Samstag, 4. November 2023
Ein Trauerspiel
„Man schließt mir die Asyle, niemand mag
Zu meinen Gunsten wenig Schritte wagen.
Verbannung! Ja, des Schreckensworts Gewicht
Erdrückt mich schon mit allen seinen Lasten...
Der Körper, der gesunde, stößt mich los.
Dem selbstbewussten Toten gleich ich, der,
Ein Zeuge seiner eigenen Bestattung,
gelähmt, in halbem Traume, grausend liegt.“
Weshalb scheint der alte Text so aktuell zu sein?
„Sie kommen! Tragen meine Habe fort,
Das letzte, was von köstlichem Besitz
Mir übrig blieb. Wird es mir auch geraubt?...
Unselge Liebe zum unwürdgen Leben!“
Das "Trauerspiel" ist von Goethe. Er hat sich, schreibt er, damit ein Gefäß geschaffen, in dem er seine wechselnden Überlegungen zum gewaltigsten Ereignis seiner Zeit „in geziemendem Ernst“ niederlegen konnte. Gemeint ist die weltweite Ablösung von Adelsherrschaft durch das Bürgertum, von Grundbesitz durch den Besitz von Geld. Goethe spricht nicht ausdrücklich von der Französischen Revolution oder der Trennung der amerikanischen Kolonien vom britischen König. Er bleibt allgemein. Darauf reagieren junge Rebellen ungeduldig, zumal der Machtwechsel mancherorts lang auf sich warten ließ. Mein Exemplar der dtv Gesamtausgabe 11, in der ich „Die natürliche Tochter“ nachgelesen habe, ist förmlich entstellt durch meine Kommentare. Sie sind, ich war jung genug, überwiegend ärgerlich ausgefallen. Jetzt angesichts der Videos aus Gaza fällt meine Reaktion verständnisvoller aus. Ich freue mich sehr, dass ich den alten Text noch habe.
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