Samstag, 1. Februar 2025
Kollegen
Kollege Ossietzky
Seit es überlieferte Zeugnisse menschlicher Kultur gibt, ist die Existenz von unguten Mächten erkannt worden. Sie wurden böse genannt. Oft ist das unleugbar in unserer Erfahrung mächtige Böse personifiziert worden. Eugen Drewermann, Theologe und Psychoanalytiker, weist die unterschiedlichen Gestalten des Bösen nach, die in unterschiedlichen Kulturen zur Unterscheidung vom Guten benutzt wurden.
Die Begriffe verändern sich, werden weitergegeben von Kulturkreis zu Kulturkreis und lassen Rückschlüsse auf deren Entwicklung zu.
Der Teufel ist eine bevorzugte Gestalt des Bösen und in vielen Sprachen präsent: Diable, diavolo, devil... Ausgerechnet der populärste Begriff, der sich von Deutschland aus über die zivilisierte Welt verbreitet hat, scheint nirgendwoher zu stammen. Jedenfalls kann Drewermann ihn nicht ableiten: Mephistopheles.
Unter diesem Namen ist der Teufel in Goethes Faust eingewandert und erscheint dort als Pudel, als fahrender Scholar, und später in wieder anderer Gestalt. Das ist charakteristisch für die teuflische, die böse Macht. Sie erscheint in stets neuen, unerwarteten Gestalten. Das Böse ist keine Persönlichkeit, wie oft und immer wieder geglaubt wurde, es ist eine allerdings furchtbare, zu fürchtende Macht.
Als Joseph Ratzinger noch Theologieprofessor war und nicht der Papst, der darauf achten musste, den Stand kirchlicher Lehrmeinung zu wahren, antwortete er auf eine Frage, ob der Teufel eine Person sei: Der Teufel sei nicht durch Persönlichkeit zu erkennen, sondern durch die Auflösung von Persönlichkeit.
Kulturmenschen wie Carl von Ossietzky, Herausgeber der regierungskritischen Zeitschrift Weltbühne, fürchteten nicht die Einschränkung ihrer bürgerlichen Freiheiten. Diese seien durch die Verfassung geschützt. Grausamkeiten, wie sie ihm dann im Konzentrationslager zugefügt wurden, hat sich niemand vorgestellt.
Kulturverrat mochte anderswo möglich sein, in Deutschland nicht.
Die Macht des Bösen wurde unterschätzt, weil es in der Erfahrung kultivierter Persönlichkeit auch die ausgleichende Macht des Guten gibt. Aber was ist zu erwarten, wenn Persönlichkeit sich auflöst?
Nach Erlass von Berufsverboten gegen jüdische Deutsche stand ein junger Mann jüdischer Herkunft bei einer Behörde um irgendeine wichtige Bescheinigung an. Der Mann hinterm Schalter stempelte emsig Formulare ab. Es war ein Schulfreund.
Beide erschraken. Der Bittsteller verriet keine frühere Beziehung oder gar Freundschaft. Die Situation konnte für beide gefährlich werden. Dann sagte der Schulfreund: Du musst schon verzeihen. Ich war fünf Jahre arbeitslos. Mit mir können sie alles machen.
Die Antwort ist deshalb so erschreckend, weil sie auf die Bedeutung des Überlebenswillens hinweist. Er kann Gehorsam erzwingen. Bei gutartiger Grundveranlagung aber werden nicht gleich die dunklen Mächte wirksam, von denen viel geschrieben und dargestellt ist.
Gestern fand ich im Ablagekasten einer Buchhandlung den Film Der Nachtportier mit Dirk Bogarde und Charlotte Rampling. Ich bin geneigt, von Fügung zu sprechen und nicht von einem Zufallsfund. Die furchtbaren Quälereien, die Bogarde als KZ-Offizier der jungen Charlotte antut, sind fast unerträglich anzusehen – aber das halte ich aus. So waren sie, die Nazis. Ich weiß es. Was mir aber fast das Herz zerreißen wollte, ich bekam Atemnot und tatsächlich, ja, das Herz tat mir weh, waren die wunderbaren Szenen aus der Wiener Aufführung der Zauberflöte, Stabführung Karl Böhm, Farb-Video, und dann diese Musik!
Menschen sind fähig, Mozarts Entdeckung der Liebe zu feiern, und fähig, Lust an der Tortur zu genießen. Dass der Scherge und sein Opfer sich während der Aufführung wiedersehen und die damalige Beziehung wieder aufnehmen, bedeutet für mich eine Erscheinung des Bösen. Persönlichkeiten lösen einander auf. Indem sie gemeinsam einander töten. Es gibt diese Lust, sie hat Namen.
Aber wenn sie nicht auf Einverständnis beruht, ist es das Loslassen der Teufelsmacht in uns. Uns dieser Tatsache zu stellen, fällt nur den Besten ein. Normal ist es, das Böse, Teuflische, anderen zuzuordnen. Eine Freundin schrieb mir jüngst: Gar nichts tun wir den Russen an.
Dass wir Russland mit Wehr und Waffen umgeben, wie schon einmal, ist in unserer öffentlichen Meinung ohne Opposition hinzunehmen. Wer russische Interessen kennenlernen will, findet sich ohne erlaubte Informationsquelle. Putin gilt als Erscheinung des Bösen. Trump auch, ihm wird von einem Kommentator in der New York Times hatefulness unterstellt, das bedeutet: Bösartigkeit. Der Kommentar ist vor zwei, drei Tagen veröffentlicht und bei mir archiviert. Amerikaner hätten ihn gewählt trotz seiner Bösartigkeit.
Zugleich wird darauf hingewiesen, dass Benjamin Franklin virtue (Tugend) forderte, nicht nur virtus (Tapferkeit). Bin einverstanden, Ben Fanklin war mein Einstieg ins amerikanische politische Denken. Ich war 22 Jahre alt und habe seinen Traum vom freien Bürger mitgeträumt.
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