Israels Probleme sind unsere
Begonnen hat es nicht, wie bei uns wohl viele meinen, mit der shoah: „Weil Hitler, deshalb Judenstaat.“ Aber so ist es nicht. Mit der Balfour Deklaration von 1917 hat es begonnen. Zu dieser Zeit war Adolf Hitler weit davon entfernt, Völkermord zu verschulden. Er war noch das, was er später gebetstrommelartig wiederholte: Ein einfacher Gefreiter der deutschen Wehrmacht.
Es war der britische Außenminister Arthur Balfour, der den Juden eine Heimstätte in Palästina bei voller Achtung der Rechte heimischer Araber „garantierte“. Vielmehr, garantieren zu können glaubte.
Wie ernst er es gemeint haben mag, darüber wird gestritten. Die wichtigsten Punkte sind auf siebzehn Druckseiten zusammengefasst, falls jemand bei Wikipedia nachsehen möchte.
Weshalb es nicht geklappt hat, ist leicht einzusehen. Sehen wir uns die Landkarten von Japan (vor WK I) und Israel (1917 bis 7. 10.2023) an. Es sind schmale, schlauchartige Gebilde. Wenig bebaubarer Boden. Lebensmittelproduktion nicht ausreichend für die wachsende Bevölkerung. Zur Entwicklung von Industrie nicht ausreichend Energie. Es muß aber industrielle Entwicklung in Gang gesetzt werden, da Agrarprodukte (Reis aus Japan, Südfrüchte aus Israel) nicht ausreichen, um per Export Devisen zu verdienen, mit denen nötige Energie eingekauft werden kann.
Japan hat Teile Chinas erobert und damit den Zweiten Weltkrieg begonnen. Ein Film ist jetzt in Shanghai angelaufen, der die Vorgänge zeigt. Obgleich die chinesische Bevölkerung mehrheitlich aus einfachen Bauern bestand, sind die Japaner vor schier unvorstellbaren Grausamkeiten nicht zurückgeschreckt. Sie eroberten Südkorea, die Philippinen, griffen USA an – damit haben sie sich übernommen.
Weshalb die Gewaltorgie? Liegt es am Volkscharakter? Aber wir Deutschen sind nicht weniger, eher noch grausiger vorgegangen, nachdem wir die Sowjetunion überfallen und im Osten, wie die Führung glaubte, freie Hand gewonnen hatten. Es werde uns nicht schaden, soll Hitler gesagt haben, da der Sieger die Geschichte schreibe.
Uns Grausamkeit als Volkscharakter zuzuschreiben, hat nur wenigen Nachkriegspolitikern und - denkern eingeleuchtet. Klingt zu sehr nach Freispruch: Wie könnten wir schuldig sein, wenn wir per Veranlagung böse wären?
Konstatieren wir, dass Israel, wie Japan (seit 1935) und Deutschland (seit 1941), seine strategische Verteidigungsfläche zu erweitern bestrebt ist, kann uns das eigentlich nur dann verwundern, wenn wir weder an Japan noch an uns selbst noch an die Tatsache denken, dass die Schaffung von Groß-Israel vorausgesehen wurde. Viele haben vor der Konsequenz gewarnt: Hannah Arendt, Stéphane Hessel. Viele haben es begrüßt und suchen, Vorteile daraus zu ziehen: („Krieg lohnt sich“).
Furchtbare Grausamkeit einem irgendwie herbei phantasierten Volkscharakter zuschreiben zu wollen, ist eine Ausrede. Ebenso die Politisierung der Jahrestage des Abwurfs der Atombomben:
Nicht mehr zur Abwehr von Eroberung und Unterjochung – wie 1945/46 – könnten sie eingesetzt werden. Uns droht eine neuartige Gefahr: Atomkrieg zur Durchsetzung von Eroberung und Unterjochung.
Michael Molsner