Freitag, 8. August 2025

Was uns erzählt wird und was nicht

 

Israels Probleme sind unsere


Begonnen hat es nicht, wie bei uns wohl viele meinen, mit der shoah: „Weil Hitler, deshalb Judenstaat.“ Aber so ist es nicht. Mit der Balfour Deklaration von 1917 hat es begonnen. Zu dieser Zeit war Adolf Hitler weit davon entfernt, Völkermord zu verschulden. Er war noch das, was er später gebetstrommelartig wiederholte: Ein einfacher Gefreiter der deutschen Wehrmacht.

Es war der britische Außenminister Arthur Balfour, der den Juden eine Heimstätte in Palästina bei voller Achtung der Rechte heimischer Araber „garantierte“. Vielmehr, garantieren zu können glaubte.

Wie ernst er es gemeint haben mag, darüber wird gestritten. Die wichtigsten Punkte sind auf siebzehn Druckseiten zusammengefasst, falls jemand bei Wikipedia nachsehen möchte.

Weshalb es nicht geklappt hat, ist leicht einzusehen. Sehen wir uns die Landkarten von Japan (vor WK I) und Israel (1917 bis 7. 10.2023) an. Es sind schmale, schlauchartige Gebilde. Wenig bebaubarer Boden. Lebensmittelproduktion nicht ausreichend für die wachsende Bevölkerung. Zur Entwicklung von Industrie nicht ausreichend Energie. Es muß aber industrielle Entwicklung in Gang gesetzt werden, da Agrarprodukte (Reis aus Japan, Südfrüchte aus Israel) nicht ausreichen, um per Export Devisen zu verdienen, mit denen nötige Energie eingekauft werden kann.

Japan hat Teile Chinas erobert und damit den Zweiten Weltkrieg begonnen. Ein Film ist jetzt in Shanghai angelaufen, der die Vorgänge zeigt. Obgleich die chinesische Bevölkerung mehrheitlich aus einfachen Bauern bestand, sind die Japaner vor schier unvorstellbaren Grausamkeiten nicht zurückgeschreckt. Sie eroberten Südkorea, die Philippinen, griffen USA an – damit haben sie sich übernommen.

Weshalb die Gewaltorgie? Liegt es am Volkscharakter? Aber wir Deutschen sind nicht weniger, eher noch grausiger vorgegangen, nachdem wir die Sowjetunion überfallen und im Osten, wie die Führung glaubte, freie Hand gewonnen hatten. Es werde uns nicht schaden, soll Hitler gesagt haben, da der Sieger die Geschichte schreibe.

Uns Grausamkeit als Volkscharakter zuzuschreiben, hat nur wenigen Nachkriegspolitikern und - denkern eingeleuchtet. Klingt zu sehr nach Freispruch: Wie könnten wir schuldig sein, wenn wir per Veranlagung böse wären?

Konstatieren wir, dass Israel, wie Japan (seit 1935) und Deutschland (seit 1941), seine strategische Verteidigungsfläche zu erweitern bestrebt ist, kann uns das eigentlich nur dann verwundern, wenn wir weder an Japan noch an uns selbst noch an die Tatsache denken, dass die Schaffung von Groß-Israel vorausgesehen wurde. Viele haben vor der Konsequenz gewarnt: Hannah Arendt, Stéphane Hessel. Viele haben es begrüßt und suchen, Vorteile daraus zu ziehen: („Krieg lohnt sich“).

Furchtbare Grausamkeit einem irgendwie herbei phantasierten Volkscharakter zuschreiben zu wollen, ist eine Ausrede. Ebenso die Politisierung der Jahrestage des Abwurfs der Atombomben:

Nicht mehr zur Abwehr von Eroberung und Unterjochung – wie 1945/46 – könnten sie eingesetzt werden. Uns droht eine neuartige Gefahr: Atomkrieg zur Durchsetzung von Eroberung und Unterjochung.


Michael Molsner


Freitag, 25. Juli 2025

Der Dichter beim Denker

 

Heidegger hat Paul Celan verehrt, der ihn öfters besuchte und diesen Blick in einem Gedicht festgehalten hat. Es ist zu finden in dem Band LICHTZWANG. Es heißt TODTNAUBERG: "Arnika, Augentrost, der/ Trunk aus dem Brunnen mit dem/ Sternwürfel drauf..." Bitte selbst weiterlesen.

Es sind, finde ich, wundersame Verse. Celan sieht den Stern und fühlt sich, wie mir scheint, selbst in einer Sternstunde. Unglaublich.

Keineswegs schwer erklärlich, nur bisher kaum bekannt gemacht, dieses Verhältnis des Dichters zu dem Verehrer, der alle Gedichtbände Celans erworben hatte und, wie ich erfahre, viele auswendig wusste.

Wer einen Widerspruch darin sieht, dass der Mann, welcher der Mordmaschine des Holocaust entkommen war, ausgerechnet Martin Heidegger begegnen wollte, erliegt einem Fehlschluss. Das jedenfalls ist die Folgerung, zu der ich gelange. Paul Celan lehnte nicht Individuen ab, die einem Irrtum erlegen waren. Das wäre ja auch dumm gewesen, und Paul Celan war klug. Was er unerträglich fand, war das, was Kurt Tucholsky "die Bocherie" nannte. Das in der Nachkriegszeit selbstgerecht sich wieder aufblähende deutsche Spießertum. "Warum lasst ihr euch nicht erst mal die Haare schneiden" - das hörten wir 68er zeitgleich mit den immer schwerer aufs Herz schlagenden, immer umfangreicheren Informationen über das, was "wir" vergessen sollten.

Celan ist in die Seine gegangen, nicht nach Deutschland. Thomas Mann in die Schweiz. Hannah Arendt mit ihrem Mann in die USA. Jean Améry nach Belgien. Primo Levy in den Tod. Heinrich Heine nach Frankreich.

Wir erleben nun, wie alles, was unsere Generation erreicht hatte, verloren gegeben wird. Wir werden im geostrategischen Schachspiel einem klar voraussehbaren "Matt" entgegen geführt. Die es geahnt und darunter gelitten hatten, Heidegger, Celan, Ernst Jünger, Kurt Tucholsky, Jean Améry, Hannah Arendt, Herinrich Heine - wen habe ich vergessen? - sind im Ausland begraben.

Zum Schluss etwas Erheiterndes - muß immerhin auch noch erlaubt sein. Die langjährige Freundin, die mich auf Celans Werk aufmerksam machte, schrieb mir mal über einen Flecken in der Provinz: "Da möchte ich nicht tot überm Zaun hängen". Ich musste laut lachen.

Wenn ich heutigen Tages darüber lache, frage ich mich, ob nicht hinter diesem Scherzwort ein grimmiger, aktueller Ernst sich verbirgt.

Die Fotografie hat meine liebe Frau für mich heraus gegoogelt. Ihre Beiträge zu den oben dargestellten Überlegungen waren mir wichtig.





Samstag, 28. Juni 2025

Zu spät

Vom 25. Juli 1935 bis zum 20. August 1935 tagte in Moskau der VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale. Auszug aus dem Referat Georgi Dimitroffs über die »Offensive des Faschismus«

Der Faschismus an der Macht, Genossen, ist (…) die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals. Die reaktionärste Spielart des Faschismus ist der Faschismus deutschen Schlages. Er hat die Dreistigkeit, sich Nationalsozialismus zu nennen, obwohl er nichts mit Sozialismus gemein hat. Der Hitlerfaschismus ist nicht bloß bürgerlicher Nationalismus, er ist ein tierischer Chauvinismus. (…...

Ich hätte nur weiterlesen dürfen, wenn ich die Zeitung (junge Welt) abonniere. Ich kaufe sie lieber am Kiosk, im Abonnement ist sie mir zu teuer für im wesentlichen doch nur Propaganda. In diesem Bericht ist zum Beispiel weggelassen., dass die Volksfront viel zu spät kam.

Zuvor waren SPD und reformorientierte Arbeiterorganisationen als Verräter denunziert worden. Wie aktuell auch wieder. Da die Mehrzahl der deutschen Arbeiter eine Revolution nach bolschewistischem Muster in Deutschland ablehnte, war die Spaltung der Linken und deren Schwächung die Folge. Ohne Spaltung (und Schwächung!) der Linken wäre eine Machtübernahme der Faschisten nicht möglich gewesen. Man muss bedenken, dass Dimitroff als Chef der Komintern Karl Radek nach Deutschland sandte mit dem Auftrag, die Arbeiter zur Revolution gegen die bürgerliche Demokratie aufzuwiegeln.

Es war Stalins Linie: Die Kommunistischen Parteien in aller Welt hätten in der schweren Zeit den einen Auftrag, die Heimat der sozialistischen Revolution zu verteidigen. Die deutschen Arbeiter sollten also für die Sowjetunion kämpfen. Doch nach dem Ersten Weltkrieg ging es den Deutschen selbst sehr schlecht, sie wollten für das eigene Überleben kämpfen - nicht unverständlich.

Schließlich lenkte Moskau ein. Kennt ihr das Lied: "Kämpfen wir als Sozialisten/ Endlich in einer Front!/ Arbeitsbrüder, Kommunisten - Rotfront!" Sogar kirchliche, bürgerliche Stimmen seien in den Kampf gegen den drohenden Überfall auf die Sowjetunion einzubeziehen.

Nun: Wer zu spät kommt...

 

Mittwoch, 25. Juni 2025

unconditional

 

Unconditional surrender


Die bedingungslose Kapitulation war eine realistische Forderung gegenüber dem Dritten Reich, weil dieses von allen Seiten eingekreist war. Von Westen und Süden kamen die GI's, von Norden die Tommies, von Osten die Rote Armee. Japan in gleicher Weise einzukreisen, erwies sich als noch opferreicher. Daher entschloss sich Washington, Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki abwerfen zu lassen. Die auch von Japan geforderte bedingungslose Kapitulation konnte Japan nun nicht mehr verweigern.

Das ist alles bekannt.

Aktuell von Interesse ist für uns, dass US- Militärs erklärt haben sollen, Teheran müsse die die bedingungslose Kapitulation akzeptieren.

Es ist völlig unmöglich, das riesige iranische Gebiet einzukreisen wie seinerzeit Nazi-Deutschland. Bombardierungen großer Städte wie Dresden und selbst Hamburg und Köln haben den Wehrwillen des Nazi-Regimes nicht gebrochen. Bombardierungen Teherans und – sagen wir – Isfahans würden den Abwehrwillen der Bevölkerung eher stärken als schwächen, falls das Deutschland von 1945 ein Beispiel wäre.

Sogar die Ermordung des Anführers zwingt Teherans Niederlage nur herbei, wenn dieser nicht ersetzbar wäre. Aufstände aus der Bevölkerung würden die Revolutionsgarden grausam beenden. Demnach wird vermutlich der Abwurf von Atombomben, Beispiel Japan, in bestimmten Kreisen Washingtons bereits erwogen.


Michael Molsner, 25. Juni 2025

Dienstag, 24. Juni 2025

Immer bereit?

 

Kriegstüchtig!


Deutschland bereitet sich darauf vor, ein Land im Krieg zu werden. Militärisch und wirtschaftlich soll die Republik Kriegstüchtigkeit beweisen. Unter dem Schlagwort der Zeitenwende sind überall in Deutschland kriegsvorbereitende Maßnahmen zu beobachten. Politiker sprechen über Wehrfähigkeit, als wären Deutschlands Söhne und Töchter lediglich Verfügungsmasse für den Kampf auf dem Schlachtfeld. Die Kriegstreiber und Kriegsprofiteure sind unter uns. Sie sitzen in den Medien, in der Politik, in der Wissenschaft - und in den Rüstungskonzernen. Alle zusammen haben sie ihr Feindbild und ihren Krieg im Kopf zu einer öffentlichen Angelegenheit gemacht - und somit zu einer Angelegenheit von uns allen. Die Mobilmachung an der Heimatfront vollzieht sich Schritt für Schritt. Man könnte den Influencern des Krieges nun sagen: Lasst uns im Frieden und geht doch selbst an die Front - aber sowas wünscht man nicht mal seinem größten Feind.

Montag, 23. Juni 2025

Mimikry?

 

Mimikry - ? So tun, als ob?


Die linksradikalen Publizisten vom Schlage der Kästner, Mehring oder Tucholsky sind die proletarische Mimikry des zerfallenen Bürgertums... dieser linke Radikalismus ist genau diejenige Haltung, der überhaupt keine politische Aktion mehr entspricht. Er steht links nicht von dieser oder jener Richtung, sondern ganz einfach links vom Möglichen überhaupt. Denn er hat ja von vornherein nichts anderes im Auge als in negativistischer Ruhe sich selbst zu genießen. Die Verwandlung des politischen Kampfes aus einem Zwang zur Entscheidung in einen Gegenstand des Vergnügens, aus einem Produktionsmittel in einen Konsumartikel – das ist der letzte Schlager dieser Literatur.

Walter Benjamin, 1931


Das ist das Zentrum des Menschen Kurt Tucholsky. Er ist ein großer Liebender – von Ideen. Die Idee Frau, die Idee Sozialismus, die Idee Revolution: davon kann er singen und sprechen und schreiben wie kaum ein anderer – zärtlich, metallen, kämpferisch. Droht diese Idee – eine dieser Ideen – zur Realität zu werden, versagt er sich; flüchtet.

Fritz J. Raddatz, 1989


Das Problem spielt aktuell wieder eine ganz große Rolle. Ideale weltweit zu verbreiten, beansprucht unsere Anerkennung. Doch die Verwirklichung von Idealen ist lediglich in einem Teil der Welt möglich, ist abhängig von Bedingungen an einem Ort durch ein bestimmtes Zeitfenster. Global geplant, ist die Verwirklichung nur partikular möglich. Daher nennt unser „Tucho“ zeitgenössische Sozialdemokraten Verräter des Ideals, ohne dass er sich den Problemen der „Implementierung“ sozialistischer Ideale praktisch ausgesetzt hätte. Er hatte sich nach Frankreich abgesetzt, als in Deutschland erbitterte Bürgerkriege um die Durchsetzung der Demokratie tobten. Wie sich bald zeigte, liebte er auch nicht Frankreich, sondern die Idee Frankreich; um Raddatz zu ergänzen.

Meine Generation hat Tucholskys Gegner als die eigenen erlebt und bekämpft, das machte uns zu seinen begeisterten „Fans“; und wir sind es geblieben. Dass die 1960 herausgegebenen gesammelten Werke nicht den wirklichen Tucho boten, sondern eine Idealgestalt schufen, die weder dem Menschen noch irgendeiner lebbaren politischen Möglichkeit entsprach – wussten wir nicht. Jetzt liegt das unzensierte Gesamtwerk vor, dem die obenstehenden Zitate entnommen sind. Jetzt sind wir schlauer. Aber kommen zu spät, fürchte ich, um noch gehört zu werden.

Dir kam ein schön und neu gesicht/ Doch zeit ward alt, heut lebt kein mann/ ob er je kommt das weisst du nicht/Der dies gesicht noch sehen kann“.

Stefan George

Ob wir begreifen konnten, was Claus von Stauffenberg meinte, als er beim Feuerbefehl des Erschießungskommandos ausrief: „Es lebe das heilige Deutschland!“? Ich glaube, er meinte die Idee Deutschland. Zweimal ist versucht worden, sie zu verwirklichen. Übel misslungen.

Samstag, 21. Juni 2025

tucho+baram

 

tucho+baram


In bin allmählich zu betagt, um mir immer noch mehr Bücher zuzulegen. Jetzt habe ich aber doch den Band 21 der Gesamtausgabe Texte und Briefe von Kurt Tucholsky gekauft und heute erhalten. Es sind die letzten Briefe, die er geschrieben hat, alle aus 1935.

Vor allem habe ich mich dazu entschlossen, weil mir eine Äußerung von Baram in den Sinn kam. Vor Jahrzehnten auf Formentera haben wir über einen Grafiker diskutiert, der geometrische Formen auf Gemälde brachte. Ich gestand Baram, dass ich damit nichts anfangen könne, und er antwortete: „Why should you? It is not art“. Ich war verwundert, denn der Gemeinte hielt sich für einen sogar besonders begabten Künstler. Und so fragte ich: „How do you know, what is art and what is not?“ Baram antwortete: „If it has no magic, it is not art, Mike.“

Ich habe das nie vergessen, und ein wunderschönes Bild von Baram, der selbst Maler war, hängt seither in meinem jeweiligen Wohnzimmer. Ich sehe es täglich und ja: Es meint mehr als das, was es zeigt. Es ist Kunst.

Womit ich bei Tucholsky bin. Ich halte ihn für einen der größten deutschen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Er hat die Göttergabe, durch seine Sprache mehr zu sagen als das, was wir den content nennen; mehr und anderes, als er inhaltlich mitteilt. Seine Sprache gibt Kunde von etwas, das über den Inhalt geht. It has magic. It is art.

Tucholsky's Sprache birgt ein Geheimnis, ich nenne es einen einzigartigen „Klang“.

Genau das, was Thomas Manns Sprache sogar in den berüchtigten vaterländischen Polemiken hat. Auch bei Jean Améry höre ich diesen Sound mit. Bei Arno Schmidt. Das sind die ganz großen literarischen Lieben meines Lebens. Über all die Jahrzehnte bin ich ihnen treu geblieben. Deshalb stehen so viele Einzelbände von ihnen im Regal. Daß Franz Kafka ein Sonderfall ist, brauche ich wohl nicht zu erwähnen. Die vier genieße ich. Kafka - ? - leide ich mit.

Hannah Arendt hält den großen K. freilich für einen Humoristen. Na, ich weiß nicht, nicht einmal ihr glaube ich alles.

So, jetzt ist aber Schluss mit dem Bücherkauf. Was soll überhaupt aus all den Schätzchen werden, wenn ich dereinst...? Schluss für heute.