Sonntag, 21. Mai 2023
Ein Leben, zwei Versuche
Vor mir liegt die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom gestrigen Samstag. Die Seite eins wirbt mit der Schlagzeile G-7-Staaten wollen Russland mit Sanktionen "aushungern". Bei der Drohung handelt es sich um ein wörtliches Zitat.
Russen auszuhungern ist noch zu meinen Lebzeiten vom deutschen Staat versucht worden. In der Millionenstadt Leningrad wäre es fast gelungen. Die Einwohnerzahl konnte erheblich reduziert werden (auf 300000, aus dem Gedächtnis, steht im Geschichtsbuch).
Dass es zu meinen Lebzeiten wiederholt und beifällig kommentiert werden könnte, habe ich nicht für möglich gehalten.
Die FAZ habe ich längst abbestellt, doch diese Ausgabe werde ich als Zeitzeugnis meinem Archiv beifügen. Sollte ein Nachfahre darin stöbern und diese Seiten - vor allem die EINS - finden, wird er sich fragen, wie wir als die Zeitgenossen wohl reagiert haben. Vorsorglich bemerke ich, dass individuelle Proteste sinnlos waren und die Opposition entweder schweigt oder entmachtet ist. Herzschmerzen sind nur ein Symptom, kein Protest.
Montag, 15. Mai 2023
Brief an meine Abo-Zeitung
Meinhard Greydt, "Nicht von dieser Welt".
Jean Améry teilt in seinem Buch "Jenseits von Schuld und Sühne" mit, dass im Nazi-KZ Auschwitz zwei Gruppen sich als überlebensfähig erwiesen, Kommunisten bzw. Marxisten sowie Christen bzw. Gottgläubige. Marxisten diskutierten weiter über die barbarischste Form des Imperialismus, einfachere Kommunisten sagten einfach: Die Sowjetunion muß und wird siegen. Gottgläubige hielten die von ihrem Bekenntnis geforderten Riten ein, so Juden den Sabbath, und ein polnischer Priester, der keine moderne Fremdsprache beherrschte, blickte traurig einem besonders üblen Schergen nach und sagte auf Lateinisch: "Des Menschen Wille geht zum Bösen" - womit er auf die Erbsünde Bezug nahm, die von Intellektuellen als instrumentelle Vernunft bezeichnet wird. Der junge Priester habe hinzugefügt: "Aber Gottes Güte ist unermesslich und wird siegen". Beide Gruppen hätten auf die gute Zukunft jenseits der schrecklichen Gegenwart hin gelebt und überlebt. Nachdem Améry in den Freitod gegangen war, sprach man von einer frühzeitig bei ihm aufgetretenen Depression; doch das kann dem Wissenschaftler und großen Schriftsteller Primo Levi niemand nachsagen, und auch er wählte den Freitod, beide nach der Befreiung und trotz bedeutender Erfolge. Sowohl Améry wie Levi bekannten sich als aufgeklärte Intellektuelle, daher Atheisten, und Améry hinterlässt aus Auschwitz den Erfahrungswert, dass aufgeklärter Humanismus dort nicht leben half. Gerade in unserer Zeit eines von instrumenteller Vernunft angesagten menschheitsbedrohenden Weltkrieges sollten wir die Folgen dessen, was Theologen die Erbsünde nennen, Vernunft ohne Empathie, nicht kleinreden. Das Versprechen, "Ihr werdet sein wie Gott", ist KEIN Erfahrungswert!
Montag, 8. Mai 2023
Eva's Apfel
Die aktuell gefährlichste Art der Selbstzerstörung ist für uns alle der hoffnungsvolle Gebrauch dessen, was Philosophen als instrumentelle Vernunft bezeichnen – Theologen sprechen von der Erbsünde. Philosophen meinen den Gebrauch der rationalen Fähigkeiten ohne Empathie, Theologen Triebverfallenheit ohne Berücksichtigung von Gottes Gebot.
Die populäre Überlieferung der Erbsünde spricht davon, dass der erste Mensch sich von seiner weiblichen Partnerin verführen ließ. Das beantworten wir mit einem Lächeln und viel Verständnis. Wir vergessen darüber das für uns noch immer, und heute erst recht, weit bedeutendere Versprechen, das den Menschen gemacht wurde: Falls sie es über sich brächten, von der verbotenen Frucht zu essen, würden sie sein wie Gott.
An Gottes Stelle setzen sich diejenigen, die ihre eigenen Regeln setzen. Sie bedienen sich der instrumentellen Vernunft, um Vernichtung und Verwüstung über ihre Gegner zu bringen. Nur so, glauben sie, erlangen oder erhalten sie ihre gottgleiche Macht. Sie wollen sein wie Gott.
Gerade in unserer deutschen Geschichte gibt es dafür ein Beispiel. Wir hatten einen Staatslenker, der noch in den Tagen seines Niedergangs göttliche Verehrung durch uns Deutsche für möglich hielt. Er wollte auf dem Münchener Königsplatz in einem Marmorsarkophag aufgebahrt werden. Eine Ewige Flamme sollte von einer Ehrenwache der SS geschützt sein. Viel Volk würde an der Gedenkstätte beten.
Das tatsächliche Ende dieses Versuchs wirkt nicht etwa abschreckend. Im Gegenteil. Auch unsere Staatslenker – alle, zu denen wir uns, wie einst, wieder mit leidenschaftlicher Hingabe bekennen, verlangen von aller Welt, dass nur unsere Auslegung allgemein anerkannter Regeln übernommen zu werden hat. Berücksichtigung von lokalen Umständen in Ausnahmefällen. Ansonsten gilt, die Rechnung ist ohne Abzug zu begleichen. Folgen, so furchtbar sie oft gewesen sind und noch sein könnten,
seien als Kollateralschäden hinzunehmen. Wo gehobelt wird, fallen Späne. Fallen Menschen, Tiere, Ernten.
Es ist die Erbsünde. Sie besteht nicht darin, dass wir Männer die uns von Gott gegebenen Partnerinnen immer wieder so verführerisch finden.
Donnerstag, 27. April 2023
Hello nukes!
Im real existierenden Kommunismus haben Greise regiert, Breschnew und Andropow, in den Satellitenstaaten Ulbricht und dann Honecker usw. Aber auch Mao in China war sehr sehr alt und der bedeutende Chu-en-lai ja auch! Sie legitimierten ihren Machterhalt, indem sie ihre Gegner als Teufel darstellten. Der Kommunismus ist implodiert. Jetzt befinden sich in den USA zwei Greise in erbittertem Wahlkampf. Sie bezeichnen ihre Gegner als Verkörperungen des Bösen. Unsere Regierung ist sicher, dass der real existierende Kapitalismus dabei gedeiht. Beeindruckt war ich von einer Äußerung Donald Trumps. Während meiner Regierungszeit, sagte er etwa, hat niemand von "nukes" gesprochen, Atomwaffen waren kein Thema in USA. Jetzt sind die Nachrichtensender Tag für Tag mit der Frage beschäftigt, ob wir einen Atomkrieg bekommen. Das ist auch bei uns in Europa so - und mir fiel ein, dass Trump keinen einzigen Krieg geführt hat, nicht einen. Darf ich das eigentlich sagen? Nun, es ist Tatsache. Doch Tatsachen sind unpopulär und machen verdächtig. Bye-bye facts, hello nukes!
Sonntag, 16. April 2023
Mehr Angst als Vaterlandsliebe
Und die Antwort ist …?
Unseren Gesprächspartnern ist es ein Rätsel, weshalb wir Deutschen und Europäer uns in die Kriege der USA verwickeln lassen. Die auf der Hand liegende Antwort, dass „wir“ den großen amerikanischen Markt nicht verlieren wollen, führt nur zu einer neuen Frage: Wir möchten den US-Markt beliefern, doch die US-Wirtschaft gewiss auch den großen Markt Westeuropas! Das Argument reicht aus, um Respekt auf Augenhöhe einzufordern. Warum tun wir es nicht, sondern ordnen uns unter? Der vielzitierte militärische Schutzschirm! Glaubt jemand, dass die Streitkräfte der Russischen Föderation NATO-Länder je angegriffen hätten? Das ist nie geschehen! Wie also lautet die Antwort auf die meistgestellte Rätselfrage?
Vor zehn Jahren empfahl ein bekannter US-Publizist seiner Regierung, die Erfahrung mit der geglückten Machtübernahme der Ukraine so bald wie möglich in Russland zu wiederholen. Die Stellung Präsident Putins sei schwach, wie es die Stellung des demokratisch gewählten ukrainischen Präsidenten gewesen war. Wegen der wirtschaftlichen Probleme habe Ukraines Janukowitsch durch den US-finanzierten Jazenjuk ersetzt werden können, ähnlich könne man Putin beseitigen lassen. Den Nachfolger des Ukrainers in Kiew zu installieren, habe fünf Milliarden Dollar gekostet, Russlands Putin wegzuputschen komme womöglich sogar billiger. Zahlreiche Quellen verraten uns, dass die USA sich selbst als die weit überlegene Weltmacht betrachten. Diese hohe Position erlaube einzig von Washington aus globalen Überblick. Die USA seien daher zur Führung der Welt berufen und auch verpflichtet. Wer sich nicht füge, müsse gezwungen werden – zum Besten aller. Denn alle Völker ausnahmslos würden nichts sehnlicher wünschen, als unter US-amerikanischen Regeln leben zu dürfen. Das glauben in den USA alle wesentlichen Entscheidungsträger tatsächlich, wie aus einer Quelle hervorgeht, die ich erst gestern beim Ordnen meines Archivs gefunden habe. Die Überzeugung ist nicht nur medial vorgeschrieben, sie wird von vielen geteilt. Es ist daher sowohl unserer Bundeskanzlerin Merkel wie nach ihr dem Kanzler Scholz und anderen westlichen Staatslenkern klar gemacht worden, dass sie auf den unabänderlichen Kurs Washingtons einschwenken – oder sich andere Verbündete suchen mussten. Kanzlerin Merkel hatte zu akzeptieren, dass die Minsker Friedensabkommen niemals die Billigung der USA finden würden. Scholz hatte hinzunehmen , dass die Nordstream-Pipelines gesprengt wurden. Ein Verzicht der USA auf die Ukraine stand nie zur Debatte. Eine Friedensregelung à la Minsk hätten die US-Amerikaner als Feinderklärung betrachtet. Sich zum Feind der USA zu erklären, hat in Westeuropa niemand gewagt. Wie riskant so etwas ist, zeigt die Vernichtung der Reputation Gerhard Schröders. Die globale Allmacht der USA wird von Westeuropas führenden Kräften in Politik und Medien bestätigt. Den Preis bezahlen die Unterworfenen.
Samstag, 15. April 2023
Gewitzt
Ein Tag und zwei Belege
Beim Ordnen meines Archivs fand ich unter dem Datum eines einzigen Tages zwei interessante Belege. A. 31. 10. 2021 hat die FAZ berichtet, das militärische Klima habe sich geändert. Der deutsche Verteidigungsetat sei von knapp 24 Milliarden Euro (2005) auf zuletzt mehr als fünfzig Milliarden gestiegen. Und in der vorigen (von damals aus gesehen) Legislaturperiode habe die Steigerung mehr als zehn Mrd. Euro pro Jahr betragen.
An exakt demselben Tag vor eineinhalb Jahren erschien ein Interview mit Angela Merkel, in dem sie von ihren Erfahrungen spricht. Als sie Bundeskanzlerin wurde, sei „unser“ Bruttoinlandsprodukt noch größer als das von China gewesen. Gegenüber unseren 2,8 Billionen Dollar BIP hätten die Chinesen nur 2,3 Billionen BPI-Wert in Dollar erwirtschaftet.
Daraus seien in den sechzehn Jahren ihrer Regierung bei uns 3,8 Billionen Dollar geworden, bei den Chinesen 14,7 Billionen. Damals, vor eineinhalb Jahren, ist der chinesische BIP-Wert demnach dreieinhalb mal soviel wie unserer gewesen. Angela Merkel empfahl uns Deutschen, aber auch uns Europäern, sehr hart daran zu arbeiten, dass wir unseren Anteil an der globalen Wohlstandsentwicklung halten. Inzwischen dürfte der Abstand noch gewachsen sein. Was tun wir dagegen oder vielmehr, was tun wir für uns? Wir eröffnen uns immerzu neue Möglichkeiten! Der Publizist Henrik M. Broder möchte jetzt nicht nur sein Geschlecht selbst bestimmen können, auch sein Alter! Interessanter Gedanke. Aber längst nicht alles. Aus Gründen, die er uns zunächst verschweigt, möchte er seine polnisch-jüdische Identität ablegen und fortan als Armenier anerkannt werden. Wenn ein biologischer Mann als Frau anerkannt werden soll, ohne sich einer lästigen medizinischen Überprüfung unterziehen zu müssen, so dürfe man die Konsequenzen der Selbstbestimmung nicht leugnen! Der Spaßvogel wird wissen, dass in jedem guten Witz ein sehr ernster Kern verborgen liegt.
Sonntag, 9. April 2023
Ostern heißt uns hoffen
Was wir als Stimmung wahrnehmen.
Wir sprechen hier in Duisburg mit Arbeitern, Angestellten, kleinen und mittleren Selbständigen. Sie alle sagen, dass sie keine Nachrichten, ob in gedruckter oder gesendeter Form, in Radio oder Fernsehen oder in Zeitungen, mehr zur Kenntnis nehmen.
Der allgemeine Eindruck ist, wir werden von den Medien belogen, von den Politikern verraten, von der Großwirtschaft übervorteilt. Und die Schlussfolgerung bei allen: Wir gehen zu jeder Wahl, damit niemand hinterher behaupten kann, man wolle gar nicht wählen.
Da wir aber die Erfahrung gemacht haben, dass unsere Wahl keinerlei Folgen haben wird und haben kann, solange es keine wirkungsmächtige Opposition zur Generallinie aller Parteien gibt, die auf dem Wahlzettel angeboten werden, machen wir unser Kreuz dort, wo unsere Stimme als Protestwahl erkennbar ist.
Berücksichtigung unserer noch so berechtigten Wünsche können wir nicht erwarten.
Wir können uns nur noch als Opfer von Umständen begreifen, die unserer Beeinflussung entzogen worden sind.
Als beispielhaft empfand ich meine eigene spontane Reaktion auf den Kommentar unseres Wirtschaftsministers zum Betrieb der ukrainischen AKW. Ich schrieb einer Freundin ungefähr: „Auch wenn er nicht an Gott glaubt und meint, die Folgen seiner Äußerung vor niemandem verantworten zu müssen – es gibt ein Weltgericht. Die Weltgeschichte ist das Weltgericht. Vor diesem Gericht wird er sich zu verantworten haben – außer es gelingt unseren führenden Kräften, die Weltgeschichte zu beenden. Da sei Gott vor!“
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