Mittwoch, 30. November 2016

Siebenundzwanzigster Brief

Freie Medien? Es gibt sie. Die große deutsche Journalistin Margret Boveri gab dazu einen wichtigen Hinweis: "Wir alle lügen Sie an, und es ist Ihre Sache, aus den verschiedenen Dingen, die Sie hören, die Wahrheit herauszufinden." Freie Medien sind demnach unsere eigenen Köpfe: wir selbst als Empfänger und Verbraucher von Informationen.
Wir verlassen uns auf Journalisten, die allerdings Zwängen unterliegen. Dafür ein Beispiel, das nicht jeder kennt.
Einer der bedeutendsten deutschen Journalisten überhaupt, Mentor und Freund Margret Boveris, war Paul Scheffer. Wohlhabend von Haus aus, war er konservativ. Politisch interessiert, knüpfte er Beziehungen zu Politikern auch "linker" Parteien und zu Diplomaten. Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg war er für das Berliner Tageblatt langjährig in Moskau als Korrespondent tätig. Er berichtete über den Aufbau des weltweit neuartigen sozialistischen Wirtschaftssystems. Nicht nur Unterdrückung und Misserfolge wurden von ihm registriert, auch die Stabilisierung der neuen Gesellschaftsordnung. Seine glänzend beobachteten und geschriebenen Berichte ergaben eine Chronik vieler Entbehrungen und langsam sich einstellender Erfolge.
Besonders letztere irritierten in Berlin. Der legendäre Chefredakteur Theodor Wolff ermahnte seinen Korrespondenten, doch bitte mehr Rücksicht auf deutsche Wirtschaftsführer zu nehmen. Einige hätten die Zeitung bereits abbestellt, um nicht lesen müssen, was ihnen widerstrebte: dass der Sozialismus die Zustimmung großer Teile der russischen Bevölkerung fand.
Berliner Vorstandsvorsitzende und Bankiers schlossen messerscharf, dass nicht sein kann, was nicht sein darf.
Musste Scheffer sich dem Druck der Redaktion beugen? Wollte er es? Jedenfalls scheint er gegenüber dem Moskauer Regime zunehmend kritisch geworden zu sein. Der Kreml erklärte ihn für unerwünscht. Unter den Nazis wechselte Scheffer nach New York und berichtete von dort. Er hat den Zweiten Weltkrieg überlebt.
Einzelheiten sind nachzulesen in einer wissenschaftlichen Untersuchung von Bärbel Holtz, "Paul Scheffer und die UdSSR". Ich habe die Quelle im Netz gefunden, die Arbeit aber nur als Druck bestellen können. Sehr interessant, wenn man sich - wie ich - professionell für die Freiheit der Informationsbeschaffung einsetzt und dabei keine allzu groben Fehler machen möchte.


 

  

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