Donnerstag, 23. Januar 2025

Verrat am Kreuze

Das Kreuz verraten. Gestern der deutsch-französische Tag brachte die üblichen Leerformeln. Tatsächlich ist die Allianz immer wieder gescheitert und musste auch scheitern – der Grund ist einfach zu erkennen. Frankreich ist stolz auf seine Geschichte, ohne deren dunkle Seiten zu leugnen, ganz im Gegenteil. Wir Deutschen wollen unsere Geschichte in einem Welteinheitsbrei begraben. Es ist „Verrat am Kreuze“, schreibt Thomas Mann. Dieses Wort hat mich getroffen. Statt tausendjährige christliche Vergangenheit in unsere Zukunft hinein zu nehmen, erklären wir uns Deutsche zu Aufgeklärten. Aber es ist nicht wahr, dass wir diese Sorte Laizismus mit Frankreich teilen. Das Gegenteil ist richtiger. In großartigen Romanen und Filmen hat Frankreich sich zu seinen christlichen Monarchen und Kriegshelden bekannt. Frankreichs Stolz auf seine Geschichte ist so groß wie deutsches Bedürfnis, Schuld nur als bewältigte erinnern zu dürfen. Andere Völker und sogar Stämme sind stolz auf ihre besondere Geschichte. Erinnert sich jemand an die für mich kaum anschaubaren Filme, in denen US-Amerika den Vietnamkrieg und seine Folgen dargestellt hat? Es war ein fast schon verzweifelt wirkendes Bemühen um Wahrhaftigkeit. Es war die Auseinandersetzung mit einem verlorenen Krieg. Für Frankreichs Bewältigung, und es war eine, des Algerienkrieges, nenne ich einen Film von vielen: „Die Frau des Leuchtturmwärters“. Italiens Bewältigung des Faschismus, Filme wie „Heisser Sommer“ und die vielen Romane. Wir Deutschen haben uns nach dem verlorenen Krieg selbst leid getan. Wir waren nicht Täter, wir waren Opfer. Nicht Täter und Opfer. Nur Opfer. Als Beispiel „Der Stern von Afrika“. Und Böll? Ein armes Luder. Und Sissi, bis Romy es nicht mehr aushielt und sich nicht kaufen ließ. Das sind Allgemeinheiten, ich weiß, Gegenbeispiele können genannt werden. Heute nun gedenken wir der Befreiung von Auschwitz. Die Nachrichten, die mich erreicht haben, sind eingepackt in antirussische Propaganda. Das wird so bleiben. Deshalb vertraue ich westlichen Nachrichten nicht mehr. Statt dessen höre ich, passend zur Begleitung Thomas Manns, ungewohnte klassische Musik. Die Oistrachs, Guldenberg, in Moskau geboren und ausgebildet, das erinnert mich an Salka Viertels Familie. Alle ihre Angehörigen haben überlebt, weil sie unter Stalins Regierung rechtzeitig aus der Ukraine gerettet wurden. Gerettet vor uns – die wir jetzt die Leistungen der Roten Armee gar nicht genug zerreden können. Niemandem wird körperlich übel beim Gedanken daran, was wir den Russen wieder antun – nach allem, was wir ihnen schon angetan haben. Deutsche haben starke Mägen. Michael Molsner

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