„In my younger and more
vulnerable days“, um den ersten Satz eines berühmten Romans zu zitieren, habe
ich einen Teil unserer Presse als frei empfunden. Es gab Medien, die wider den
Stachel löckten: dagegen, dass Arno Schmidt wegen Gotteslästerung angeklagt und
Hildegard Knef als Sünderin verunglimpft wurde, um Beispiele zu nennen. Es war
ein Kulturkampf gegen Spießbürgerei, der da ausgetragen wurde. Teils sehr
heftig. Ich fühlte mich mit Zeitungen wie der Frankfurter Rundschau und der Zeit
solidarisch und bei der richtigen Truppe, sowohl passiv als Leser wie aktiv als
Journalist. In beiden Blättern konnte ich mich informieren und selbst publizieren.
Später habe ich festgestellt,
dass es Kulturkämpfe gegen Spießbürgerei schon lange vor meiner Zeit gegeben
hatte. Mit unglaublicher Courage hatte Franziska von Reventlow in der
Kaiserzeit den Roman einer weiblichen Pubertät zu veröffentlichen gewagt, Ellen
Olestjerne. Es war die Entdeckung der Authentizität in der deutschen Literatur
– wir Achtundsechziger haben sie wiederentdeckt im vielgeschmähten
Materialismus des 19. Jahrhunderts. Was uns als Begründung für den Krieg in
Vietnam angeboten wurde, genügte uns nicht, wir diskutierten Karl Marx und
mischten uns in die Politik ein. Was in den Arztpraxen als Ursache von
Kopfschmerzen genannt wurde, war noch läppischer. Wir entdeckten Sigmund Freud
und riskierten Psychotherapien. Es war unser Kulturkampf.
Heutigentages empfinde ich die
mir zugänglichen Medien als barbarisch. In jeder Zeitung steht, in jedem Radiosender
höre ich, in jedem Fernsehprogramm sehe ich das gleiche. Auf der Suche nach
ergänzenden Informationen – „audiatur et altera pars“, vor jeder Beurteilung
auch die andere Seite berücksichtigen – weiche ich auf Internetquellen aus und
werde von den Gleichgeschalteten belehrt, ich sei das Opfer von Propaganda und
Populismus. Kämpfe um Kultur vermissend, werde ich verächtlich gemacht.
Irgendwo habe ich dieser Tage
gelesen, der stets von Unruhe geplagte Goethe habe ständig vor sich hin
gegrummelt und gemurmelt: „Nur ruhig, ruhig, still!“ Ich murmele und grummele
auch oft vor mich hin, und zwar „Ich will heim“.
Es ist das Heimweh nach einem
Land, wo ich faire, objektive, um Wahrhaftigkeit bemühte Informationen bekomme.
Ich lese die Frankfurter Allgemeine, die Süddeutsche, die taz. Ich höre den
WDR. Ich sehe ARD, ZDF und Arte und etliche andere. Überall Hetze und Hass. Überall:
Krieg gegen Russland – aber um Gotteswillen nur wirtschaftlich. Krieg gegen –
nein: in Syrien, Afghanistan, wo noch? Egal, unser Militär wird überall
gebraucht. Fragt jemand die Russen, die Syrer, die Afghanen? Einzelne schon,
alle kann man ja nicht fragen, und Umfragen wären nicht zuverlässig, weil durch
Propaganda beeinflusst. Was bei uns selbstverständlich nicht der Fall ist.
Ich fühle mich zurückgeworfen in
die Kaiserzeit. Ein vaterlandsloser Geselle.
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