Montag, 17. März 2025

Kollege Paulus

 

Kollege Paulus

Angst, Schuld, Nicht-weiter-wissen, Liebe, Religion

All das kam Ende des Jahres 1924 in der kleinen Universitätsstadt Marburg  zusammen, als die Studentin Hannah Arendt sich beim Philosophieprofessor Martin Heidegger vorstellt. Sie ist 1906 geboren und knappe 19, als der 36jähtige sie zu einem ausführlichen Gespräch empfängt. Beider Reaktion auf dieses Treffen ist von einer Vehemenz, die sie nicht erwartet hatten. Heidegger schreibt ihr: Das Dämonische hat mich getroffen. Das ist ein Zitat. Daimon nennt Goethe das Gesetz, wonach du angetreten. So mußt du sein, dir kannst du nicht entfliehen...

Hannah erlebt es ebenso. Liebe, Leidenschaft, heimliche Treffen. Ich hätte mein Recht zu leben verloren, wenn ich meine Liebe zu dir verlieren würde. Schwärmerei? Ist sie allzu jung, um sich zu „erden“?

Ist sie nicht. Sie verlässt Marburg ausschließlich deinetwegen, um in Heidelberg weiter  zu studieren. Der mit Heidegger befreundete Philosoph Karl Jaspers promoviert sie. Die Doktorarbeit behandelt den philosophischen Liebesbegriff bei Augustinus. Jaspers gibt ihr die schlechtestmögliche Beurteilung, weil er ahnt, sie verarbeitet eine persönliche Erfahrung und weniger die Theologie des Kirchenvaters.

Jaspers täuscht sich nicht. Hannah will sich von  Heidegger lösen und heiratet. Es hilft nicht, sie trifft ihn, wann immer es möglich ist, und schreibt ihm, dass jedesmal, wenn sie ihn sieht, die Kontinuität meines Lebens wieder entzündet wird, die Kontinuität unserer – lass mich bitte sagen – Liebe.

Bei Augustinus sucht sie die theologische Basis für einen Neuanfang. Der Mensch werde geboren,  findet sie beim Kirchenvater, damit ein Anfang sei. Der Kirchenvater stützt sich auf Paulus, der als Saulus von Tarsus mit einem Trupp Soldaten durch die Wüste nach Damaskus zog, um Reste der   Terroristen auszulöschen, die unter dem Namen Christen bekannt waren. In einer Vision erschien ihm der Gekreuzigte und beauftragte ihn, unter dem Namen Paulus allen Menschen, auch Heiden, die Frohe Botschaft zu predigen.

Paulus zog um das Mittelmeer, gründete christliche Gemeinden und schrieb die berühmten Briefe (Episteln), die Bestandteil der christlichen Heiligen Schrift sind. Lebt nicht wie Menschen, die ohne Hoffnung sind. Das kostbarste Blut ist für euch geflossen. Man bat ihn, die Botschaft Jesu kurz und bündig zu übermitteln. Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete, / hätte aber die Liebe nicht, / wäre ich dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke. Und wenn ich prophetisch reden könnte / und alle Geheimnisse wüsste / und alle Erkenntnis hätte; / wenn ich alle Glaubenskraft besäße / und Berge damit versetzen könnte, / hätte aber die Liebe nicht, / wäre ich nichts. Und wenn ich meine ganze Habe verschenkte / und wenn ich meinen Leib opferte, um mich zu rühmen, / hätte aber die Liebe nicht, / nützte es mir nichts. Die Liebe ist langmütig, / die Liebe ist gütig. / Sie ereifert sich nicht, / sie prahlt nicht, / sie bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig, / sucht nicht ihren Vorteil, / lässt sich nicht zum Zorn reizen, / trägt das Böse nicht nach. Sie freut sich nicht über das Unrecht, / sondern freut sich an der Wahrheit. Sie erträgt alles, / glaubt alles, / hofft alles, / hält allem stand. Die Liebe hört niemals auf. /Prophetisches Reden hat ein Ende, / Zungenrede verstummt, / Erkenntnis vergeht. Denn Stückwerk ist unser Erkennen, / Stückwerk unser prophetisches Reden; wenn aber das Vollendete kommt, / vergeht alles Stückwerk. Als ich ein Kind war, / redete ich wie ein Kind, / dachte wie ein Kind / und urteilte wie ein Kind. Als ich ein Mann wurde, / legte ich ab, was Kind an mir war. Jetzt schauen wir in einen Spiegel / und sehen nur rätselhafte Umrisse, / dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt ist mein Erkennen Stückwerk, / dann aber werde ich durch und durch erkennen, / so wie ich auch durch und durch erkannt worden bin. Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; / doch am größten unter ihnen ist die Liebe.

Hannah Arendt und ihr zweiter Ehemann Heinrich Blücher mussten aus dem Machtbereich Deutschlands fliehen. Sie war Jüdin, er Kommunist trotzkistischer Richtung.  Heidegger erhoffte sich von den Nazis ein Ende bestimmter Erscheinungen der Emanzipation. Aus der populären Kultur ist der Schlager überliefert: „Du bist verrückt, mein Kind, Du musst nach Berlin. Da wo die Verrückten sind, da gehörst du hin.“ Berlin war Sinnbild dessen, was in süddeutscher Provinz, wo Heidegger als Universitätsrektor amtete, unmöglich war. Das Ehepaar Arendt/Blücher lebte sich in New York ein. 1950 bereist Hannah Europa im Auftrag einer jüdischen Organisation, um Überbleibsel jüdischen Lebens und jüdischer Kultur zu registrieren und zu sichern.

Heidegger ist jetzt kein angesehener Professor mehr, die Parteinahme für die Nazis wird ihm, als einem König des Denkens, besonders übelgenommen.

Hanna weiß nicht, ob sie ihn wiedersehen will. Durch ein Zusammentreffen im Hotel kommt es zustande. Er bittet sie in seine Wohnung, seine Frau Elfriede werde dabei sein; doch Elfriede ist nicht da, er ist mit Hannah allein. Sie schreibt ihm am Tag danach: Dieser Abend und dieser Morgen sind die Bestätigung eines ganzen Lebens…, als stünde plötzlich die Zeit stille. Da kam mir blitzartig zu Bewusstsein, was ich vorher nicht mir und nicht Dir und keinem zugestanden hätte, dass mich der Zwang des Impulses… gnädig bewahrt hat, die einzig wirklich unverzeihliche Untreue zu begehen und mein Leben zu verwirken. Aber eines sollst du wissen…, hätte ich es getan, so nur aus Stolz, dh aus purer reiner verrückten Dummheit. Nicht aus Gründen.

Sie ist jetzt eine erfolgreiche verheiratete Frau. Meisterschülerin des bedeutendsten Philosophen des zwanzigsten Jahrhunderts, wie sie ihn nannte. Sein Werk hat sie bis zu ihrem Tod betreut und verbreitet. Er sei nicht auf ein System aus gewesen, die Welt zu erklären. Heidegger ging aus von jedes Menschen Erfahrung, dass Lebewesen sterben müssen. Daraus entwickelte er Wege des Denkens, um mit der Tatsache auch eigener Endlichkeit fertig zu werden. Hannah Arendt vertrat auf der Basis ihrer theologischen Studien die Auffassung, es reiche nicht, als Individuum tapfer zu sein. Man müsse die Öffnung weltlicher Räume ermöglichen, in dem die tapferen Einzelnen miteinander sprechen, und Lösungen für Probleme suchen.

Dass mit jeder Geburt ein Neuanfang gesetzt sei, der gänzlich unerwartete Lösungen bringe, hat sie nie bezweifelt. Jesus von Nazareth habe die abendländische Ethik durch den Begriff der Vergebung bereichert. Und wer war Jesus? Ein Wanderprediger in Sandalen. Jeder Mensch könne neu anfangen, immer.

Da war nun wieder die Heidegger’sche Aufforderung: Wähle dich selbst und lebe nicht das Leben anderer. Als Hannah im März 1962 ein Schädeltrauma erlitt, fragte sie sich, ob sie noch als sie selbst weiterleben werde. Sie überprüfte ihr Gedächtnis auf Daten. Die Telefonnummer ihres Mannes. Die Geburtsdaten Martin Heideggers. Beruhigt stellte sie fest. Alles noch da.

Einem Brief, den er ihr schrieb, legte er ein Gedicht von Rilke bei. Sternenfall. Was ist verschuldet und was ist verziehn.

                         

Samstag, 8. März 2025

Das letzte Kapitel

Sprachschatz. Robert Gilbert wurde im letzten Jahr des Ersten Weltkrieges 1918 Soldat und kam in Kontakt zu den Kommunisten im Spartakusbund, der sich an Rosa Luxemburgs Thesen orientierte. Das war die Basis seiner lebenslangen Freundschaft mit Heinrich Blücher, der sich zum Kommunismus trotzkistischer Richtung bekannte. Es war eine Freundschaft zwischen Ungleichen. Robert Gilberts Eltern waren jüdische Deutsche, der Vater bereits wohlhabend als Operettenkomponist und Verfasser populärer Schlager: Puppchen, du bist mein Augenstern wurde noch bis in letzte Jahrhundert gesungen. Sohn Robert ist dann in der Zwischenkriegszeit regelrecht reich geworden durch Mitarbeit an Filmen und Verfasser von Schlagern, die jeder sang. Es war eine goldene Zeit für ihn. Er war jedoch genügend weit „links“ geblieben, um die Zerbrechlichkeit des schuldenfinanzierten Booms zu durchschauen. Das gibt's nur einmal. Das kommt nicht wieder, Das ist zu schön um wahr zu sein. So wie ein Wunder fällt auf uns nieder Vom Paradies ein gold'ner Schein. Das gibt's nur einmal, Das kommt nicht wieder, Das ist vielleicht nur Träumerei. Das kann das Leben nur einmal geben, Vielleicht ist's morgen schon vorbei. Das kann das Leben nur einmal geben, Denn jeder Frühling hat nur einen Mai. Für seinen kommunistischen Freund war ohnehin klar, wie es enden könnte. Heinrich Blücher, von 1936 an zweiter Ehemann von Hannah Arendt, wird den Freund in dessen Zweifeln bestärkt haben. Robert schrieb und komponierte: Keenen Sechser in der Tasche, bloß 'nen Stempelschein. Durch die Löcher der Kledasche kiekt die Sonne rein. … Stellste dir zum Stempeln an, wird det Elend nich' behoben - wer hat dir, du armer Mann, abjebaut so hoch da droben? Unter den Gassenhauern von damals sind viele, die beinahe Umgangssprache wurden: Die Liebe der Matrosen; Es muß was Wunderbares sein, von dir geliebt zu werden (zitiert nach Hannah Arendt, Menschen in finsteren Zeiten, Piper Verlag, Taschenbuchausgabe, Mai 2012) Entweder Text oder musikalische Einlagen steuerte Robert Gilbert bei zu: Am Sonntag will mein Süßer mit mir segeln geh'n; Irgendwo auf der Welt (Text von RG), Musik Werner Heymann; Was kann der Sigismund dafür (komponiert von RG; Im Salzkmmergut,da kamma gut lustig sein; Die ganz Welt ist himmelblau (Musik Robert Stolz); Ein Freund,ein guter Freund; Liebling mein Herz läßt dich grüßen... Zitiert nach Wikipedia Die deutsche Sprache hat RG mitgenommen, als er emigrieren musste. Sie war der nicht zollpflichtige Teil seines Reichtums. Lebwohl, Berlin.- Es muß geschieden sein.../ So grüßt mich meine alte Bleibe noch Zum Städtele hinaus Hab keinen Dunst, wie lang es dauern wird, und was vom Elbstrom bis zum Rhein Aus deinen Arbeitern und Bauern wird, lieb Vaterland. Und kann nicht ruhig sein. Zollrevision. Devisen. Paßkontrolle. Ach, man läßt mich durch. Es ist gelungen. Da murmelt noch der letzte deutsche Bach: Es ist ein Ros' entsprungen. Zitiert nach Robert Gilbert, Durch Berlin fließt immer noch die Spree, Blanvalet 1971 Neben dem deutschen beherrschte er auch den englischen Sprachschatz. Die deutschen Dialoge des Films My Fair Lady mit Rex Harrison und Audrey Hepburn hat er getextet. Ich finde sie besser als das englischsprachige Original. Besonders die Schlußszene hat mich tief beeindruckt. Der Sprachwissenschaftler Professor Henry Higgins zieht sich in sein Labor zurück, wo er Dialekte auf Walzen zu übertragen pflegt, um sie abzuhören und sie nach Lautbildungen analysieren zu können. Dieses Labor ist das Zentrum seines vernunftgeleiteten Lebens. Vereinsamt und tief unglücklich sitzt er da. Er hat nichts falsch und alles richtig gemacht, wie Logik und Wissenschaft es forderten. Aber seine Meisterschülerin Eliza Doolittle kann er nicht vergessen. Er hat es versucht. Er kann nicht: Ich bin gewöhnt an ihr Gesicht... Erfüllt von einem Gefühl, unfaßbar wie das Licht, aber doch eben notwendig, weiß er nicht weiter. Was tun, was?! Ich habe in dieser Szene, wie Professor Higgins in seinen Sprachanalysen, mehrere Aspekte entdeckt. Vernunft als Rationalität allein ist nicht genug. Einfühlen jedoch kann er sich nicht. Es geht dabei keineswegs, meine ich, um Einfühlung in das Innenleben von Eliza. Er kann sich in sich selbst nicht einfühlen! Das ist das Problem. Er müsste nun eingestehen, wie er zu seiner Meisterschülerin steht. Ausgeschlossen. Nun legt er also die Walze in den Lautsprecher ein, wo er Elizas ersten Besuch festgehalten hat. Er hört sie sagen, dass sie Sprachunterricht bei ihm nehmen und bezahlen will, um in einem Blumenladen arbeiten zu können und nicht auf der Straße mit Blumen rumrennen muss wie bisher. Und er hört den damaligen Hausgast Pickering darauf wetten, daß Higgins es nicht schafft, Eliza soweit zu bringen. Und er hört, dass er die Wette annimmt. Er hat gegen sich selbst gewettet – und verloren. Vernunft ohne Empathie mit sich selbst ist tödlich. Im Film allerdings dürfen wir uns über die Erlösung des Vernunftmenschen aus seinem selbstgebauten Gefängnis freuen. Während er Elizas Stimme lauscht, wird die Walze angehalten. Eine schöne, in elegantem Weiß gekleidete Dame sehen wir die Szene betreten. Und Eliza – sie ist es – sagt: Ick ha' ma ooch Jesicht un' Hände jewaschen, bevor ick jekomm' bin. Robert Gilbert hat die Aufgabe gelöst, den mit acht Oscars ausgezeichneten Film für das deutschsprachige Publikum anschaubar zu machen. Er hat dafür die Sprache gewählt, die ihm als Berliner am vertrautesten war. Berliner waren es, die nach dem Krieg als erste zurückgekehrt sind. Friedrich Hollaender textete: In den Ruinen von Berlin Fangen die Blumen wieder an zu blüh'n Und in der Nacht spürst du von allen Seiten Einen Duft, als wie aus alten Zeiten! Der Wahl-Berliner Billy Wilder drehte den Film, in dem Hollaender selbst am Klavier sitzt und die Sängerin Marlene Dietrich begleitet, die Berlinerin, die heimgekommen ist. Inmitten von den Ruinen, die deutscher Größenwahn hinterlassen hat, zeigen sie mit einer Nachsicht, die kaum zu fassen ist, dass sie die Stadt und ihre Bewohner nicht aufgegeben haben – im Gegenteil. Es ist eine Wette auf unsere Zukunft. Wer hat die Wette gewonnen, wer verloren? Wir sind aufgefordert, wieder zu hassen. Nicht – wie damals – Anne Frank und Etty Hillesum. Nach ihnen sind Straßen und Schulen benannt. Wir hassen jetzt andere, diese aber gründlich und mit Vernichtungswillen. Erfreut zählen wir die Toten, die unsere Waffen dort hinterlassen haben. Und rechnen die künftig noch zu erwartenden Leichenzahlen siegesfroh aus. Wir rüsten eigens auf, um die Grenzen der Ukraine zu schützen. Niemand spricht mit vergleichbarer Zustimmung davon, dass die USA ihre Grenzen schützen wollen. Dass Russland seine Grenzen gern geschützt sähe, scheint noch weniger begreiflich zu sein. Dass China die Einheit des Mutterlandes verteidigt, wird uns als offene Kriegsdrohung im Pazifik geschildert. Wir entsenden Kriegsgerät in diesen Raum. Dass Nordkorea einen Heldenkampf um seine Souveränität nicht vergisst, versteht buchstäblich überhaupt gar niemand. Ob wir die Wette auf unsere Zukunft noch einmal verlieren? Es könnte das letzte Mal sein, bevor es heißt: Les Jeux Sont Faits. In dem gleichlautenden französischen Film kann dann nicht mehr gesetzt werden. Es gibt keine Chips mehr.