohl zu Land wie zu Wasser ein gewaltiger Umschlagplatz für Waren. Zulieferer profitieren bis in benachbarte Regionen hinein. Handel und Wandel gedeihen.

Frühere Verdächtigungen, dass Duisburg ausgespäht wird, sind leiser geworden. Niemand scheint zu glauben, dass Chinesen in Duisburg Jagd auf intellektuelles Eigentum machen oder in  Marxloh auf Techniken der sozialen Integration.

Dass wir in Duisburg für Bürgerrechte eintreten, ist selbstverständlich. Doch treffe ich niemanden, der die bei uns in manchen Vierteln üblich gewordenen Massenschlägereien zwischen Großfamilien, den Drogenhandel im innerstädtischen Kantpark, oder die Geldwäsche in Spielsalons den Bürgern von Hongkong als vorbildlich empfiehlt. Polizeigewalt sicher auch nicht. Polizeigewalt lehnen wir ab. Andererseits ist in meiner Lokalzeitung erklärt worden, eine Polizei ohne Gewalt sei nicht zu haben und ein Staat ohne Polizei auch nicht.

Bei uns ist die Praxis Lehrmeister. VERTEIDIGT NORDSTREAM! fordert die Leiterin des Wirtschaftsressorts meiner Lokalzeitung. und argumentiert: „Ein Unternehmen, das zwischen die Fronten der Weltpolitik gerät, ist der Düsseldorfer Energiekonzern Uniper. Er ist mit einer Milliarde Euro an Pipeline Nord Stream 2 beteiligt, die Gas aus Russland nach Deutschland bringen soll. Trump behauptet, er wolle Europas Unabhängigkeit sichern. Das ist frech:…“

Harte Worte, doch ohne Zweifel praxisnah. Prinzipiell argumentiert die Zeitung selbstverständlich für unsere atlantischen Freunde und nicht gegen sie. Genau wie ich auch.      

Bleiben wir dabei, dann werden wir wohl nichts falsch machen ;-)

Montag, 10. August 2020

Lesen am Nachmittag

Zu arbeiten gäbe es manches, aber bei dieser Hitze! Da lese ich lieber unter dem Sonnenschirm und pflücke Euch eine literarische Frucht, die Heinrich Heine uns spendet:

 Ihr lieben deutschen Bauern! geht nach Amerika! dort gibt es weder Fürsten noch Adel, alle Menschen sind dort gleich, gleiche Flegel... mit Ausnahme freilich einiger Millionen, die eine schwarze oder braune Haut haben und wie die Hunde behandelt werden! Die eigentliche Sklaverei, die in den meisten nordamerikanischen Provinzen abgeschafft, empört mich nicht so sehr wie die Brutalität, womit dort die freien Schwarzen und die Mulatten behandelt werden. Wer auch nur im entferntesten Grade von einem Neger stammt und wenn auch nicht mehr in der Farbe, sondern nur in der Gesichtsbildung eine solche Abstammung verrät, muß die größten Kränkungen erdulden, Kränkungen, die uns in Europa fabelhaft dünken. Dabei machen diese Amerikaner großes Wesen von ihrem Christentum und sind die eifrigsten Kirchengänger. Solche Heuchelei haben sie von den Engländern gelernt, die ihnen übrigens ihre schlechtesten Eigenschaften zurückließen. Der weltliche Nutzen ist ihre eigentliche Religion, und das Geld ist ihr Gott, ihr einziger, allmächtiger Gott. Freilich, manches edle Herz mag dort im stillen die allgemeine Selbstsucht und Ungerechtigkeit bejammern. Will es aber gar dagegen ankämpfen, so harret seiner ein Märtyrtum, das alle europäische Begriffe übersteigt. Ich glaube, es war in New York, wo ein protestantischer Prediger über die Mißhandlung der farbigen Menschen so empört war, daß er, dem grausamen Vorurteil trotzend, seine eigene Tochter mit einem Neger verheuratete. Sobald diese wahrhaft christliche Tat bekannt wurde, stürmte das Volk nach dem Hause des Predigers, der nur durch die Flucht dem Tode entrann; aber das Haus ward demoliert, und die Tochter des Predigers, das arme Opfer, ward vom Pöbel ergriffen und mußte seine Wut entgelten. She was flinshed, d.h., sie ward splitternackt ausgekleidet, mit Teer bestrichen, in den aufgeschnittenen Federbetten herumgewälzt, in solcher anklebenden Federhülle durch die ganze Stadt geschleift und verhöhnt...

O Freiheit! du bist ein böser Traum!

 Dann hört Heinrich heine von einem Fischer, in Paris hätten  die armen Leute gesiegt und den König vertrieben – die Juli-Revolution! 

 Ich fürchte fast, es sei nicht wahr, denn es ist gedruckt. Ich will selbst nach Paris gehen, um mich mit leiblichen Augen davon zu überzeugen...

Heinrich Heine: "Ludwig Börne, eine Denkshrift", Zweites Buch.