Freitag, 2. April 2021

Glaube, Zweifel und Tatsachen

Karfreitag
Der junge Mann, dessen grausamer Hinrichtung wir uns heute erinnern, hat nach Ansicht von Hannah Arendt die abendländische Ethik um einen zentralen Begriff bereichert. Sie meint den Begriff der Vergebung, den die Ethik bis dahin nicht gekannt habe; auch die berühmte antike Ethik nicht. Die viel Bewunderte weist eigens darauf hin, dass selbst Aristoteles, dem wir doch soviel verdanken, Vergebung nicht für besonders empfehlenswert hielt. Sie sei der Schwäche verwandt und so wenig zu loben wie Übermut. Hannah Arendt vertritt die Auffassung, dass wir ohne Vergebung überhaupt kein Zusammenleben wagen dürften. Wir sind immer wieder zu Entscheidungen genötigt, die sich als falsch herausstellen können. Wir müssen dann fähig sein, einander zu vertrauen. Das geschieht im Umgang von Mensch zu Mensch dadurch, dass wir nicht meinen, wer A sagt, müsse auch B sagen, und wer B sage, dann auch C … undsoweiter. Ich vergebe dir heißt also, ich traue dir zu, noch einmal A zu sagen: einen neuen Anfang zu machen. Dieser Punkt ist Hannah Arendt so wichtig, dass sie immer wieder darauf zurückkommt. Ihr ganzes Werk, scheint mir, kreist um diesen Satz, und ihr Leben auch. Der hingerichtete junge Mann hat keine Hochsprache seiner Zeit beherrscht, weder das Lateinische noch das Griechische. Er wusste nicht, was an philosophischer Erkenntnis schon erreicht war. Dass er dennoch diesen ethischen Begriff gefunden hat, ohne den Gemeinschaften nicht überleben können, ist als völlig unglaubhaft zurückgewiesen worden. Die Predigten des Hingerichteten seien geschickte Erfindungen zum Beispiel des gebildeten Römers Saulus von Tarsus. Ähnliche Zweifel werden immer wieder auch über William Shakespeare verbreitet. Es sei unglaubhaft, dass ein Komödiant aus der Provinz dessen grandioses Werk geschaffen habe. Die Autorschaft sei vielmehr dem hochgebildeten Francis Bacon zuzuordnen. In Bezug auf Shakespeare weisen wir ihm den Platz zu, den Saulus von Tarsus für den Nazarener einnimmt. Beide hätten ihren Rang demnach Ghostwritern zu verdanken. Shakespeare soll knapp der Hinrichtung als Hochverräter entgangen sein, weil er in ein Komplott gegen Königin Elizabeth verstrickt gewesen sei. Der junge Nazarener ist tatsächlich hingerichtet worden, seine Gegner denunzierten ihn als geostrategische Gefahr für die römische Weltmacht. Das Osterfest gilt der Auferstehung des Predigers und dem Weiterleben seines Neuen Testaments. Am 23. April, dem weltweiten Tag des Buches, gedenkt die gesittete Welt des Dichters und seiner Hinterlassenschaft. Der 23. April ist sein Geburtstag, glaubt man. Beider Lebensdaten sind umstritten. Man weiß weniger, als man errät. Der Geburtstag von Miguel de Cervantes fällt zwar auf den kalendarischen 23. April, doch in Spanien galt noch ein älterer Kalender, es war nicht derselbe Tag wie der, an dem Shakespeare in Stratford on Avon zur Welt gekommen sein soll. Dass auch ich am Tag des Buches, dem 23. April, geboren bin, ist ein Zufall und war nicht geplant. Das klingt völlig unglaubhaft, ist aber belegt, also doch wohl Tatsache.

Donnerstag, 1. April 2021

Bin ich naiv?

Abonnement gekündigt
Seit Mai vorigen Jahres bin ich Abonnent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung plus Frankfurter am Sonntag gewesen. Ich habe einen Rabatt genutzt und auf ein Jahr abgeschlossen. Dieses Abo habe ich jetzt gekündigt. Der Grund ist, dass die Redaktion in jeder Ausgabe dazu aufgerufen hat, mir Schaden zuzufügen. Schaden zugefügt werden soll mir auf vielfältige Weise. Die Stadt Duisburg, in der ich seit einigen Jahren wohne, soll keine smart City werden, denn dazu muss sie mit dem chinesischen Unternehmen Huawei zusammenarbeiten. Das sei für uns Bürger gefährlich, wir würden ausgespäht. Schaden soll ich erleiden müssen auch als Bewohner der Region Niederrhein. Sie ist über den weltgrößten Binnenhafen aus drohender Verarmung gerettet worden. Doch durch die Anbindung an die Neue Seidenstraße seien wir in Abhängigkeit von China geraten. Das Gemeinwohl erfordere sowohl den Verzicht auf die smart City wie auf weltweite Handelswege. Dass ich für meinen Zwei-Personen-Haushalt billiges Heizgas beziehen will, sei falsch. Preiswertes Gas aus Russland trage zur Finanzierung von Moskauer Aggressionen bei. Das Gemeinwohl erfordert den sofortigen Stopp von Nordstream 2. Teures Gas aus USA darf mich nicht schrecken oder gar überfordern. Es sei ein Opfer für unsere Sicherheit, die USA beschützen uns vor „Putin“. Geschädigt fühle ich mich auch als Leser der Zeitung. Sie ist langweilig geworden. Friederike Böge berichtet in jeder Ausgabe, weshalb es keinerlei Grund gibt - nicht einen, gar keinen! – den Chinesen Stolz auf ihre Leistungen zuzubilligen. Oft sind es mehrere Artikel, die mir das einhämmern. Reinhard Veser und Peter Sturm schreiben oft über und immer (immer!) gegen Russland. Dass sowohl China wie Russland gegen die deutsch-japanische Kriegs-„Achse“ gekämpft haben, findet keine Erwägung. Geschädigt fühle ich mich durch die Zeitung, weil die Kollegen Redakteure mich nicht informieren, sondern propagieren. Sie schlagen die Kriegstrommel so dröhnend laut, dass es nicht überhört werden kann. Das wäre nun freilich der größte Schaden, der mir zugefügt werden kann – wenn tatsächlich neue Kriegszüge abverlangt würden. Auch ich hätte sie mitzufinanzieren. Mein Gewissen sträubt sich dagegen. Die Zeitung weiß das und liefert vorsorglich Argumente: Ich sei naiv oder sogar ein vom Feind gekaufter Söldner (das Wort ist gefallen!). Ein Jahr wird es im Mai sein , dass ich mich so schädigen und beleidigen ließ und auch noch dafür bezahlt habe. Vielleicht haben die Frankfurter recht und ich bin tatsächlich „naiv“.