Brief an die Gremien meiner Partei
30.03.2016
Geehrter Herr Außenminister,
Geehrter Herr Parteivorsitzender,
liebe Genossinnen und Genossen!
Als langjähriges Mitglied der SPD, ehemals
Fraktionsvorsitzender der SPD im Gemeinderat Fischen/Allgäu und SPD-Ortsvorsitzender
Fischen/Allgäu, wende ich mich an die Gremien meiner Partei mit der dringenden
Bitte, sie möge sich an ihr erfolgreiches Alleinstellungsmerkmal erinnern.
Willy Brandt hat den Kalten Krieg beendet, er hat Ostpolitik
an die Stelle der Konfrontation gesetzt.
Gerhard Schröder hat sich der „Koalition der Willigen“
verweigert und die Beteiligung am katastrophenträchtigen „stupid war“ gegen den
Irak abgelehnt.
Friedenspolitik, dieses Alleinstellungsmerkmal der
Sozialdemokratie, eine Realisierung ihres Ur-Grundsatzes internationaler
Solidarität, ist aufgegeben worden! Unsere Partei und Regierung nimmt den
Kalten Krieg gegen Russland wieder auf, den Willy Brandt mit so großem Erfolg
beendet hatte. Die Gegenküste des Mittelmeeres wird verwüstet, Gerhard
Schröders mutige Entscheidung gegen stupid wars ist jedenfalls nicht wiederholt
worden.
Statt dessen reden unsere Gremien uns ein, das
Alleinstellungsmerkmal der SPD sei die Durchsetzung von Gewerkschaftspositionen.
Doch deren Durchsetzung ist Alleinstellungsmerkmal nicht der SPD, sondern der
Gewerkschaften! Ich gehöre dem Verband deutscher Schriftsteller in der
Gewerkschaft Ver’di an und bin gewiss nicht gegen deren Forderungen, ich bin
dafür! Doch von meiner Partei erwarte ich Politik!
Politik wie von Willy Brandt und Gerhard Schröder! Wie auch
zuletzt von Helmut Schmidt und Egon Bahr gefordert.
Ergänzend füge ich einige Erfahrungen aus meiner aktiven
Zeit in Bayern bei.
Als ich den Ortsvorsitz der SPD in Fischen übernahm, haben
die Grünen uns Wähler abgenommen. Sie punkteten mit Umwelt und Feminismus. Die
SPD reagierte, indem sie Listenplätze an Frauen vergab und für die Erhaltung
der Umwelt warb. Die Wähler aber entschieden sich für das Original, nicht für
die sozialdemokratische Kopie.
Umweltbewusste SPD-Frauen zogen sich Trachtenjanker an und
traten Vereinen bei, um Volkstümlichkeit zu signalisieren. Vergeblich, Freie
Wähler hatten sich formiert. Sie waren nicht nur bayerisch angezogen, sie
redeten auch den heimischen Dialekt. Die
von uns abgeworbenen Wähler kamen nicht zurück.
Die SPD hat Umweltbewusstsein, Frauenrechte und Volksnähe
jeweils kopiert. Sie hat kein Alleinstellungsmerkmal beworben. Dieses Defizit glich
sie aus, indem sie die CSU schlechtredete.
Auch nach der Abspaltung von Grünen und Freien Wählern
garantierten unsere Stammwähler erträgliche Wahlresultate von um die 30 %. Wir
punkteten bei fortschrittlich gesonnenen Großstädtern, andererseits bei
Arbeitern in den Industriebezirken.
Jetzt aber schrumpft die Bayern-SPD in Umfragen. Sie hat
noch immer kein überzeugendes Alleinstellungsmerkmal formuliert. Großstädter
werden zur Linken und zu den Grünen abwandern, unzufriedene Arbeiter zur AfD. Die
nächste Landtagswahl könnte Bayerns SPD bei 20 % minus sehen, die CSU bei 50%
plus.
Auf Horst Seehofer zu schimpfen ändert daran überhaupt
nichts.
Dennoch reagiert die SPD sowohl in Bayern wie im Bund mit
der Verweigerung ihres überzeugendsten Arguments. Mit dem heutigen Datum meldet
meine Lokalzeitung die SPD in Umfragen bundesweit bei 20 %.
Unser Außenminister mahnt alle Welt zum Frieden, doch
Ostpolitik wie Brandt/Bahr macht er nicht und Nahost-Politik wie Gerhard
Schröder auch nicht. Es bleibt bei Ermahnungen, an die keine Regierung sich
hält, auch unsere nicht!
Auf dem Wirtschaftsgipfel in Davos hat der Vorsitzende
unserer Partei gesagt, die Deutschen seien reich und hysterisch. Wo blieb der
Aufschrei der Partei? Aber vielleicht gab es diesen Aufschrei. Ein Viertel der
Delegierten verweigerte dem Vorsitzenden auf dem Parteitag die Stimme. Sie schuldeten
Loyalität nicht dem Vorsitzenden, sondern der ums Nötige besorgten Bevölkerung.
Der Vorsitzende hat seine Äußerung zurückgenommen, indem er ein
Programm zur Unterstützung Benachteiligter angekündigt hat. Aber das ist nur
wieder die altbekannte Gewerkschaftslinie. Es reicht nicht!
Die USA hätten „nineteen trillion debt“, hörte man diese
Woche William Cohen, einige Jahre Verteidigungsminister im Kabinett von Bill
Clinton, während eines Besuchs in China sagen. Das Interview ist von China
Cental übertragen worden. Nineteen trillion, das sind neunzehn Billionen in
unserer Sprache, neunzehn Mal tausend Milliarden Dollar. Und jedes Jahr, sagte
Cohen, kämen 500 Milliarden dazu.
Es müsse die Chinesen interessieren, fügte Cohen hinzu, sie
seien in diese Schulden investiert. In US-Staatsanleihen, wird er gemeint
haben.
Es ist klar, dass unter diesen Umständen in den USA neue
Schulden für die Finanzierung der maroden Infrastruktur nicht durchsetzbar sind.
Enough is enough, hört man von Republikanern.
Und im morgendlichen Pressegspräch bei BBC sagte erst
gestern ein Finanzexperte, der Druck auf „das Geld“ sei groß. Es sei
verzweifelt bemüht, neue Räume für profitable Investitionen zu finden. Er
gebrauchte dieses Wort verzweifelt (desperate) zweimal in einer Minute.
Japans Schulden sind relativ sogar noch höher als die der
USA.
Die Handelsbilanz Großbritanniens ist negativ, hörte man
neulich auf BBC.
Von den wirtschaftlichen Problemen Frankreichs ist oft die
Rede.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Überschuldung unserer
wichtigsten Verbündeten und ihren Kriegen? Sind unsere Freunde weniger auf die
Ermöglichung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit aus als auf Anlagemöglichkeiten für ihre heimatlos um den
Globus fließenden Milliarden?
Mein Parteivorsitzender ist Wirtschaftsminister, seine
aberhundert Mitarbeiter werden es ihm mitteilen – doch er gibt die Auskunft
nicht an uns weiter.
Man sagt uns viel, aber noch mehr wird uns verschwiegen!
Andrea Nahles hofft auf geringeren Zustrom von Flüchtlingen.
Aber wir haben keine Flüchtlingskrise, wie uns eingeredet wird. Wir haben eine
Glaubwürdigkeitskrise!
Die aktuelle Glaubwürdigkeitskrise kann nicht ausgesessen,
sie muss schleunigst beendet werden!
Oder die deutsche Sozialdemokratie zerstört sich selbst.
Mit besten Grüßen
Michael Molsner
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