Samstag, 20. Juni 2015

Irreführung


Ich könnte jeden Tag mehrmals Widerspruch anmelden. Heute früh wird in meiner Lokalzeitung weitergestrickt an der Story, die vor zwei oder drei Tagen erschien. Dass deutsche Ex-Politiker sich dem greisen Despoten von Kasachstan andienen. Allein das Wort "andienen" ist schon polemisch. Dann liest man drei Spalten lang: "angeblich", "heißt es", "sagt man", "wird verdächtigt" ... Und dann, dass es in Kasachstan gelungen ist, eine "Art Mittelstand" zu schaffen, was bekanntlich die Voraussetzung für eine Demokratie ist, ohne Bürgertum keine bürgerliche Demokratie! Und dass das Land ökonomisch und bezüglich der Sicherheit besser dasteht als die anderen nordkaukasischen Republiken. 

Dann war es doch nicht schlecht, den greisen Despoten zu beraten?  

Bei Scholl-Latour in seinem Buch "Russland im Zangengriff" liest man, dass der "greise Despot" fortschrittliche junge Leute um sich schart, viele im Westen ausgebildet, die sich um Reformen bemühen - aber eben auch darum, ihre moslemisch geprägte Landbevölkerung in die Moderne mitzunehmen. Der Fortschritt wird nicht erzwungen, wie seinerzeit etwa von Ägyptens Nasser - dort mit aktuellen Folgen. Also nicht hauruck, sondern rücksichtsvoll.

Interessant die Überlegung, dass es auch in Europas jüngerer Geschichte Herrscher gegeben hat, die fortschrittlicher waren als ihre Untertanen. Der bayerische König Ludwig III. musste Reformen zurücknehmen, weil viele Pfarrer von den Kanzeln die Bauern dagegen aufwiegelten. Der damals unangefochtene Arbeiterführer August Bebel sagte, seine Partei würde diesen Monarchen mit offenen Armen aufnehmen. Ein Jahrhundert davor konnte Joeph II. von Österreich Reformen nicht gegen kirchlichen Widerstand durchsetzen, die Bevölkerung revoltierte und der Kaiser musste nachgeben.

Wo es gelungen ist, autoritäre Regimes zu beseitigen, waren die Resultate in letzter Zeit suboptimal. Man denke an Libyen, den Irak ... Und Syrien, wo alles versucht wurde, den Präsidenten Assad zu stürzen, ohne dass jemand sich Gedanken über das Schicksal der Frauen, Christen und Laizisten in Damaskus gemacht hat.


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