Neue
Ostpolitik
22.06.2016
10:51
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Sehr geehrter Herr Kollege Jessen,
als langjähriges Mitglied der SPD habe ich nach
der Warnung des Außenministers vor Kriegsgeheul und Säbelrasseln an der Grenze
Russlands endlich wieder einmal Grund zur Freude an meiner Partei.
Wie viele andere Sozialdemokraten (u.a. Helmut
Schmidt) fordere ich seit langem den Ausstieg aus der Sanktionspolitik gegen
Russland. Das Land wirtschaftlich zu strangulieren, militärisch einzukreisen
und politisch zu isolieren, halte ich politisch für falsch, militärisch für
gefährlich und wirtschaftlich für selbstschädigend. Außerdem leide ich
darunter, in meiner nrz morgens lesen zu müssen, mit welcher Vehemenz Sie
meinen Standpunkt - der nicht nur der meine ist - denunzieren. Sie beleidigen
damit einen Ihrer Abonnenten.
Begriffe wie "Putin-Versteher" oder
gar "putinesk" quälen mich körperlich. So etwas sagt man nicht.
Was soll ich nur tun? Wie kann ich mich wehren?
Eine andere Zeitung abonnieren? Aber die gesamte hier erhältliche Tagespresse
ist aus Gründen, die nicht mitgeteilt werden, auf Nato-Kurs gleichgeschaltet.
Mein Protest wird nichts nützen. Sie haben Ihre
Weisungen, fürchte ich - aber von wem nur? Wer zwingt oder nötigt Sie, immer
wieder einen einzigen "spin" zu wiederholen, den der Nato?
Ich fühle mich hilflos, als Ihr Abonnent
wehrlos, als Bürger entmächtigt und, wie es scheint, systematisch falsch - weil
einseitig - informiert.
"Wir leben in einer Vorkriegszeit",
warnte Egon Bahr. In Ihrem heutigen Kommentar denunzieren Sie Warnungen wie
diese als sentimentalen, unzeitgemäßen Unsinn. Sie wissen es besser? Verstehen
mehr von Außenpolitik? Mehr sogar als Henry Kissinger? Als Peter Scholl-Latour?
Das möchten Sie glauben machen. Ich glaube Ihnen
das nicht.
Und jetzt? Ab in den Papierkorb?
Mit allem Respekt - wie amerikanische
Diskussionspartner gerne sagen, wenn sie widersprechen - "I
disagree".
Michael Molsner
Homepage:
www.michaelmolsner.de
Blogs: http://presse-mike2.blogspot.de
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