Donnerstag, 31. März 2016

Brief an die Gremien meiner Partei


                                                                  30.03.2016

Geehrter Herr Außenminister,
Geehrter Herr Parteivorsitzender,
liebe Genossinnen und Genossen!

Als langjähriges Mitglied der SPD, ehemals Fraktionsvorsitzender der SPD im Gemeinderat Fischen/Allgäu und SPD-Ortsvorsitzender Fischen/Allgäu, wende ich mich an die Gremien meiner Partei mit der dringenden Bitte, sie möge sich an ihr erfolgreiches Alleinstellungsmerkmal erinnern.

Willy Brandt hat den Kalten Krieg beendet, er hat Ostpolitik an die Stelle der Konfrontation gesetzt.
Gerhard Schröder hat sich der „Koalition der Willigen“ verweigert und die Beteiligung am katastrophenträchtigen „stupid war“ gegen den Irak abgelehnt.

Friedenspolitik, dieses Alleinstellungsmerkmal der Sozialdemokratie, eine Realisierung ihres Ur-Grundsatzes internationaler Solidarität, ist aufgegeben worden! Unsere Partei und Regierung nimmt den Kalten Krieg gegen Russland wieder auf, den Willy Brandt mit so großem Erfolg beendet hatte. Die Gegenküste des Mittelmeeres wird verwüstet, Gerhard Schröders mutige Entscheidung gegen stupid wars ist jedenfalls nicht wiederholt worden.

Statt dessen reden unsere Gremien uns ein, das Alleinstellungsmerkmal der SPD sei die Durchsetzung von Gewerkschaftspositionen. Doch deren Durchsetzung ist Alleinstellungsmerkmal nicht der SPD, sondern der Gewerkschaften! Ich gehöre dem Verband deutscher Schriftsteller in der Gewerkschaft Ver’di an und bin gewiss nicht gegen deren Forderungen, ich bin dafür! Doch von meiner Partei erwarte ich Politik!

Politik wie von Willy Brandt und Gerhard Schröder! Wie auch zuletzt von Helmut Schmidt und Egon Bahr gefordert.

Ergänzend füge ich einige Erfahrungen aus meiner aktiven Zeit in Bayern bei.
Als ich den Ortsvorsitz der SPD in Fischen übernahm, haben die Grünen uns Wähler abgenommen. Sie punkteten mit Umwelt und Feminismus. Die SPD reagierte, indem sie Listenplätze an Frauen vergab und für die Erhaltung der Umwelt warb. Die Wähler aber entschieden sich für das Original, nicht für die sozialdemokratische Kopie.
Umweltbewusste SPD-Frauen zogen sich Trachtenjanker an und traten Vereinen bei, um Volkstümlichkeit zu signalisieren. Vergeblich, Freie Wähler hatten sich formiert. Sie waren nicht nur bayerisch angezogen, sie redeten  auch den heimischen Dialekt. Die von uns abgeworbenen Wähler kamen nicht zurück.
Die SPD hat Umweltbewusstsein, Frauenrechte und Volksnähe jeweils kopiert. Sie hat kein Alleinstellungsmerkmal beworben. Dieses Defizit glich sie aus, indem sie die CSU schlechtredete.

Auch nach der Abspaltung von Grünen und Freien Wählern garantierten unsere Stammwähler erträgliche Wahlresultate von um die 30 %. Wir punkteten bei fortschrittlich gesonnenen Großstädtern, andererseits bei Arbeitern in den Industriebezirken.
Jetzt aber schrumpft die Bayern-SPD in Umfragen. Sie hat noch immer kein überzeugendes Alleinstellungsmerkmal formuliert. Großstädter werden zur Linken und zu den Grünen abwandern, unzufriedene Arbeiter zur AfD. Die nächste Landtagswahl könnte Bayerns SPD bei 20 % minus sehen, die CSU bei 50% plus.
Auf Horst Seehofer zu schimpfen ändert daran überhaupt nichts.

Dennoch reagiert die SPD sowohl in Bayern wie im Bund mit der Verweigerung ihres überzeugendsten Arguments. Mit dem heutigen Datum meldet meine Lokalzeitung die SPD in Umfragen bundesweit bei 20 %.
Unser Außenminister mahnt alle Welt zum Frieden, doch Ostpolitik wie Brandt/Bahr macht er nicht und Nahost-Politik wie Gerhard Schröder auch nicht. Es bleibt bei Ermahnungen, an die keine Regierung sich hält, auch unsere nicht!

Auf dem Wirtschaftsgipfel in Davos hat der Vorsitzende unserer Partei gesagt, die Deutschen seien reich und hysterisch. Wo blieb der Aufschrei der Partei? Aber vielleicht gab es diesen Aufschrei. Ein Viertel der Delegierten verweigerte dem Vorsitzenden auf dem Parteitag die Stimme. Sie schuldeten Loyalität nicht dem Vorsitzenden, sondern der ums Nötige besorgten Bevölkerung.
Der Vorsitzende hat seine Äußerung zurückgenommen, indem er ein Programm zur Unterstützung Benachteiligter angekündigt hat. Aber das ist nur wieder die altbekannte Gewerkschaftslinie. Es reicht nicht!

Die USA hätten „nineteen trillion debt“, hörte man diese Woche William Cohen, einige Jahre Verteidigungsminister im Kabinett von Bill Clinton, während eines Besuchs in China sagen. Das Interview ist von China Cental übertragen worden. Nineteen trillion, das sind neunzehn Billionen in unserer Sprache, neunzehn Mal tausend Milliarden Dollar. Und jedes Jahr, sagte Cohen, kämen 500 Milliarden dazu.
Es müsse die Chinesen interessieren, fügte Cohen hinzu, sie seien in diese Schulden investiert. In US-Staatsanleihen, wird er gemeint haben.

Es ist klar, dass unter diesen Umständen in den USA neue Schulden für die Finanzierung der maroden Infrastruktur nicht durchsetzbar sind. Enough is enough, hört man von Republikanern.
Und im morgendlichen Pressegspräch bei BBC sagte erst gestern ein Finanzexperte, der Druck auf „das Geld“ sei groß. Es sei verzweifelt bemüht, neue Räume für profitable Investitionen zu finden. Er gebrauchte dieses Wort verzweifelt (desperate) zweimal in einer Minute.
Japans Schulden sind relativ sogar noch höher als die der USA.
Die Handelsbilanz Großbritanniens ist negativ, hörte man neulich auf BBC.
Von den wirtschaftlichen Problemen Frankreichs ist oft die Rede.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Überschuldung unserer wichtigsten Verbündeten und ihren Kriegen? Sind unsere Freunde weniger auf die Ermöglichung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit aus als auf  Anlagemöglichkeiten für ihre heimatlos um den Globus fließenden Milliarden?
Mein Parteivorsitzender ist Wirtschaftsminister, seine aberhundert Mitarbeiter werden es ihm mitteilen – doch er gibt die Auskunft nicht an uns weiter.
Man sagt uns viel, aber noch mehr wird uns verschwiegen!
Andrea Nahles hofft auf geringeren Zustrom von Flüchtlingen. Aber wir haben keine Flüchtlingskrise, wie uns eingeredet wird. Wir haben eine Glaubwürdigkeitskrise!

Die aktuelle Glaubwürdigkeitskrise kann nicht ausgesessen, sie muss schleunigst beendet werden!
Oder die deutsche Sozialdemokratie zerstört sich selbst.

Mit besten Grüßen

Michael Molsner


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