Zum Gedenken an den Geburtstag des Weltökonomen häufen sich
unsinnige Darstellungen seiner Analysen. So wird behauptet, die praktische
Umsetzung seiner Erkenntnisse habe zum Blutbad der Oktoberrevolution geführt.
Etwas derart Blödsinniges der Öffentlichkeit zuzumuten, heißt nichts anderes,
als dass diese für dumm gehalten wird.
Marx hat erkannt, dass die bürgerliche
Ökonomie zu Widersprüchen innerhalb von Staaten und zwischen Staaten führen
muss. Im Ersten Weltkrieg bewahrheitete sich diese Erkenntnis in grausiger
Weise. Getrieben vom Wahn, fürs jeweilige Vaterland zu kämpfen, oder gar für
dessen Werte, löschten sich allein vor Verdun 800 000 junge Menschen
gegenseitig in Stahlgewittern aus. Aus dieser ungeheuerlichen Barbarei folgerte
Lenin, dass der Zeitpunkt gekommen sein müsse, die Verantwortlichen durch weniger zynische, nicht direkt menschenfeindliche Regierungen zu ersetzen. Da eine Revolution nicht ohne Gewalt
durchzusetzen ist, mussten allerdings Gewaltmittel eingesetzt werden, aber die
Opfer des bolschewistischen Oktober sind doch an Zahl nicht mit denen der
aufeinander prallenden Imperialismen zwischen 1914 und 1918 zu vergleichen!
Zu den Folgen nicht des Oktober, sondern der Neuverteilung
globaler Einflusszonen seit den Dreißigerjahren zählen die Kriege Japans gegen China und die des Dritten Reiches.
Zählt auch der Holocaust.
Halten wir hier einen Augenblick inne. Bedenken wir, was das
bedeutet. 200 % Gewinn, hat Karl Marx befürchtet, und es gibt kein Verbrechen,
vor dem die Ausbeuter zurückschrecken.
Ich sehe Anne Frank vor mir, Etty
Hillesum.
Mit diesen Konsequenzen des Imperialismus glaubt man Marx zu
widerlegen? Im Ernst?
Ah, nein – jetzt wird Stalin aufs Tapet gestellt. Er habe
blutig gehaust. Nun also, Stalin hat bereits 1935 erklärt, die Welt steuere auf
einen Krieg zu, bei dem diejenigen, die sich 1918 benachteiligt fühlten, sich schadlos
halten wollten. Er fügte hinzu: Die Sowjetunion werde sich von hochgerüsteten
Räuberstaaten nicht in einen Krieg hetzen lassen, sondern mit jedem Räuberstaat
einzeln Friedensverträge schließen, um die Entwicklung des Sowjetsozialismus
voranzutreiben. Seltsam bleibt, dass 1936 Winston Churchill eine
Artikelserie begann, in der er voraussagte, Hitler werde und müsse Raubkriege
führen.
Der Marxist und der Erzkonservative stimmten in ihren
Analysen überein. Ist es zu erklären? Sie haben – wie Karl Marx – Tatsachen
gelesen und nicht Propaganda.
Mit Stalin Karl Marx widerlegen? Im Ernst?
Auch jetzt wieder haben imperialistische Staaten begonnen,
die Welt unter sich neu aufteilen zu wollen. Wieder werden Werte nach vorn
geschoben, um die Massen zu mobilisieren. Demokratie! Sie bedeutet für uns, die
wir durch mächtige Kriegsallianzen geschützt sind,
einige Freiheit. Sie bedeutet für wehrlose Staaten das Gegenteil: Wir nutzen
die demokratischen Freiheiten, die sie uns gewähren müssen, um dort Regierungen
einzusetzen, die unsere Interessen vertreten. Demokratisch gewählte Politiker,
welche die Interessen ihrer einheimischen Wähler vertreten wollen, lassen wir absetzen oder ermorden.
Vorbereitet werden diese Aktivitäten durch Stiftungen, welche NGOs finanzieren,
deren völlige Bewegungsfreiheit wir namens der Freiheit schlechthin selbstgefällig einfordern.
Wer sich nicht daran hält, hat Übel jeglicher Art – wirklich jeglicher Art – zu
gewärtigen.
Demokratie ein Argument gegen Karl Marx? Im Ernst?
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