Samstag, 30. Juli 2016

Sechzehnter Brief

Eigenartige Meldungen aus USA heute Samstag, 30. Juli 2016, in "Das politische Magazin" meiner Lokalzeitung. Der US-Korrespondent der nrz meldet, Hillary Clinton habe in ihrer Nominierungsrede zwei Leitgedanken betont. Der erste: Trump ... Der zweite: Trump ... Jeweils habe man dann von Clinton gehört, was Trump alles falsch machen würde, wäre er Präsident. Sie wolle, schreibt der Korrespondent im Kommentar zu seinem Bericht, da weitermachen, wo Obama nach acht Jahren aufhöre. "Aber die destruktive Stimmung im Land war noch nie so stark."
Was die destruktive Stimmung u.a. mit erzeugt haben könnte, steht in der Meldung direkt neben diesem Kommentar: "Afghanische Regierung verliert Boden gegen Taliban". Demnach kontrolliert die Regierung in Kabul nur noch zwei Drittel der Bezirke ihres Landes. 2015 seien in Gefechten mit den Taliban 7000 Regierungssoldaten und Polizisten gefallen, doppelt soviele verletzt worden. 2016 seien die Zahlen weiter gestiegen.
Aus anderer Quelle, nämlich von der linksorientierten US-Gruppe The Hawks, habe ich im Fernsehen gehört, dass die USA in Afghanistan bisher eine Billion Dollar ausgegeben haben, um die Kabuler Regierung zu stabilisieren, das sind 1000 Milliarden (Dollar!!), 33 000 pro Kopf jedes Afghanen.
Dabei ist zu bedenken, dass die von den Taliban kontrollierten Bezirke die wichtigsten Anbaugebiete von "poppies" (Mohn) enthalten. Die Lieferungen von Opium und Morphin gehen vor allem nach USA. Die Vereinigten Staaten finanzieren demnach erstens den Krieg Kabuls gegen die Taliban wie zweitens auch den Krieg der Taliban gegen Kabul - und drittens zusätzlich die Drogenschwemme nach USA, die viertens aber ebenfalls von Washington eingedämmt werden soll und als war against drugs, Krieg gegen die Drogen, bezeichnet wird. Denn diese tragen zur moralischen Verwahrlosung in den Ghettos amerikanischer Großstädte bei, die wiederum die Gewaltbereitschaft von street gangs fördert - was fünftens die teure Aufrüstung der Polizei mit Kriegswaffen erforderlich macht.
Diese Politik kann Hillary Clinton nicht fortsetzen wollen. Irgendetwas verstehe ich hoffentlich falsch.

Montag, 18. Juli 2016

Fünfzehnter Brief

Hat Kuba sich vier Jahrzehnte lang von der Welt abgeschottet? In der Süddeutschen Zeitung habe ich das letzte Woche gelesen. 
Es hat mich an einen Film erinnert, den Errol Flynn gedreht hat: 1959 - sein Todesjahr - drehte er noch eine Dokumentation über die kubanische Revolution. Er hat die Revolutionäre in ihren ständig wechselnden Gebirgs-Camps besucht, als  sie noch von Batistas Armee verfolgt wurden, und überliefert uns Aufnahmen von Fidel Castro und Che Guevara aus den letzten Wochen vor ihrem siegreichen Einzug in Havana, und dann den triumphalen Empfang dort. Errol feiert sie als tapfere Freiheitskämpfer, die ein Beispiel seien für alle unterdrückten und ausgebeuteten Völker Lateinamerikas.
Es ist die letzte Botschaft, die Errol Flynn an seine Fans gerichtet hat. Ich bin wohl sehr anhänglich und auch ein wenig sentimental, dass ich so sehr berührt davon bin, und mir die Doku gestern noch einmal angesehen habe. Errol sieht gesund und zuversichtlich aus, nicht wie jemand, der vor Jahresende sterben wird. 
Es gibt auch zwei wunderbare Spielfilme, die von der kubanischen Revolution handeln. Explosion in Kuba mit Sean Connery und Martin Balsam, glänzend inszeniert von Richard Lester, dem es vielleicht nicht jeder zugetraut hätte. Und Havana mit Robert Redford und der fast herzbrechend schönen jungen Lena Olin, Regisseur: Sidney Pollak.  
Aus beiden Filmen sind mir wunderbare Dialoge in Erinnerung. 
Connery als Anti-Terror-Söldner zu Balsam, einem korrupten Batista-General: Gegen Castro gewinnt man nur, wenn man im Recht ist. Balsam sarkastisch: Und ist er? Connery: Entscheidend ist, ob die Kubaner meinen, dass er im Recht ist.
Redford als unpolitischer Berufsspieler zu Lena Olin: Du willst die Welt ändern? Ändere meine! Zum Schluss am Kai zur Fähre nach Amerika kommt sie und fragt: Hast du auf mich gewartet? Redford: Mein Leben lang.
In den Film sind wunderbare Songs aus der großen Zeit Frank Sinatras eingeblendet: I think of you und London by night. Unvergesslich.
Der Schluss endet mit Redfords Überlegung, dass alles möglich ist. Er steht an der Küste von Key West und hält Ausschau nach der Revolutionärin, deren Kommen er weder erwarten noch erhoffen kann. Aber wer weiß - ? Und dazu fällt nun mir ein weiterer Song Sinatras ein, der im Film nicht vorkommt: Maybe you'll be there. Text im Internet, der Song wohl gebührenpflichtig, ist es aber auch wert. 

Irgendwo habe ich noch eine Doku über Meyer-Lansky, der zusammen mit Batista einen Puff mit Glücksspielbetrieb aus Havana gemacht hatte. Diese DKV habe ich gestern nicht gleich gefunden, dafür eine andere, die das kleine Haus zeigt, in dem Che Guevara gefangen genommen wurde. Es ist heute eine Gedenkstätte, viele Besucher aus aller Herren Länder kommen. 

Warum mag Kuba sich wohl abgeschottet haben? Aus Verbohrtheit? Trotz? Oder haben Wirtschaftssanktionen eine Rolle gespielt? Gab es nicht auch Attentate auf Fidel Castro, zu denen die CIA sich bekannt hat - nicht 600, wie jemand im Fernsehen höhnte, aber doch mehr als sechs...?
Keine Ahnung, ob es im Artikel der Süddeutschen Zeitung erwähnt ist, ich habe ihn nicht lesen wollen, nachdem ich die Schlagzeile gesehen hatte. 

Ob auch dieser Beitrag wieder geeignet ist, meinen vormals guten Ruf zu zerstören?  

Samstag, 16. Juli 2016

Vierzehnter Brief

Freundlicher Umgang

Ich zerstöre auf diesem Blog meinen zuvor guten Ruf, meint ein Freund, dem ich viel verdanke – nachdem er mir per E-Mail mitgeteilt hat, ich sei entweder so dumm, mich von Putins Propaganda irreführen zu lassen, oder ein Mietmaul, also einer, der sich von Putin bezahlen lässt, irreführende Propaganda über weltpolitische Vorgänge zu verbreiten.
Wie verletzend solche Vorhalte sind, und wie irrig dazu, bemerkt mein Freund nicht.

Irrig in vielerlei Hinsicht. Zunächst einmal äußere ich mich keineswegs zur Weltpolitik – sondern zum öffentlichen Diskurs darüber. Er ist vergiftet durch Verdächtigungen, wie mein Freund sie gegen mich richtet.

Aufgefallen ist es mir zuerst, als eine Fernsehkorrespondentin bei Verleihung eines Preises erklärt hat, die Kritiker ihrer Berichterstattung seien entweder irrgeführt oder bestochen. Mit anderen Worten, Kritik an ihrer Berichterstattung entbehre seriöser Grundlage. Dafür den Joachim-Friedrich-Preis? Ich mochte es kaum glauben.

Seither gehört es zur alltäglichen Berichterstattung unserer westlichen Medien (soweit ich sie kenne, das sind BBC, CNN und die wichtigsten deutschen Zeitungen, gelegentlich die International New York Times) – es ist Routine, sage ich, Kritik an der Politik der Nato als Putins Propaganda zu bezeichnen. Entweder man ist dumm, weil man drauf hereinfällt, oder hat sich kaufen lassen.

Als mein Freund, dem ich über Jahrzehnte und bis in die jüngste Zeit viel zu danken hatte, erstmals solche Verdächtigungen äußerte, richteten sie sich nicht nur gegen mich. Ich hatte mich auf Aussagen der sozialdemokratischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und Helmut Schmidt bezogen, auf Willy Brandts Berater Egon Bahr und auf Peter Scholl-Latour, den Helmut Schmidt als einen von einer Handvoll Vertrauten bezeichnet hat.

Mein Freund nun also bezeichnete Gerhard Schröder als Gazpromhure, Helmut Schmidt als Oberzyniker, und Scholl-Latour als jemand, der wohl noch aus dem Grabe die Welt erklären werde – als ewigen Besserwisser, verstand ich. Andere, auf die ich mich bezogen hatte und die ich für seriös hielt und halte, hat er in ähnlichem Tonfall niedergemacht.

Nun – in unseren Kreisen redet man so nicht. Mit mir schon gar nicht. Ich dachte zunächst, mein Freund müsse an einer Art Tourette-Syndrom erkrankt sein, und bat ihn, seinen Ton zu überprüfen. Er überschreitet nun mit der Verdächtigung, ich sei ein Mietmaul Putins, erneut die Anstandsgrenze.

Es ist aber – wie gesagt – nicht nur ein privates, es ist ein gesellschaftliches Problem. Unser öffentlicher Diskurs ist vergiftet von Verdächtigungen und Denunziationen. Intelligentes Abwägen alternativer Standpunkte, was Allen Dulles als „educated guess“ bezeichnet hat und was die eigentliche Aufgabe informativer Berichterstattung wäre, ist außer Kurs geraten – zu meiner größten Bestürzung nicht nur auf der Rechten (da hatte ich es erwartet), sondern im linken Lager, dem ich mich zurechne und dem auch mein Freund sich, wie ich annehmen darf, zugehörig fühlt.

Ich fühle mich gemobt. Wie wehrte man sich gegen Mobbing – durch einen Freund?!
Wäre es ein Gegner und ich eine öffentlichere Person, könnte ich auf Unterlassung klagen. Aber einem Freund gegenüber? Da ich keinen Wert darauf lege, das letzte Wort zu behalten, werde ich bezüglich meiner publizistischen und charakterlich-moralischen Integrität keine Mitteilung an ihn richten.

Mir ist keine andere Antwort eingefallen als ein Zitat.

An Friedrich Gottlieb Klopstock

Weimar d. 21. Mai 1776.
Verschonen Sie uns ins Künftige mit solchen Briefen, lieber Klopstock! Sie helfen nichts, und machen uns immer ein paar böse Stunden.
Sie fühlen selbst daß ich nichts darauf zu antworten habe. Entweder müsste ich als Schul Knabe[63] ein pater peccavi anstimmen, oder mich sophistisch entschuldigen, oder als ein ehrlicher Kerl vertheidigen, und dann käm vielleicht in der Wahrheit ein Gemisch von allen Dreien heraus, und wozu?
Also kein Wort mehr zwischen uns über diese Sache! Glauben Sie, daß mir kein Augenblick meiner Existenz überbliebe, wenn ich auf all' solche Briefe, auf all' solche Anmachungen antworten sollte. – Dem Herzog thats einen Augen Blick weh, daß es von Klopstock wäre. Er liebt und ehrt Sie. Von mir wissen und fühlen Sie eben das. – Graf Stolberg soll immer kommen. Wir sind nicht schlimmer, und wills Gott, besser, als er uns selbst gesehen hat.
G.

Freitag, 15. Juli 2016

Dreizehnter Brief


Prägungen

Jesus war Populist. Was er der Bevölkerung predigte, wurde von den herrschenden geistlichen und weltlichen Eliten als gefährlich empfunden. Sein Ende ist bekannt und nicht ermutigend – und doch hat es mich als Kind nachhaltig geprägt, allerdings indirekt, denn ich war nicht fromm erzogen, sondern liberal.
Die Botschaft, dass ich mutig für meine Wahrheit einstehen soll, auch wenn es gefährlich ist, hat mich aus Amerika erreicht, dem Amerika Roosevelts wohlgemerkt. Errol Flynn als Dr. med. Peter Blood sagt dem Regenten ins Gesicht, dass sein König ein Ungeheuer sein muss, und dass du, Regent, bald sterben wirst, denn du leidest an einer unheilbaren Krankheit. Der hellsichtige Arzt wird als Sklave verkauft.
Tröstlich für mich mitzitternden Knaben, dass er an keinem Kreuz endet, sondern als Gouverneur der Insel, auf die er verkauft wurde.
Wie aber, wenn man nicht Gouverneur wird, sondern Sklave bleibt? Das ist mir passiert und nicht ganz unerwartet gekommen, denn mittlerweile hatte mich die Verpflichtung zu Anstand und Wahrhaftigkeit über Raymond Chandler erreicht. Sein Detektiv Philip Marlowe macht sich keine Illusionen über die Korruption, die seine Welt vergiftet, lässt sich jedoch nicht anstecken. „Down these mean streets a man must go who is not himself mean“, habe ich bei Chandler gelesen. Und auch, dass man nicht jeden Kampf gewinnen kann. Zweimal wird Marlowe von dem Kriminalbeamten, dem er zu widersprechen wagt, niedergeschlagen – ein drittes Mal schweigt er, zwei Mal reicht. Marlowe kehrt zurück in seine Wohnung und blickt hinaus auf das n ächtliche Los Angeles. Er beobachtet, wie die Stadt ruhig wird, „und allmähölich wurde auch ich wieder ruhig“.
Tröstlich für mich erwachsenen Leser, dass Marlowe den Schläger als Mörder überführt und daher besiegt.
Wie aber, wenn ich einen Mörder überführe und dennoch nicht besiege? Das habe ich erlebt, als ich in einer Redaktionskonferenz den Verlagsleiter über den Filmproduzenten Arthur Brauner sagen hörte: „Den haben sie auch zu vergasen vergessen“. Ich meldete es den Eigentümern des Verlages, zwei Rechtsanwälten, und forderte Konsequenzen. Die Konsequenz war, dass ich entlassen wurde. Da ich mit einer Klage drohte, wurde die Entlassung zurückgenommen, ich hätte meinen Posten behalten können – doch ich mochte unter diesem Verlagsleiter und solchen Verlagseigentümern nicht mehr arbeiten, ließ mir drei Monatsgehälter auszahlen und nutzte die Summe, um die Arbeit an meinem ersten Krimiknaltroman zu finanzieren, den dann 1968 – bedeutsames Datum – als Rowohlt Thriller erschienen ist: „Und dann hab ich geschossen.“
Dennoch ein Sieg? Ich will nichts schönreden. Die erwünschten finanziellen Erfolge als freier Schriftsteller stellten sich zunächst nicht ein. Ich musste begreifen, dass ich als Wiedergänger von Jesus-Peter Blood-Philip Marlowe ängstigende Unsicherheit in Kauf nahm. Es schien günstiger,  wenn ich mit den Wölfen heulte, mit dem Rudel lief, mich bestehenden Machtverhältnisse einfügte.
Das ist nicht gelungen, mir ist es ergangen wie Saulus von Tarsus. Bekanntlich hat er im Auftrag der zur Zeit Jesu herrschenden Eliten dessen Anhänger grausam verfolgt und ist dafür reich belohnt worden. Bis er vor Damaskus zusammenbrach.
So ist es mir ergangen. Ich war gemütsmäßig nicht dafür ausgestattet, für Geld zu lügen. „Wir lügen alle“, gestand die große Journalistin Margret Boveri im Interview mit Uwe Johnson. Und hat gerade damit eine bedeutsame Erkenntnis ausgesprochen. Man muss das aber auch aushalten. Genauer: Man muss es dennoch mit sich selbst aushalten.
Das war und ist mir verwehrt.
Ich muss aufrichtig bleiben, ich kann nicht anders. Versuche ich es mit Halbwahrheiten, Verdrehungen, Verschweigen, gar mit Lügen, dann werde ich krank, ganz buchstäblich – „wenn die Zunge versagt, redet der Körper statt ihrer“ habe ich irgendwo gelesen. Ein heiliger Paulus bin ich darüber nicht geworden.
Aber dass ich zu Marx zurückfinde, den ich mit dreißig Jahren entdeckt habe, sollte ich eigentlich nicht veröffentlichen. Da uns eingeredet wird, seine Erkenntnisse seien veraltet, und das auch stimmt, wird mich niemand begreifen. Verschwiegen und verkannt wird, dass Marx eine Methode entwickelt hat, um die Verflechtung ökonomischer und politischer Verhältnisse zu analysieren, und dass diese Methode – auf unsere allerdings veränderten Verhältnisse angesetzt – heute noch wertvolle Resultate liefern könnte.  
„Wenn ich die Wahrheit sagen sollte, müsste ich lügen“, sagte der Bürgermeister der Allgäuer Gemeinde, in der ich fast zwanzig Jahre gelebt habe und in deren Rat ich saß. Ein kluger und ein ehrlicher Mann.
Will ich Jesus-Blood-Marlowe sein, ziehe ich Hass und Wut weniger der Mächtigen (die ignorieren mich), als ihrer Gefolgsleute auf mich (die sind wie Sand am Meer so zahlreich).
Will ich Saulus sein, breche ich zusammen und werde dennoch kein Heiliger, nur ein Nerd.

Um mit einem Scherz zu schließen. „ Man hat’s nicht leicht, aber leicht hat’s einen“, pflegte meine Tante Lilo zu sagen, eine der vielen hilfreichen und guten Frauen in meinem Leben.

  


Sonntag, 10. Juli 2016

Zwölfter Brief

Schweigen ist Gold. Die Angst der SPD vor der Wahrheit ist nachfühlbar.
"Die Krisenherde dieser Welt" stellte Niels Annen, Außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, am gestrigen 9. Juli 2016 in Duisburg vor. Er behandelte die nordafrikanischen "failed states" Irak, Libyen, Syrien, Sudan ... ohne ein einziges Wort darüber zu verlieren, dass es die USA gewesen sind, die mit ihrem Überfall auf den Irak das Chaos erst ermöglicht haben. Statt dessen wurde ausgeführt, welcher Untaten sich Russland schuldig gemacht haben soll.
Noch einmal: Kein Wort über die Interventionskriege der USA und deren geostrategische und geoökonmische Hintergründe. An den Flüchtlingsströmen sollen nur Sykes-Picot und Russland ursächlich schuld sein! Und freilich Assad, der ohne Russland längst beseitigt wäre.

Dabei habe ich selbst den US-Außenminister John Kerry im Fernsehen sagen hören: Der zwischen USA und Russland ausgehandelte Waffenstillstand in Syrien hat Leben gerettet.

Wie ist das möglich??
Leicht zu erklären.
Die deutsche Sozialdemokratie hat Angst nicht vor Moskaus militärischer, sondern vor Washingtons wirtschaftlicher Macht. Und das mit vollem Recht. Washington rächte sich an Frankreich, nachdem dessen Präsident die Beteiligung am Irakkrieg verweigert hatte. Zum Teil  hat das sogar lächerliche Formen angenommen, als in der Kantine des Washingtoner Abgeordnetenhauses die bis dahin french fries genannten pommes frites in free fries umgetauft wurden. Weniger komisch fand ich die Vorführung des bis dahin hochgeschätzten Dominique Straus-Kahn in Handschellen vor der internationalen Presse, nachdem er in eine Honigfalle geraten war.

Wer sich erinnert, dass US-Restaurants keinen französischen Käse und keine französischen Weine mehr servierten, wird Washingtons handling wirtschaftlicher Macht nicht leichtnehmen.

Die deutsche Sozialdemokratie - folgere ich - ist nicht ängstlich im Sinne schwacher Nerven. Auch nicht feige im Sinne von mutlos. Sie hat aus Erfahrung gelernt. Nicht aus christlicher Gottesfurcht vor Versündigung hat mein Parteigenosse Niels Annen die unheilvolle Rolle verschwiegen, die Washington in Nordafrrika gespielt hat und nach wie vor spielt. Sondern man schweigt im sozialdemokratisch klug geführten Auswärtigen Amt aus berechtigter Heidenangst vor Washingtons Vergeltung.
Schweigen ist Gold.

Die Süddeutsche Zeitung hat übrigens gestern in einem fast schelmischen Ton angemerkt, der Westen solle sich gegenüber Russland nicht nur auf militärische Abschreckung beschränken. Denn: Putins Stellung sei nur solange stark, wie er den Russen das Feindbild Nato vorhalten könne. Es gebe andere Möglichkeiten, zum Beispiel wirtschaftlicher Art, gegen das System Putin.

Was dem System Putin in Russland folgen könnte, verschweigt uns der Kommentar. Die Politik des regime change soll jedenfalls auf Russland ausgedehnt werden.

Erfrischend, diese Offenheit der SZ!  

Elfter Brief

Support für Steinmeiers Außenpolitik erscheint mir dringend erforderlich! Auf den Propagandakrieg im Zusammenhang mit dem Truppenaufmarsch an Russlands Grenzen  kann er nur einwirken, solange er als Außenminister im Amt bleibt. Er kann daher nicht die Reißleine ziehen und seinen Rücktritt erklären - selbst wenn er das gerne täte - , ohne seine Möglichkeiten der Einflussnahme zu beenden.
Vorerst jedenfalls.
Als Gerhard Schröder Deutschlands Beteiligung am Überfall auf den Irak verweigerte, durfte er das aus mehreren Gründen wagen. Er war Regierungschef. Mit Präsident Chirac hatte er einen starken französischen Präsidenten als Verbündeten und mit Wladimir Putin einen weiteren starken Präsidenten. Beide hatten ihre Entschlossenheit erklärt, im Sicherheitsrat der UN gegen den von Bush und Blair gewünschten Krieg zu stimmen.
Der Eintritt in den Krieg wäre daher eine vom Völkerrecht nicht genehmigte Intervention gewesen.
In London spricht man jetzt von einem Kriegsverbrechen. Da ich mich als Medienkritiker verstehe, fällt mir auf, wie wenig bei uns davon gesprochen und geschrieben wird. Es sind dramatische Vorgänge!

Lord Chilcot am 6. Juli 2016 über Tony Blairs Entscheidung, sich der Koalition der Willigen anzuschließen und sich am Irakkrieg zu beteiligen:

"Legal basis for military action was far from satisfactory."
"Military intervention was not the option of last resort at that time."
"Diplomatic options were not exhausted."
"Geheimdienst warnte: Waffen könnten in die Hand von Extremisten fallen."

Blairs Aussage, er würde wieder so entscheiden, wurde in den Medien überwiegend verständnislos kommentiert.

Independent:
Spinning on their graves.
The Sun unter Porträt von Blair:
Weapon of Mass Deception
Daily Mail.
A Monster of Delusion

Zu deutsch also sinngemäß etwa: Lügen auf ihren Gräbern, Waffe für Massentäuschung, Ein Monster an Irreführung.

In unseren Medien - soweit ich sie überblicke - habe ich lediglich kurze Notizen gefunden, dass Blair sich für gerechtfertigt halte.
Die Londoner Ereignisse wären eine Gelegenheit gewesen, sich bei Gerhard Schröder zu entschuldigen, der damals für seinen Entschluss, sich der Koalition der Kriegswilligen zu verweigern, mit Hohn, Häme und Wut überschüttet wurde. 
Joseph Joffe schrieb, in dreißig Jahren würde uns Deutschen das nicht verziehen. Ich erinnere mich noch an die Schlagzeile (in der ZEIT?). Ich fand sie falsch und empörend, sie wurde nicht zurückgenommen.

Und auch aktuell wird uns wieder Propaganda statt Information geboten!

Horst Teltschik (10 Jahre Chef der Münchener Sicherheitskonferenz):
Wir konzentrieren uns ausschließlich auf das,was die Russen machen – und übersehen, dass das Auswirkungen von amerikanischen Entscheidungen sind.
Die Russen sagen natürlich: „Wenn die Amerikaner mit ihren Schiffen im Schwarzen Meer an unseren Küsten herumfahren, dann fahren wir halt in der Ostsee. Und wenn amerikanische Flugzeuge an unserer Grenze ständig entlang fliegen, dann fliegen wir halt auch mal.“

Der Aufmarsch an Russlands Grenzen lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig!

Operation Anaconda – zu deutsch Würgeschlange:
In Polen an der Weichsel 31 000 Soldaten, 3000 Panzer, 112 Flugzeuge, 12 Schiffe – aus 24 Ländern
Nach Nato-Angaben
Ukraine bereits dabei

Im Baltikum Saber Strike – Säbelschlag
10 000 Soldaten
150 km von russischer Grenze entfernt

Rotierende Kampfverbände
Raketen in Polen und Rumänien

Der Aufwand sei erforderlich, um Russlands Aufrüstung zu begegnen, wird behauptet.

Über die militärische Gesamtstärke Nato/ Russland habe ich folgende Angaben im Internet gefunden:

Nato 3, 6 Mio aktive Truppen (3 Mio 600 000!)
Russland 766 000

Nato 21000 aircraft
R 3500

Nato 1800 naval vessels
R 350

Nato Gesamt-Budget 840 billion (Milliarden)
R 46 bn

Andere Statistiken werden andere Werte nennen, dass sie wesentlich abweichen, ist nicht anzunehmen. Demnach gibt die Nato bereits 20mal soviel für Militär aus als Russland!



Mittwoch, 6. Juli 2016

Zehnter Brief

Ein langjähriger Weggefährte hatte mich nach meiner Meinung zu einem Putin-Feature gefragt, das in einem unserer Sender gelaufen ist. Der Titel der Sendung, wie ich ihn verstand, hatte bereits deren Tendenz verraten. Ich antwortete:


Russia Today International (englisch) ist der  objektivste Sender, der mir bekannt ist. Die Talkshows sind hochklassig, die News umfassend. Im Gegensatz zu unseren Konzernmedien bringt RTI immer auch den anderen Standpunkt, die andere Sicht, und wir Empfänger können uns unsere eigene Meinung bilden. Das schätze ich sehr. Ich fühle mich respektiert.
Ganz anders unsere Konzernmedien, sie überschütten mich mit Propaganda und Polemik, ich soll nur denken, was mir eingetrichtert wird, und die Verachtung, die mir entgegengebracht wird, ist überdeutlich und grob beleidigend.
Heute sah ich die Schlagzeile der SZ: Der "Anstifter" des Brexit tritt zurück. Dagegen die FAZ: "Nigel Farage tritt zurück" - erfreulich sachlich. Was dahinter steckt, darf ich mir schon selbst denken.
Ich kenne keine deutsche Zeitung, die mich - den Leser - derart offen verachtet wie die SZ.
Außer meine Lokalzeitung nrz, und das ist noch die am wenigsten tendenziöse. Ich weiß nicht mehr, wo ich Lokalnachrichten beziehen kann, ohne dass mir mit dem poltischen Teil eine Anzeigenbeilage der Nato ins Haus kommt.
Ich weiß, du denkst anders, und argumentiere nicht, widerspreche auch nicht - ich will nur gesagt haben, damit es überhaupt gesagt ist: 
Zum dritten Mal in hundert Jahren stehen deutsche Panzer an Russlands Grenze.
Die Eroberung der Ukraine ist das Ziel - wie es Kaisers und Hitlers Ziel war. 

Ich kann nichts ändern, meine Argumente bedeuten nichts - noch nie in meinem Leben habe ich so deutlich gefühlt - vielmehr nachfühlen können - wie sich meine Väter und Großväter gefühlt haben müssen, als die Nazipropaganda aus den Volksempfängern dröhnte. Die Juden sind unser Unglück! Man weiß, das kann so nicht stimmen, was kann denn  Anne Frank dafür? Aber was soll man und was kann man tun?
Hilflos und stumm gemacht oder verlacht und denunziert und verachtet, wenn man spricht. Und sogar gefährdet, wenn man sich äußert.
Kauft nicht beim Russen! 
Gegen die Wucht dieser Propagandamaschine ist kein Aufkommen. 
Wir stehen vor Stalingrad. Nehmen wir es diesmal? Ich erlebe es hoffentlich nicht mehr.

Ich sollte das alles gar nicht schreiben, denn es hat keinen Sinn, keinerlei Wirkung, weder auf dich noch überhaupt. In meinem Blog poste ich "Briefe an Niemand".

Für diesen Blog füge ich jetzt ein P.S. hinzu:

Ich sei ein Putin-Versteher, hatte mein Mail-Partner gemeint. Wie üblich, ärgerte ich mich zuerst nur über die Formulierung, die das Verstehen denunziert, das doch seit der Wiederentdeckung der griechischen Antike zum vornehmsten Kennzeichen abendländischer Kultur geworden ist.
Inzwischen ist mir klar geworden, dass die Unterstellung, ich würde nur "Putin" verstehen wollen, mich und meine Intention grob unterschätzt. Selbstverständlich bemühe ich mich um Verständnis auch für andere derzeit wesentlichen politischen Interessen und ihren Zusammenhang! Ich will nicht etwa nur "Putin" - die russischen Interessen - richtig auffassen, auch die der USA, Chinas, Frankreichs und Englands! Die Zerstörung Afrikas und besonders die Nordafrika-Politik, etwa die Zerstörung Libyens, wären sonst unbegreiflich. Mich zu einem Putin-Versteher zu reduzieren, ist eigentlich eine - sagen wir - Unzartheit ;-)