Montag, 30. Oktober 2017

Erkennungszeichen nach Matthäus


Wie grinst Gerhard Schröder nach einem Erfolg? Grinst er selbstgefällig, überheblich? Das mot juste finden wir in einem Kommentar, der in der Ausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 28. 10. 17 erschienen ist. Demnach feiert Schröder, der übrigens testosterongesteuert und nur seinem Ehrgeiz verpflichtet sein soll,  einen Erfolg wie die kürzliche Entlassung eines deutschen  Staatsbürgers aus türkischer Haft mit wölfischem Grinsen! Arme Rotkäppchen, fürchtet euch!
Immerhin, es war ein Erfolg, den der Alt-Kanzler im Auftrag der Bundesregierung in Ankara erzielt hat. An ihren Früchten  sollt ihr sie erkennen, heißt es sinngemäß in der Bibel.
Der Satz geistert mir schon durch den Kopf, seit unsere Medien wieder verstärkt vor China warnen. Was tut China uns Schlimmes an? Es investiert weltweit in Handelswege, baut Brücken, Eisenbahnen, Häfen. Es saniert marode Unternehmen, modernisiert sie, schafft gut bezahlte Arbeitsplätze. Nicht zuletzt auch hier, wo ich wohne.
Wir westlichen Demokratien hingegen investieren weltweit in Kriege. Libyen ist verwüstet, Syrien fast schon zerstört gewesen, der Irak geteilt.
Beim Wahlvolk kommt an, dass die Medien uns über diese Diskrepanz nicht berichten, sie bepredigen uns. Wir werden ermahnt, nur das für wahr zu halten, was die Dreieinigkeit von Politik, Medien und Amtskirchen uns glauben machen möchte – auch wenn es unseren Erfahrungen krass widerspricht.
Zum Beispiel den Erfahrungen, die wir in Duisburg mit China machen, wo der duisport ein ganz unglaubliches Erfolgsmodell ist, ein ständig wachsender Umschlagplatz für Waren aus aller Welt, einer der Ankerplätze der Neuen Seidenstraße. Sie verbindet, sie trennt nicht. Und eben das soll die ungeheure, von uns allen sträflich unterschätzte Gefahr sein, vor der wir nicht genug auf der Hut sein können. So habe ich es vor einiger Zeit in der International New York Times gelesen, dann auch in der Süddeutschen Zeitung,  der FAZ …
Bei mir kommt die Warnung an, China mache Propaganda für sein Gesellschaftsmodell. Da ich nun aber die Nachrichtensendung von China Global Network Television ganz besonders informativ finde, weiß ich, dass China sich als Entwicklungsland begreift, nicht als schon entwickelte Gesellschaft. Man kämpft dort noch mit Mangelerscheinungen und gibt das nicht nur zu; es wird kontrovers diskutiert, wobei Experten aus unterschiedlichen Kulturkreisen zu Wort kommen.
In unseren Medien wird nicht diskutiert, was andere für Erfahrungen machen. Unsere Werte zählen, basta. Wer sie noch nicht einführen kann, weil die Gesellschaft auf einem weniger entwickelten Stand ist, setzt sich unserer Missbilligung aus, wird  mit Sanktionen belegt – oder gar militärisch angegriffen.
Auf diese Weise fällt unser Gesellschaftsmodell einer rechtsstaatlichen Demokratie im Wettbewerb der Systeme zurück. Das kann sich ändern, wenn wir aufhören, Neokolonialismus und Neoimperialismus als Demokratie-Export zu tarnen. Wer soll es uns glauben? Die Kriegsbeute im Innern gerechter zu verteilen, nicht gar so ungleichmäßig wie bisher, wird auf Dauer nicht genügen.
An unseren Früchten wird man uns erkennen, siehe Matthäus 7/ 19-20.     



Samstag, 28. Oktober 2017

#Lav yu Göhte


Der Zufall hat mir ein Taschenbüchlein des Fischer Verlags in die Hand gespielt, das ich als Bereicherung empfinde. Verschiedene Autoren äußern sich „Zum Thema Goethe“, so der Titel des schmalen Bändchens. Eine Ansprache Sigmund Freuds im Frankfurter Goethe-Haus ist abgedruckt. Der berühmte Seelenerforscher war der dritte Träger des Goethe-Preises, der 1927 gestiftet worden war. Wegen seiner Krankheit war Freud außerstande, die Rede selbst zu halten; statt seiner las Anna Freud den Text am 28. August 1930 vor, dem Geburtstag Goethes.
Diese Details hätte ich kaum beachtet, wäre mir nicht aufgefallen, dass Freud  ein selten gespieltes  Stück als Goethes vielleicht erhabenste Dichtung bezeichnet, „Iphigenie auf Tauris“. Das Stück gilt als realitätsfern, Bildungsliteratur, Abitursthema – kurz, als langweilig. In der Biografie von Richard Friedenthal wird betont, dass Schiller bestimmte Szenen für so unwahrscheinlich hielt, daß er dem Stück Bühnenwirksamkeit absprach. Es geschehe nichts, man rede nur miteinander.
Ist das Erhabene langweilig? Ich wollte es wissen und habe das vor vielen Jahren erstmals gelesene Drama noch einmal vorgenommen. Damals hat es mich wenig berührt, obgleich die Schönheit einiger Verse mir auffiel. Gemerkt habe ich mir den Anfang, wo Iphigenie am Strand steht, „das Land der Griechen mit der Seele suchend“.
Die neuerliche Lektüre aber hat mich tief bewegt und sogar, wie ich gestehe, zu Tränen gerührt. Es liegt nicht an der äußeren Handlung, deren Statik Schiller bemängelt hat. Durch Freuds Hinweis aufmerksam geworden, achtete ich auf das innerpsychische Geschehen der Figuren und besonders der Hauptfigur.
Iphigenie stammt aus einem Geschlecht, dessen Mitglieder von furchtbaren Morden belastet sind. Eine Göttin entführt sie nach Tauris, wo man anlandende Fremde einer Göttin opfert, deren Priesterin Iphigenie wird. Ihr widersteht der barbarische Brauch. Im Einvernehmen mit dem Herrscher, der sie heiraten möchte, kann sie Fremde retten – auch zwei griechische Landsleute, was umso bedeutsamer ist, als einer von ihnen ihr Bruder Orest ist. Er wird wegen Muttermordes von Furien gehetzt und glaubt, eine Weissagung missdeutend, der Fluch würde von ihm genommen, wenn er das Bild der Göttin raube. Zugleich mit diesem Bild will er die Schwester entführen.
Iphigenie geht darauf ein. Doch weil der Herrscher ihr zum zweiten Vater geworden ist, bringt sie den Verrat nicht über sich und gesteht ihm den Plan. Der Herrscher gibt sie frei.       
Kritiker halten das für eine Beschönigung. Gewalttätigkeit sei nicht durch Aufrichtigkeit zu besiegen.
Freud aber denkt nicht an Politik. Er schreibt: „In seiner vielleicht erhabensten Dichtung, der ‚Iphigenie’, zeigt uns Goethe ein ergreifendes Beispiel einer Entsühnung, einer Befreiung der leidenden Seele von dem Druck der Schuld, und er läßt diese Katharsis sich vollziehen durch einen leidenschaftlichen Gefühlsausbruch.“
Dass eine Ent-Deckung verdrängter Schuld befreiend wirkt und als heilsam empfunden wird, hat Freud bei der Behandlung seiner Patienten erfahren. Goethe wird es schreibend erfahren und empfunden haben.     
Und wir Nachkriegs-Deutschen, denke ich, wissen es auch.



Donnerstag, 26. Oktober 2017

#MeNot


Im fünfzehnten Jahrhundert  konnte man im Sittenbüchlein des Klosters Bursfelde lesen, was man den deutschen Damen zu sagen hatte und wohl sagen musste: Ein Fräulein von Stand soll aber die Butter nicht mit dem Daumen aus Brot streichen, soll auch die Suppe nicht laut vom Teller schlürfen wie ein Kalb, sondern leise wie eine Jungfrau, und soll die Finger nicht bis ans Handgelenk in die Brühe tauchen!

Das hat eine Freundin mir dieser Tage gemailt, um mich zu erheitern. Die Freundin habe ich vor vielen Jahrzehnten – wir waren beide erst 22 – als anmutige junge Frau wahrgenommen und ihr das gesagt, obgleich wir einander nicht kannten. Sie war keineswegs beleidigt und wir hatten ein schönes halbes Jahr zusammen. Und nun sind wir längst wieder in teilnehmender Verbindung.

Viele heulten mit den Wölfen oder liefen mit den Schafen bei der Verfolgung von
Katholiken (unter Bismarck), Sozialdemokraten (unter Kaiser Wilhelm II.), Juden (unter Hitler), Kommunisten (unter Adenauer), Imper’listen (unter Ulbricht).
Viele heulen mit den Wölfen oder laufen mit den Schafen bei der Hetze gegen den Kreml (Medien), gegen Peking (Medien), gegen Rechtskonservative (Medien), und neuerdings gegen Männermacht in der „Männerwelt“ von Film, Musik, Politik undsoweiter; die Liste scheint vorerst nicht enden zu wollen. #MeToo unleashed hat die International New York Times am 23. 10. 2017 getitelt.

Zum letzten Punkt möchte ich einige Erfahrungen beisteuern. Bei der Besprechung eines Drehbuchs im Büro eines Filmproduzenten saß ich in dessen Büro, als der Anruf einer bekannten deutschen Filmschauspielerin einging und von seiner Sekretärin entgegen genommen wurde. Diese richtete aus, der Filmstar erwarte ihn am Drehort und bitte ihn, zu kommen. Sie friere und müsse von ihm warm gerubbelt werden, um weiterarbeiten zu können.
Der Produzent ließ ausrichten, er lasse sofort eine Heizdecke und heißen Tee schicken.
Mit anderen Worten, man kann Nein sagen – das gilt beiderseits.
Ich habe immer abgelehnt, wenn mir Förderung unter Bedingungen angeboten wurde, die sich mit meinen Vorstellungen von persönlichem oder beruflichem Anstand nicht vertrugen. Gewiss hat das öfters zu voraussehbaren Nachteilen geführt. Aber ich bin nie gezwungen worden, etwa mit Gewalt.
Beim Jahresempfang eines bedeutenden Literatur-Agenten stellte eine Verlegerin ihren jungen Begleiter mit den Worten vor: „Das ist mein Jungbrunnen“. Und nannte dessen Vornamen.
Der junge Mann wusste sichtlich nicht, wie er reagieren sollte.
Die Situation war aber auch für uns Umstehende peinlich. Was soll man tun, wenn ein Machtmensch einen Abhängigen quasi scherzhaft zu beleidigen scheint? Und ist es tatsächlich wichtig, ob der Machtmensch ein Mann oder eine Frau ist?
Beleidigung, Nötigung und Vergewaltigung sind Straftatbestände. Kindesmissbrauch erst recht.
Taktlosigkeit aber ist nicht strafbar und dennoch verletzend.
Was nachträglichen Mut betrifft, bin ich skeptisch, besonders wenn er massenhaft auftritt.
Einst war es offenbar von Vorteil, sich der Macht zu beugen. Jetzt ist es von Vorteil, Macht anzuklagen.

Auf den Vorteil scheint es anzukommen. 

Donnerstag, 5. Oktober 2017

Berichterstattung über Rosneft

Vielleicht lese ich ja die falschen Zeitungen oder zu wenige - aber selbst im Netz finde ich lediglich Polemiken, was die Aufgabe betrifft, die Gerhard Schröder bei Rosneft übernommen hat.
Mir fehlt ein sachlicher Bericht, der mir erklärt, was Rosneft ist. Deshalb habe ich nach Tatsachen gesucht, wie sie in Berichten stehen sollten, und folgende gefunden:

Rosneft

Der Konzern hält mit 54 Prozent die Mehrheit an der Raffinerie PCK in Schwedt und ist mit jeweils rund einem Viertel der Anteile an der Bayernoil mit Sitz in Vohburg und an Miro in Karlsruhe beteiligt. Bundesweit beschäftigt das Unternehmen, das nach eigenen Angaben über die weltweit größten Rohölvorräte verfügt, etwa 5000 Menschen.

Der schweizer Konzern Glencore und der Investmentfonds des Emirats Katar übernahmen je 9,75 Prozent Anteile an Rosneft. Der britische Energieriese BP hält 19,75 Prozent. Größter Eigner bei Rosneft bleibt der russische Staat, vertreten durch die Holding Rosneftegas, mit 50 Prozent plus einer Aktie.
Glencore ist seit längerem in Russland aktiv und besitzt Anteile an der Ölfirma Russneft (25 Prozent) und dem Aluminiumproduzenten Rusal (10 Prozent). Der Staatsfonds aus Katar ist am Flughafen von St. Petersburg beteiligt und steigt nun erstmals in die russische Energiebranche ein. Auch ein chinesischer Energieriese ist eingestiegen.
Der russische Ölkonzern Rosneft will in den kommenden fünf Jahren rund 600 Millionen Euro in Deutschland investieren. Es gehe etwa um die Modernisierung von Raffinerien und darum, Sicherheits- und Umweltstandards zu erhöhen, sagte der Chef des Staatsunternehmens, Igor Setschin. Etwa die Hälfte der Gesamtinvestitionen würde derzeit bereits umgesetzt.
Rosneft liefert bereits etwa an Tankstellen des französischen Total-Konzerns.

Der Konzern ist in London und St. Petersburg börsennotiert. Er ist strukturiert wie eine westliche Aktiengesellschaft. Also mit Aufsichtsrat, Geschäftsführung usf., er unterliegt der Börsenaufsicht. Das gleiche gilt für die Hauptaktionäre. Neben den Hauptaktionären gibt es einen weit gestreuten Besitz von Kleinaktionären. Die Aktie kann gehandelt werden wie jede andere.





Sonntag, 1. Oktober 2017

Erneuerung?

Erneuerung versprechen uns die noch nicht abgewählten Politiker. Dazu ist mir ein altes Volkslied eingefallen:
Das Jungbrünnlein
Und im Schneegebirge,
da fließt ein Brünnlein kalt,
|: und wer das Brünnlein trinket, :|
wird jung und nimmer alt.
Ich hab daraus getrunken
gar manchen frischen Trunk;
|: ich bin nicht alt geworden, :|
ich bin noch allzeit jung.
"Ade, mein Schatz, ich scheide,
ade, mein Schätzelein!"
|: "Wann kommst du aber wieder, :|
Herzallerliebster mein?"
"Wenn's schneiet rote Rosen
und regnet kühlen Wein.
|: Ade, mein Schatz, ich scheide, :|
ade, mein Schätzelein."
"Es schneit ja keine Rosen
und regnet keinen Wein:
|: so kommst du auch nicht wieder,:
Herzallerliebster mein!"
Warum enden eigentlich so viele deutsche Volkslieder so traurig? Happy-end wär doch auch mal ganz schön.




Brillanter Journalismus

Beschimpfung Abgehängter im Inland, Eroberungskriege nach außen - damit haben Amerikas Demokraten die Präsidentschaftswahl nicht etwa gewonnen, sondern verloren. Gleichwohl haben unsere deutschen (Volks-)Parteien - als wären sie realitätsresistent -  genau diese Politik der US-Wahlverlierer im hiesigen Wahlkampf vehement vertreten und propagiert und ebenfalls viele Stimmen verloren. Sie erklären uns nun, so weitermachen zu wollen wie bisher. Dagegen wenden sich zwei brillante Journalisten.
Peter Unfried aktuell in der Wochenend-Ausgabe der taz schreibt (sinngemäß): Wir in der alten Bundesrepublik haben nach der Kriegsniederlage durch Anschluss an den Westen gelernt, dass wir nicht den Krieg verloren haben, sondern von der Schreckensherrschaft der Nazis befreit worden sind und eine Demokratie aufbauen halfen. So konnten wir eine schöne Geschichte unseres Deutschland erzählen. Im Gegensatz dazu gönnen wir den Ostdeutschen keine Geschichte Deutschlands, in der sie eine auch nur ordentliche Rolle spielen. Dagegen begehren die Ostdeutschen auf. Dumme rückständige untüchtige Männer. Sollen was lernen. So schlau werden wie wir. Klingt nach Hillary Clinton, der Verliererin. Wahlsieger beschimpfen wir, Ehrensache, wir bleiben dabei. Man könnte zwar aus dem Wahlsieg unserer Gegner Trump oder AfD auch was lernen - aber lernen, wir? Weshalb denn? Wir stellen keine Fragen , wir geben Antworten.
Brillant auch die Analyse von  Peter Richter in der aktuellen Wochenend-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung. Er spricht mit einem von ihm geschätzten Soziologen, der es sogar für möglich hält, dass nicht Ostdeutsche die Zurückgebliebenen sind, sondern wir Wessies. Und dass Ostdeutsche die Avantgarde sind. Dass sie in die Zukunft reiten, die freilich riskant sein mag - doch wer habe je behauptet, die Zukunft sei ungefährlich oder gar gemütlich?
Peter Unfried ist mit seinen Grünen so unglücklich wie ich mit meiner SPD. Und weshalb Peter Richter überhaupt in der SZ schreiben darf, obgleich die gesamte Außenpolitik des Blattes den Neocons der US-Ost-und Westküste verpflichtet scheint, ist mir ein Rätsel.
Beide "Peter" sind Glanzpunkte des deutschen Journalismus. Sie schreiben gegen die Parteilinie ihrer Zeitungen an. Dass man sie nicht feuert, mag daran liegen, dass auch sie gut vernetzt sind - oder dass selbst die vernageltsten Redaktionsleiter vor der sprachlichen Brillanz dieser Kollegen die Fäuste senken.
Doch ändern wird sich nichts. Darf sich nichts! Sagen CDU, SPD, Grüne. Die CSU zaudert. Lindner von der FDP mutiert zum Hoffnungsträger. Sarah Wagenknecht von der Linken verhindert nicht die irre Sternchen-Durchgenderung unserer Sprache. Die AfD ist Trump und wird wie dieser mit Pfui und Bäh bedacht.
Die Todeszone breitet sich aus. Beschimpfung Zurückbleibender im Inland, Eroberungskriege im Ausland, Regimechange in aller Welt..