Freitag, 19. August 2016

Zwanzigster Brief


"The truth is incontrovertible. Malice may attack it, ignorance may deride it, but in the end, there it is." Winston Churchill

Ich habe gelernt, Tatsachen zu lesen. Also nicht, was hier oder dort als Tatsache gemeldet wird, sondern was Tatsachen sind und nicht Faktoide. Dass ich richtig liege, merke ich, wenn Prognosen, die ich auf zwei Jahre ansetze, sich in oder nach dieser Zeit als zutreffend erweisen.
Es gibt aber einen überzeugenderen Beweis. In Zeitungsbeiträgen, die Winston Churchill alle vierzehn Tage von 1936 an in vielen Ländern veröffentlicht hatte, war aufgelistet, dass der deutsche Führer und Reichskanzler Adolf Hitler den Krieg vorbereitete. Die Engländer und insbesondere ihre Regierung unter Premierminister Neville Chamberlain wollten damals glauben, dass Hitler den Frieden wollte - wie dieser das immer wieder in öffentlichen Reden versicherte und durch seine Diplomaten in London vortragen ließ.
Churchill begründete zahlengenau, dass Hitler den Krieg plante. Einen Krieg, für den England nicht vorbereitet und nicht gerüstet war, und den es nach allen Regeln der Wahrscheinlichkeit verlieren würde – falls die Regierung nicht sofort umsteuerte, um England zu retten.
Doch die Regierung hörte auf Churchill nicht, er war als Kriegstreiber verschrien, Chamberlain und seine Minister verachteten ihn geradezu. Er sei, hieß es in der auf Regierungskurs gleichgeschalteten britischen Presse, aus bloßer Eitelkeit darauf aus, sich wichtig zu machen, sich in den Vordergrund zu spielen: ein Clown, der die von ihm und niemand sonst (so hieß es allenthalben!) verschuldete furchtbare Kriegsniederlage gegen Deutschland und die mit ihm verbündete Türkei bei Gallipoli vergessen machen wolle.   
Tatsachen fielen nicht ins Gewicht gegen diese massive Propagandawelle.

Endlich am 10. März 1939 pflichtete ein einziger ausländischer Regierungschef Churchill bei. Es war Josef Stalin. Auch er warnte öffentlich vor einem Weltkrieg und verband seine Warnung mit einem Angebot an die nichtaggressiven Staaten, England und Frankreich vor allem, mit Sowjetrussland ein Waffenbündnis zu schliessen. Eine solche Allianz werde die aggressiven Staaten Japan, Italien und Deutschland davon abhalten, ihren bereits begonnenen Weltkrieg auf Europa auszudehnen.
Japan hatte Nordchina besetzt, Italien Abessinien, Deutschland Nordspanien angegriffen. Der Krieg reichte also bereits vom fernen Asien über Afrika bis an die Atlantikküste, weshalb Stalin vom bereits begonnenen Weltkrieg sprach.
Churchill reagierte mit leidenschaftlicher Vehemenz.


Quelle :
Winston S. Churchill
SCHRITT FÜR SCHRITT
1936-1939
2. Auflage 1940
ALLERT DE LANGE
AMSTERDAM

Im Original: Step by Step.
Ins Deutsche übertragen von Franz Fein


DAS RUSSISCHE GEGENGEWICHT

4. Mai 1939

(Auszug)
Die Aufkündigung des deutsch-polnischen Nichtangriffs-
paktes von 1934 ist ein ausserordentlich ernster und bedroh-
licher Schritt… Stillschweigend wird damit Polen zu ver-
stehen gegeben, dass es jetzt in der Zone potentieller An-
griffe liegt...
Aber der Regierung Polens muss mit der grössten Deut-
lichkeit klargemacht werden, dass die ernsthafte und gründ-
liche Mitarbeit Sowjetrusslands im Friedensblock der Na-
tionen für die Verhütung des Krieges ausschlaggebend sein
kann und auf jeden Fall für den Enderfolg notwendig sein
wird…
Vor allem darf keine Zeit verloren werden. Schon sind
zehn, zwölf Tage vergangen, seitdem das russische Angebot
gemacht wurde…
Ohne die aktive Mithilfe Russlands gibt es keine Möglich-
keit, eine Ostfront gegen Naziangriffe aufrecht zu erhalten.
Russland hat das grösste Interesse daran, die Durchführung
von Herrn Hitlers Anschlägen in Osteuropa zu verhindern.
Noch sollte es möglich sein, alle Staaten und Völker von der
Ostsee bis zum Schwarzen Meer in einer gemeinsamen festen
Front gegen neue Frevel oder überfälle zusammenzu-
schliessen. Eine solche Front kann, wenn sie mutig und mit
energischen, wirksamen militärischen Massnahmen errichtet
wird, im Verein mit der Macht der Weststaaten noch Hitler,
Göring, Himmler, Ribbentrop, Göbbels & Co. Kräfte gegen-
überstellen, die das deutsche Volk nur sehr ungern heraus-
fordern würde.


DAS ENGLISCH-TÜRKISCHE BÜNDNIS

15. Mai 1939

(Auszug)
Die Folgen des englisch-türkischen Bündnisses, auf das
jetzt zweifellos rasch ein französisch-türkisches Bündnis fol-
gen wird, können kaum überschätzt werden. Eine neue sta-
bilisierende Kraft von überwältigendem Ausmass ist im
Mittelmeer wirksam geworden.
… Die den Westmächten ge-
gebene Möglichkeit, durch die Dardanellen und das Schwar-
ze Meer mit Russland Kontakt zu haben und in Verbindung
zu bleiben, hat sich als lebensnotwendig für die Verteidigung
Osteuropas in einem Krieg gegen deutsche Invasionen er-
wiesen. Der Weizen und der Handel Südrusslands hat nun,
solange die britische und die französische Flotte das Mittei-
meer beherrschen, freien Zugang zu den Weltmärkten, und
umgekehrt kann alles, was an Kriegsgeräten und Roh-
materialien gebraucht wird, zu den russischen Häfen im
Schwarzen Meer geschafft werden.
… Wenn Russland und
die Türkei die Herrschaft über das Schwarze Meer verlören,
könnte jeder Hafen an seinen Küsten die Landungsbasis
für den deutschen ,,Marsch nach dem Osten" werden, von
dem schon so lange die Rede ist. In der Tat, es gab niemals
eine selbstverständlichere Einheit der Interessen als die der
Anrainer des Schwarzen Meeres. Wenn sie nicht zusam-
menhalten, müssen wieder unendliche Leiden ihr Los sein.



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