Freitag, 7. November 2025

Der Hölle entstiegen

 

Der Hölle entstiegen?

 

Meine Vorschläge zur Rettung:

Meiner Partei, meines Vaterlandes, meiner Muttersprache

 

Als lebenslanger Sozialdemokrat setze ich mich mit den Erfahrungen auseinander, die meine Partei mit der Brandmauer gemacht hat. Mit dem erklärten Ausschluss aus der Lebensgemeinschaft. Wir Sozialdemokraten waren zu Kaiser's Zeiten allenthalben als „vaterlandslose Gesellen“ verschrien.

In die Volksgemeinschaft aufgenommen hat unser Kaiser uns erst, als er uns brauchte: um Krieg zu führen. Nun kannte er keine Parteien mehr, nur noch Deutsche. Nicht wenige von uns waren geschmeichelt. Die Konsequenzen an der Front und im KZ waren unerfreulich.

Doch so weit muss ich nicht zurück gehen.

Ich erinnere mich, wie ich aus der Lebensgemeinschaft ausgeschlossen wurde. Es war nach unserem Umzug von München ins Allgäu. Als ich Fraktionsführer meiner Partei im Gemeinderat wurde, erfuhr ich: Wer unsere Bräuche nicht mitmacht, gehört nicht zu uns. Dass Bayern wie andere Bundesländer sich auf die Einhaltung unseres Grundgesetzes  verpflichtet hatte, musste ich mit Nachdruck durchsetzen. Es war nicht leicht.

Die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland war bei manch einem Trachtler noch nicht angekommen.

Und dazu gehört – schon vergessen? – die nachdrückliche Warnung von der Kanzel. Wir Sozialdemokraten wurden gewarnt, unser Kreuz niemals bei denen zu setzen, die sich zum Atheismus bekennen. Gemeint waren wir. War die SPD. Nun, meine Partei bekannte sich erstens nicht zum Atheismus, sondern zur Religionsfreiheit, was etwas anderes ist. Und zweitens war ich selbst nicht gewillt, mir von wem auch immer meine verfassungsrechtlich garantierte Wahlfreiheit streitig machen zu lassen. Dass ich dafür in der Hölle schmoren würde, wie jetzt wieder von einem Ex-Kanzler meiner Partei angedroht, glaubte ich nicht.

Jesus hat uns gern, trotz unserer Fehler – hörte ich dieser Tage erst im Film ZWINGLI, der zum Reformationstag im Fernsehen lief.

Unsere Erfahrungen mit der Brandmauer, Erfahrungen als Partei und als Person, in lang vergangener und in jüngst vergangener Zeit, sind eindeutig. Wir waren die Opfer von Brandmauern, auch wenn sie noch nicht so hießen – niemals die Nutznießer.

Wenn jetzt einzelne Personen oder ganze Parteien als Verbündete unserer Feinde bezeichnet werden, kennen wir das bestens. Wie bezeichnete Franz Josef Strauß uns linke Publizisten? Ratten und Schmeißfliegen seien wir. Und über Willy Brandt? „Was hat er draußen getan, unter anderem Namen? Wir wissen, was wir drinnen getan haben. Unter unserem eigenen Namen“

Jetzt also wird Alice Weidel als Verbündete unserer Feinde bezeichnet. Wie einst Willy Brandt, als der „Wandel durch Annäherung“ noch nicht akzeptiert war. Und wie Willy Brandt jetzt wieder.

Sie ist in China mit einer Dissertation über das chinesische Rentensystem promoviert worden, spricht Mandarin. Wechselte dann in die Vorstände angesehener Bankhäuser wie Goldman Sachs, auch in den USA, Großbritannien und Frankreich – und spricht neben Mandarin auch Englisch, Französisch und hochdeutsch (besser als die meisten).

Sie wird nun beschuldigt, sowohl mit dem Präsidenten der USA wie mit dem der Russischen Föderation wie mit dem Chinas gute Beziehungen unterhalten zu wollen. Keinem dieser Präsidenten will sie unsere aktuell gängigen Vorstellungen von guter Regierung aufdrängen. Putin ist kein Förderer homosexueller Beziehungen, Alice Weidel lebt in homosexueller Ehe, sie ist lesbisch. Xi Jinping fordert freien Handel, Trump verhängt Zölle. Mit ihnen zu sprechen, hält Weidel nicht für Landesverrat oder gar Hochverrat. Beides wirft man ihr vor. Ja mehr, etliche Personen, die sich zu ihrer Partei bekennen, haben Hass und körperliche Gewalt zu erwarten. Es wird öffentlich dazu aufgerufen.

Unsere Medien und Kirchen reagieren, wie sie einst uns gegenüber reagiert haben. Unser sozialdemokratischer Präsident Friedrich Ebert sei ein Verbrecher, befand Kurt Tucholsky. Als Chef der Zeitschrift DIE WELTBÜHNE ließ er den Nachruf auf Ebert von einem Mann der Moskauer Zentrale schreiben, der nach Deutschland gekommen war, um die deutsche Arbeiterschaft zu spalten. Das gelang auch – mit den bekannten Folgen.

Wir Sozialdemokraten sind dabei, unserer eigenen Geschichte ins offene Messer zu laufen.

Der Bürger Thomas Mann hat davor gewarnt, als es für eine Korrektur nicht zu spät war. Auch der Kommunist Bertolt Brecht, er schrieb sinngemäß: Nach dem ersten Punischen Krieg sei Karthago noch schön gewesen, nach dem zweiten noch mächtig, nach dem dritten nicht mehr auffindbar.

Beide mussten emigrieren, um ihr Leben zu retten. Das war damals.

 Auch jetzt gibt es warnende Stimmen.

 

Michael Molsner

Samstag, 25. Oktober 2025

Weizsäcker - der Bruder

 

Weizsäckers Selbstdarstellung

Quelle: Carl Friedrich von Weizsäcker:

Der Garten des Menschlichen

„Die Fähigkeit zum widerstrebenden Konformismus gehört in allen Gesellschaften zu den Mitteln des Überlebens.“

 

„Mein Unglaube an die Legitimität des bürgerlichen Systems – in meiner Generation damals weit verbreitet – und eine unklare chiliastische (=endzeitliche) Erwartung machten mich Zwanzigjährigen empfänglich für den seelischen Vorgang, den ein tiefblickender Kritiker die Pseudo-Ausgießung des Heiligen Geistes von 1933 genannt hat.“ 

Ich wurde aufmerksam. Auch ich war als Zwanzigjähriger von der Ausgießung eines Geistes, den ich für irgendwie heilig hielt, empfänglich gewesen. Es war für mich der Geist der Gründungsväter der USA, der Geist eines Jefferson, Franklin, Washington. 

Beeindruckt hatte mich, wie damals Weizsäcker, „daß zahllose Menschen, die verzagt und verzweifelt gewesen waren, einen gemeinsamen Lebensinhalt empfanden; das also, was die Anhänger der Bewegung ihren Idealismus nannten.“ In meinem Fall war es die Bewegung der 68er-Jahre.

Was lag dahinter?, fragt er. „Als ich als Kind zum ersten Bewusstsein erwachte, war Krieg.“ Aus der Welt der Erwachsenen empfing er die Botschaft:

„Die Welt ist voller Morden.“ Viele von uns haben es ähnlich empfunden, als Präsident Lyndon B. Johnson ein fernes, kleines Bauernvolk mit der Übermacht seines industriellen

Potentials angriff.

Später habe die Bergpredigt seinen Glauben an die Legitimität der bürgerlichen Gesellschaft zerstört, schreibt Weizsäcker, und er habe ihn nie ganz wiederherstellen können.

Bei mir war es nicht die Bergpredigt, die meinen Glauben an die Legitimität der

bürgerlichen Gesellschaft zerstört hat. Es war die Erfahrung, dass ich von allen Medien, denen zu vertrauen man mich gelehrt hatte, belogen wurde.

„Ich gehöre zu denjenigen Deutschen, die das Faktum des Nationalsozialismus nicht bewältigt, sondern überlebt haben.“ So Weizsäcker. Er überlebte, weil er – ich verweise auf den Beginn meines Beitrags – die Fähigkeit zum widerstrebenden Konformismus nutzte.

Auch mir bleibt kein andere Möglichkeit. Noch einmal für unsere rechtsstaatliche Demokratie aktiv einzutreten, bin ich zu alt. Dass unsere Eliten Geld stehlen, um gegen die Bestohlenen Krieg zu führen, ist entsetzlich, schmachvoll, erniedrigend. Doch ich kann es nicht ändern, so wenig es Weizsäcker damals möglich war. Er schreibt: „Der Widerstand, moralisch so verehrungswürdig, beruhte inhaltlich weitgehend auf dem Glauben an die ungebrochene Gültigkeit politischer, auch religiöser und kultureller Denksysteme, deren Brüchigkeit durch Hitlers Erfolg wie durch einen Blitz erleuchtet worden war.“

Carl Hanser Verlag, 1977

 

Auch für mich  ist der Glauben an die ungebrochene Gültigkeit von Anstandsnormen zerstört worden.

Michael Molsner

 

 

Mittwoch, 22. Oktober 2025

Bleierne Zeit

 

Fünf Buchstaben

 

„Die AfD in Thüringen will zu Drohnenabwehr, Wasser- und Energieversorgung besonders genau Bescheid wissen. Innenminister Georg Maier hält Spionage für Russland nicht für abwegig.“ Heute 22. Oktober 2025 als Mitteilung der FAZ gelesen.

 

Gestern habe ich mir noch einmal den wunderbaren Truffaut-Film „Die letzte Metro“ angesehen.

Mit einem unerwarteten tiefen Erschrecken habe ich abgebrochen bei der Szene, in der Lucas Steiner durchdreht. Er – Jude – hockt in seinem Versteck und löst die Kreuzworträtsel der Zeitungen und hört Radio. Im Rätsel sucht er „Inbegriff von Abschaum,  waagrecht vier Buchstaben: Jude“, „Gefährlicher Krimineller, vier Buchstaben senkrecht: Jude“. Undsoweiter.

Ich hatte es eigentlich immer makaber-komisch gefunden. Man leidet ja auch mit seiner geplagten Ehefrau Cathérine Deneuve, die es aushalten muß wie wir Zuschauer. Gestern nun überfiel oder durchwolkte mich (blödes Wort) eine Art Schwäche. Ich konnte nicht mehr, stand auf, schaltete ab. Schnappatem. Was war passiert?

Nach Luft ringend ging ich ein paar Schritte, trank einige Schluck Tee, versuchte mich zu fassen. Dann erst traute ich mich in die Küche, wo meine Frau am Herd stand.

„Mir ist plötzlich klar geworden“, gestand ich, „dass es unsere Situation ist, die Steiner anprangert. Wir lesen Zeitung und erfahren: „Konjunktur schwächelt – Ursache mit fünf Buchstaben: Putin.“ Oder „Drohnen über Flughafen: Ursache mit fünf Buchstaben: Kreml“. Unser Land sei im Krieg, gegen wen? Richtig, fünf Buchstaben…

Und hören wir Radio: „Nicht genug Schutzräume im Kriegsfall! Wen freut es? Fünf Buchstaben“. Manch ein EU-Land glaubt nicht an Kriegsgefahr, wem nützt es? Fünf Buchstaben...

„Ich will weg!“, brüllt Steiner auf. „Weg von diesen Irren, die sind alle wahnsinnig!“ Seine Frau schlägt ihn bewusstlos, als er sein Versteck verlassen und sich bei der deutschen Kommandantur melden will, „um den Irrtum aufzuklären“. Als er zu sich kommt, desinfiziert Cathérine die Kopfwunde mit Jod. „Wir müssen aushalten.“

Das Happyend ist dann, dass Befreier kommen.

US-Panzer rollen die Boulevards entlang, Ernest Hemingway befreit Shakerspeare&Co., eine Buchhandlung in Paris.

Uns befreit niemand, das ist der Unterschied. Manche erhoffen es sich von – richtig, fünf Buchstaben, Trump. Doch wer, wie ich, seit vielen Jahren verfolgt, was unsere Zeitungen und Zeitschriften von ihm halten, was wir im Radio über ihn hören, was die Fernsehkorrepondenten von ihm berichten -  der muss seine Hoffnungen überprüfen.

Unser Problem ist exakt das von Steiner. Durch eigene Kraft ist Rettung nicht absehbar. Und wann Befreier kommen, wissen wir nicht.

 

Michael Molsner