Dienstag, 1. August 2023

Wortwörtlich

Cancel culture Die wörtliche Übersetzung bedeutet, dass eine Kultur entwertet oder ausgelöscht wird. Dass niemand bei uns das so verstanden wissen will, weiß ich auch. Sehen wir uns aber an, wie der ukrainische Ministerpräsident gegen die russische Kultur vorgeht, so scheint die wortwörtliche Übersetzung nicht fehlzuleiten. Verbot der russischen Sprache, wo sie bisher gesprochen wurde. Verbot der berühmten russischen Literatur. Verbot der russischen Musik. Strafverfolgung jeglicher Person, die sich zu Sympathien für Russland bekennt. All das finden wir im Westen hinnehmbar. Vergessen haben wir, dass die Entseelung ganzer Völker zu Hitlers Programm gehört hat und die physische Vernichtung erst möglich machte. Wer keine Seele mehr hat, ist nur noch Kadaver. Das ist die Voraussetzung für geforderten Kadavergehorsam. Dieser soll nun aufgezwungen werden – wem aber, nur den Russen?? Mir will scheinen, die Attacke gilt auch uns. Wörtlich übersetzt ist cancellation eine Entwertung. Zunächst wird bei uns beinahe Tag für Tag die römische Kirche angegriffen. Jeder kennt das Hauptargument: sexual abuse. Ich habe mir die englischsprachige Originalausgabe von Graham Greenes „The Power and the Glory“ besorgt, liegt vor mir auf dem Schreibtisch. Im Vorwort von John Updike lese ich, Graham Greene habe seit 1936 nach Mexiko reisen wollen, um über die wüsteste (fiercest) Verfolgung der Religion seit Elizabeth der Ersten zu schreiben. Die berühmte Protestantin verfolgte die Katholiken, wie es jetzt auch alle unsere Medien tun. In seinem Roman schildert Greene nun, dass völlig verelendete Menschen nicht danach fragen, ob ein Priester ein guter Mensch ist. Sie wollen, dass er ihnen, wenn sie im Sterben liegen, Gott zwischen die Lippen schiebt. In Form der geweihten Oblate. Will sagen, sie unterscheiden zwischen Person und Auftrag. Die Person mag so schwach sein wie wir alle und sogar noch schwächer, die Weihe bedeutet, dass diese Person Brot und Wein in die Gegenwart Gottes verwandeln kann. Vor dieser Präsenz in die Knie zu sinken erhebt noch den Elendesten über sein schlechtes Dasein und erinnert ihn daran, als menschliches Wesen das Ebenbild einer Übermenschlichkeit zu sein. Unabhängig von Greenes Erfahrung in Mexiko fällt mir dazu ein, dass Christenverfolgungen zwar öfters in Gang gesetzt wurden, aber selten zum gewünschten Erfolg geführt haben. Ob unsere aktuellen Entwerter von Kultur mehr Erfolg haben, halte ich für möglich, aber unwahrscheinlich.

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