Samstag, 20. August 2016

Einundzwanzigster Brief


Emile Zola: „La vérité est en marche, et rien ne l’arrêtera.“

Modifiziert von Georg Lukásc 1957 in seinem Postscriptum in MEIN WEG ZU MARX:
„La vérité est lentement en marche, et à la fin des fins rien ne l'arrêtera.“

„Es geht offensichtlich einem neuen Krieg entgegen“, warnte Josef Stalin bereits Anfang 1934 den XVII. Parteitag der KPdSU (B). Wie 1914 hatten aggressive Mächte begonnen,  eine Neuaufteilung der Weltmärkte durch Krieg zu erzwingen. Stalin:
„Der Krieg Japans gegen China, die Okkupation der Mandschurei, der Austritt Japans aus dem Völkerbund und der Vormarsch in Nordchina haben die Lage noch mehr verschärft. Die Verschärfung des Kampfes um den Stillen Ozean und das Anwachsen der Rüstungen zur See in Japan, den Vereinigten Staaten, England, Frankreich bilden das Ergebnis dieser Verschärfung.“
„Der Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund und das Revanchegespenst haben einen neuen Anstoß zur Verschärfung der Lage und zum Anwachsen der Rüstungen in Europa gegeben.“
Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt betont Stalin, dass die Sowjetunion bereit sei, mit jedem Staat Friedensverträge abzuschließen. Sie werde konsequente Aufbaupolitik des eigenen Landes betreiben und sich nicht in fremde Händel verstricken lassen. 
Also schon 1934 wird die Möglichkeit eines Friedensvertrages auch mit Nazi-Deutschland konstatiert:
„Gewiss, wir sind weit davon entfernt, von dem faschistischen Regime in Deutschland entzückt zu sein. Doch handelt es sich hier nicht um den Faschismus, wie allein die Tatsache zeigt, dass der Faschismus zum Beispiel in Italien für die UdSSR kein Hindernis war, die besten Beziehungen zu diesem Lande herzustellen. Es handelt sich auch nicht um vermeintliche Änderungen in unserer Stellung zum Versailler Vertrag. Uns, die wir die Schmach des Brester Friedens ausgekostet haben, liegt es fern, den Versailler Vertrag zu lobpreisen. Nur sind wir nicht damit einverstanden, dass die Welt dieses Vertrages wegen in den Abgrund eines neuen Krieges gestürzt werde. Dasselbe ist von der vermeintlichen Neuorientierung der UdSSR zu sagen. Wir hatten keine Orientierung auf Deutschland, ebenso wenig wie wir eine Orientierung auf Polen und Frankreich haben. Wir orientierten uns in der Vergangenheit und orientieren uns in der Gegenwart auf die UdSSR und nur auf die UdSSR. (Stürmischer Beifall.) Und wenn die Interessen der UdSSR eine Annäherung an diese oder jene Länder erheischen, die nicht an der Störung des Friedens interessiert sind, so sind wir dazu, ohne zu schwanken, bereit.“
Winston Churchill wusste, welch ungeheure Gefahr den Demokratien drohte, falls sie das Waffenbündnis mit Stalin ablehnten. Daher sein leidenschaftliches Eintreten für die Annahme des Angebots vom 10. März 1939.
Stalin  hatte sich bereits fünf Jahre zuvor eine zweite Option vorbehalten: den Nichtangriffspakt mit dem Dritten Reich. Und was Churchill bekannt war, wusste auch Hitler. Kurz bevor er am 1. September 1939 den Zweiten Weltkrieg auslöste, schickte er seinen Außenminister zu Friedensverhandlungen nach Moskau. Der Abschluss des Paktes schockierte die europäische Linke. Sie hatte nicht gelernt, Tatsachen zu lesen.
Dass aber Stalin von Anfang an Hitlers Rassengreuel gutgeheißen haben soll, scheint nicht zu stimmen. Stalin 1934:
"Bekanntlich blickte das alte Rom auf die Vorfahren der heutigen Deutschen und Franzosen genauso, wie jetzt die Vertreter der „höheren Rasse“ auf die slawischen Stämme blicken. Bekanntlich betrachtete das alte Rom sie als „niedere Rasse“, als „Barbaren“, die dazu bestimmt seien, für alle Ewigkeit der „höheren Rasse“, dem „Großen Rom“, unterworfen zu sein, wobei übrigens - unter uns gesagt - das alte Rom dazu einigen Grund hatte, was man von den Vertretern der jetzigen „höheren Rasse“ nicht sagen kann. (Beifallssturm.) Was ist aber dabei herausgekommen? Herausgekommen ist dabei, dass sich die Nichtrömer, das heißt alle „Barbaren“, gegen den gemeinsamen Feind zusammenschlossen und Rom über den Haufen rannten. Es fragt sich: Wo ist die Garantie, dass die Prätensionen der Vertreter der jetzigen „höheren Rasse“ nicht zu denselben kläglichen Ergebnissen führen werden? Wo ist die Garantie, dass die schriftstellernden faschistischen Politiker in Berlin mehr Glück haben werden als die alten kampferprobten Eroberer in Rom? Wäre es nicht richtiger, das Gegenteil anzunehmen?"   
Quelle: Rechenschaftsbericht des ZK an den XVII. Parteitag der KpdSU (B). Auszüge. Der gesamte Text unter stalinwerke.de im Internet. Band 13 anklicken.

Die Gastgeberin der deutschen Emigration in USA, Salka Viertel, in ihren Lebenserinnerungen „Das unbelehrbare Herz“, spricht günstig über die Behandlung von Juden in der Ukraine unter sowjetischer Besatzung:

„Der letzte Akt der grauenhaften deutschen Tragödie, der Nürnberger
Prozeß, ging zu Ende. Es war erstaunlich, wie wenig Interesse er er-
weckte.
Überlebende aus Dachau und Auschwitz trafen in den Vereinigten
Staaten ein - kläglich wenige nur. Die eintätowierten Zahlen an ihren
Armen, ihre Augen, in denen noch die Schrecken geschrieben standen,
die sie gesehen hatten, bereiteten mir schlaflose Nächte.
Mr. Warner erzählte uns, wie er auf einer vor kurzem unternomme-
nen Europareise Matisse besucht und spottbillig Bilder französischer
Maler gekauft hatte. Dann kam die Rede auf die kommunistische Gefahr,
und Warner sagte, der Antisemitismus in Rußland sei ebenso brutal und
grausam wie in Deutschland. Immer noch würden Tausende von Juden
umgebracht. Ich erwiderte, ich wisse von meiner Mutter, die zwei |ahre
unter sowjetischer Herrschaft gelebt hatte, daß ofliziell kein Antisemitis-
mus existiere und es keine Pogrome gebe. In meiner Heimatstadt Sambor
seien die Juden während der sowjetischen Besetzung anständig behandelt
worden. Als ich erwähnte, daß meine Mutter seit 1941 bei mir lebte,
wollte Warner wissen, wie ich sie herausgeholt hatte, doch mein Mitau-
tor unterbrach mich und sagte lächelnd: «Salka ist Kommunistin, Mr.
Warner.» Es sollte wohl ein Scherz sein, aber es klang wie ein Angriff;
Blanke kam mir sofort zu Hilfe. «Das ist sie nicht !» sagte er. «Es bedeutet
doch nicht, daß man Kommunist ist, wenn man die Ansicht vertritt, daß
man den sowjetischen Antisemitismus nicht mit den Verbrechen der
Nazis vergleichen kann.»
«Man kann ihn aber durchaus mit dem Antisemitismus in Amerika
vergleichen», sagte ich. «Er ist in Rußland ebenso verfassungswidrig wie
hier und trotzdem nicht auszumerzen. Ich glaube, alle waren meiner
Meinung, denn niemand leugnete, daß es in Amerika Antisemitismus
gab, und damit war die Diskussion beendet. Die Probevorführung war ein
großer Erfolg, und Mr. Warner sagte mir, daß er das Drehbuch ausge-
zeichnet finde. Es war das letzte Mal, daß ich in einem großen Studio
arbeitete.

Quelle: Salka Viertel, Kapitel 42 in „Das unbelehrbare Herz“,
Ein Leben in der Welt des Theaters, der Literatur und des Films.
1970 Claassen Verlag, 1979 Rowohlt TB.


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