Samstag, 8. März 2025
Das letzte Kapitel
Sprachschatz.
Robert Gilbert wurde im letzten Jahr des Ersten Weltkrieges 1918 Soldat und kam in Kontakt zu den Kommunisten im Spartakusbund, der sich an Rosa Luxemburgs Thesen orientierte. Das war die Basis seiner lebenslangen Freundschaft mit Heinrich Blücher, der sich zum Kommunismus trotzkistischer Richtung bekannte. Es war eine Freundschaft zwischen Ungleichen. Robert Gilberts Eltern waren jüdische Deutsche, der Vater bereits wohlhabend als Operettenkomponist und Verfasser populärer Schlager: Puppchen, du bist mein Augenstern wurde noch bis in letzte Jahrhundert gesungen. Sohn Robert ist dann in der Zwischenkriegszeit regelrecht reich geworden durch Mitarbeit an Filmen und Verfasser von Schlagern, die jeder sang. Es war eine goldene Zeit für ihn. Er war jedoch genügend weit „links“ geblieben, um die Zerbrechlichkeit des schuldenfinanzierten Booms zu durchschauen.
Das gibt's nur einmal.
Das kommt nicht wieder,
Das ist zu schön um wahr zu sein.
So wie ein Wunder fällt auf uns nieder
Vom Paradies ein gold'ner Schein.
Das gibt's nur einmal,
Das kommt nicht wieder,
Das ist vielleicht nur Träumerei.
Das kann das Leben nur einmal geben,
Vielleicht ist's morgen schon vorbei.
Das kann das Leben nur einmal geben,
Denn jeder Frühling hat nur einen Mai.
Für seinen kommunistischen Freund war ohnehin klar, wie es enden könnte. Heinrich Blücher, von 1936 an zweiter Ehemann von Hannah Arendt, wird den Freund in dessen Zweifeln bestärkt haben. Robert schrieb und komponierte:
Keenen Sechser in der Tasche,
bloß 'nen Stempelschein.
Durch die Löcher der Kledasche
kiekt die Sonne rein.
…
Stellste dir zum Stempeln an,
wird det Elend nich' behoben -
wer hat dir, du armer Mann,
abjebaut so hoch da droben?
Unter den Gassenhauern von damals sind viele, die beinahe Umgangssprache wurden: Die Liebe der Matrosen; Es muß was Wunderbares sein, von dir geliebt zu werden
(zitiert nach Hannah Arendt, Menschen in finsteren Zeiten, Piper Verlag, Taschenbuchausgabe, Mai 2012)
Entweder Text oder musikalische Einlagen steuerte Robert Gilbert bei zu:
Am Sonntag will mein Süßer mit mir segeln geh'n; Irgendwo auf der Welt (Text von RG), Musik Werner Heymann; Was kann der Sigismund dafür (komponiert von RG; Im Salzkmmergut,da kamma gut lustig sein; Die ganz Welt ist himmelblau (Musik Robert Stolz); Ein Freund,ein guter Freund; Liebling mein Herz läßt dich grüßen...
Zitiert nach Wikipedia
Die deutsche Sprache hat RG mitgenommen, als er emigrieren musste. Sie war der nicht zollpflichtige Teil seines Reichtums.
Lebwohl, Berlin.- Es muß geschieden sein.../
So grüßt mich meine alte Bleibe noch
Zum Städtele hinaus
Hab keinen Dunst, wie lang es dauern wird,
und was vom Elbstrom bis zum Rhein
Aus deinen Arbeitern und Bauern wird,
lieb Vaterland. Und kann nicht ruhig sein.
Zollrevision. Devisen. Paßkontrolle. Ach,
man läßt mich durch. Es ist gelungen.
Da murmelt noch der letzte deutsche Bach:
Es ist ein Ros' entsprungen.
Zitiert nach Robert Gilbert, Durch Berlin fließt immer noch die Spree, Blanvalet 1971
Neben dem deutschen beherrschte er auch den englischen Sprachschatz. Die deutschen Dialoge des Films My Fair Lady mit Rex Harrison und Audrey Hepburn hat er getextet. Ich finde sie besser als das englischsprachige Original. Besonders die Schlußszene hat mich tief beeindruckt. Der Sprachwissenschaftler Professor Henry Higgins zieht sich in sein Labor zurück, wo er Dialekte auf Walzen zu übertragen pflegt, um sie abzuhören und sie nach Lautbildungen analysieren zu können.
Dieses Labor ist das Zentrum seines vernunftgeleiteten Lebens.
Vereinsamt und tief unglücklich sitzt er da. Er hat nichts falsch und alles richtig gemacht, wie Logik und Wissenschaft es forderten. Aber seine Meisterschülerin Eliza Doolittle kann er nicht vergessen. Er hat es versucht. Er kann nicht: Ich bin gewöhnt an ihr Gesicht...
Erfüllt von einem Gefühl, unfaßbar wie das Licht, aber doch eben notwendig, weiß er nicht weiter. Was tun, was?!
Ich habe in dieser Szene, wie Professor Higgins in seinen Sprachanalysen, mehrere Aspekte entdeckt. Vernunft als Rationalität allein ist nicht genug. Einfühlen jedoch kann er sich nicht. Es geht dabei keineswegs, meine ich, um Einfühlung in das Innenleben von Eliza. Er kann sich in sich selbst nicht einfühlen! Das ist das Problem.
Er müsste nun eingestehen, wie er zu seiner Meisterschülerin steht. Ausgeschlossen. Nun legt er also die Walze in den Lautsprecher ein, wo er Elizas ersten Besuch festgehalten hat. Er hört sie sagen, dass sie Sprachunterricht bei ihm nehmen und bezahlen will, um in einem Blumenladen arbeiten zu können und nicht auf der Straße mit Blumen rumrennen muss wie bisher. Und er hört den damaligen Hausgast Pickering darauf wetten, daß Higgins es nicht schafft, Eliza soweit zu bringen. Und er hört, dass er die Wette annimmt.
Er hat gegen sich selbst gewettet – und verloren. Vernunft ohne Empathie mit sich selbst ist tödlich. Im Film allerdings dürfen wir uns über die Erlösung des Vernunftmenschen aus seinem selbstgebauten Gefängnis freuen. Während er Elizas Stimme lauscht, wird die Walze angehalten. Eine schöne, in elegantem Weiß gekleidete Dame sehen wir die Szene betreten. Und Eliza – sie ist es – sagt: Ick ha' ma ooch Jesicht un' Hände jewaschen, bevor ick jekomm' bin.
Robert Gilbert hat die Aufgabe gelöst, den mit acht Oscars ausgezeichneten Film für das deutschsprachige Publikum anschaubar zu machen. Er hat dafür die Sprache gewählt, die ihm als Berliner am vertrautesten war.
Berliner waren es, die nach dem Krieg als erste zurückgekehrt sind. Friedrich Hollaender textete:
In den Ruinen von Berlin
Fangen die Blumen wieder an zu blüh'n
Und in der Nacht spürst du von allen Seiten
Einen Duft, als wie aus alten Zeiten!
Der Wahl-Berliner Billy Wilder drehte den Film, in dem Hollaender selbst am Klavier sitzt und die Sängerin Marlene Dietrich begleitet, die Berlinerin, die heimgekommen ist.
Inmitten von den Ruinen, die deutscher Größenwahn hinterlassen hat, zeigen sie mit einer Nachsicht, die kaum zu fassen ist, dass sie die Stadt und ihre Bewohner nicht aufgegeben haben – im Gegenteil.
Es ist eine Wette auf unsere Zukunft.
Wer hat die Wette gewonnen, wer verloren?
Wir sind aufgefordert, wieder zu hassen. Nicht – wie damals – Anne Frank und Etty Hillesum. Nach ihnen sind Straßen und Schulen benannt. Wir hassen jetzt andere, diese aber gründlich und mit Vernichtungswillen. Erfreut zählen wir die Toten, die unsere Waffen dort hinterlassen haben. Und rechnen die künftig noch zu erwartenden Leichenzahlen siegesfroh aus.
Wir rüsten eigens auf, um die Grenzen der Ukraine zu schützen.
Niemand spricht mit vergleichbarer Zustimmung davon, dass die USA ihre Grenzen schützen wollen.
Dass Russland seine Grenzen gern geschützt sähe, scheint noch weniger begreiflich zu sein.
Dass China die Einheit des Mutterlandes verteidigt, wird uns als offene Kriegsdrohung im Pazifik geschildert. Wir entsenden Kriegsgerät in diesen Raum.
Dass Nordkorea einen Heldenkampf um seine Souveränität nicht vergisst, versteht buchstäblich überhaupt gar niemand.
Ob wir die Wette auf unsere Zukunft noch einmal verlieren? Es könnte das letzte Mal sein, bevor es heißt: Les Jeux Sont Faits. In dem gleichlautenden französischen Film kann dann nicht mehr gesetzt werden. Es gibt keine Chips mehr.
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