Montag, 30. Oktober 2023
Kartenspiel mit Kiebitzen
Kartenspiel
Vor ca 30 Jahren haben meine Frau und ich ganz Israel der Länge und der Breite nach mit einem Leihwagen durchfahren. Orientiert haben wir uns mittels einer Landkarte, die wir aus Deutschland mitgebracht hatten. Die Richtigkeit dieser Karte wurde immer wieder bestritten. Sie gelte nicht mehr, behaupteten eingewanderte US-Amerikaner. Und alsbald machten sie sich daran, uns die angeblich aktuelleren „maps“ zu zeigen. Darauf war überall dort, wo nach unserer Karte noch Palästinenser siedelten, nur noch Erez Israel (Groß-Israel) zu sehen. Die Siedlungsgebiete der Palästinenser waren integriert. „Und wo sollen die Palästinenser hin?“, fragten wir. „Viele arabische Länder sind menschenleer, da finden sie genug Platz“, antworteten die Amerikaner. Sie hatten den „Transfer“ der palästinensischen Einheimischen fest eingeplant. Wir erschraken. Und während wir weitere Eindrücke sammelten, wuchsen unsere Befürchtungen. In Bethlehem steigerten sie sich bis zum Schock. Die Einheimischen waren hinter einem Zaun eingesperrt. Gruselig.
Das ist alles wieder ganz aktuell. Und obgleich deutsche Medien laut der schweizerischen Zeitschrift WELTWOCHE nicht mehr als Lieferanten von Information betrachtet werden sollten, habe ich im gestrigen Presseclub etwas gehört, das mich aufhorchen ließ. Eine noch nicht von Hass und Hetze angesteckte Teilnehmerin an der Diskussion meldete nämlich, Palästinenser sowohl in Palästina wie in Deutschland hätten ihr Landkarten in die Hand gedrückt, auf denen israelisch regierte (besetzte) Gebiete nicht mehr zu sehen waren.
Wenn also die US-amerikanischen Siedler in Israel kein Palästina im Erez Israel wünschen, und die Palästinenser kein Israel in Palästina, dürfen wir wohl von einem gegenseitigen Vertreibungswunsch ausgehen.
Vernichtungswünsche, die beiderseits ohne weiteres unterstellt werden und in bestimmten Milieus wohl auch vorhanden sind, kämen einem „onslaught“ gleich, geplantem Gemetzel. Massenmord an der Zivilbevölkerung.
Nun kommt es in Kartenspielen bekanntlich darauf an, wer das bessere Blatt hält. Israel erwartet seine Joker aus Washington, die Palästinenser fordern ihre von den arabischen Bevölkerungen ein.
Europa hat seine Jetons schon alle verspielt und den Sitz am Spieltisch geräumt.
Ob China für uns ins Spiel einsteigt? Es verfügt über Jetons und kann mit seinen Freunden reden.
Befreundet ist es auch mit denen, die einander feind sind. Das kann sich noch auszahlen. Nicht nur für China.
Es gebe keinen Ersatz für den Sieg, lautet ein Motto des US-Militärs. Also auch keinen für's Abräumen des Gegners.
Doch, gibt es, behaupten die Pekinger Mitspieler. Keiner muss alles verlieren, wenn man seine Trümpfe kontrolliert einsetzt und gemeinsame Ziele verfolgt. Nicht zero-sum anpeilt, sondern win-win.
Fakten und Zweifel
Terror und Gegenterror.
Die Beurteilung vergangener Ereignisse fällt oft unterschiedlich aus. Manche Beurteilungen sind und bleiben lange umstritten, andere gelten als gesichert, sie sind und bleiben lange Konsens.
Konsens ist: Der Anschlag auf das World Trade Center vom 9. November 2001 war ein terroristischer Akt. Der Krieg gegen den Terror, den George W. Bush erklärte, erwies sich als ungünstige Antwort. Der Überfall auf den Irak, den Bush anordnete, hat den Islamischen Staat erst zur weltweiten Bedrohung heranwachsen lassen. Der IS eroberte die 2-Millionenstadt Mossul und verteidigte sie im Häuserkampf neun Monate lang gegen Kommandeure der US-Army, bevor er sich mit 350 Milliarden Dollar aus der Zentralbank endlich absetzte. Dieses Geld nutzten die Terroristen für Waffenkäufe und Anschläge in vielen Ländern. Krieg gegen den Terror zu führen gilt seither nicht mehr als die beste Reaktion auf terroristische Anschläge.
Dass Bushs Krieg fehlschlagen würde, ist frühzeitig erkannt worden. So hat neben anderen der damalige deutsche Kanzler Gerhard Schröder Bush die Gefolgschaft verweigert. Joseph Joffe schrieb damals in DIE ZEIT ein vernichtende Beurteilung Schröders. Für die Dauer mindestens einer Generation werde die westliche Welt Schröders schändliche Illoyalität uns Deutschen nicht verzeihen.
Ein SCHANDFLECK werde es in der Geschichte der deutschen Sozialdemokratie bleiben, dass dieser Kanzler Gerhard Schröder die Ehrennadel für 60jährige Mitgliedschaft erhielt, steht in der Frankfurter Allgemeinen vom Samstag, 28. Oktober 2023, sie war aktuell an den Kiosken ausgestellt.
Für die publizistische Unterstützung des Überfalls auf den Irak hat die New York Times sich damals entschuldigt, DIE ZEIT nie. Und die FAZ wird sich voraussichtlich nicht für den Schandfleck entschuldigen, den sie uns Sozialdemokraten anheftet, soweit wir uns nicht ganz entschieden von der Brandt/Bahrschen Friedenspolitik distanzieren. Dieser gelbe Fleck hat historisch die Ausgestoßenen gekennzeichnet.
In einem weiteren Kommentar wird ein Schandfleck auch zwei eben erst demokratisch (wieder-) gewählten Regierungschefs angeheftet: dem slowakischen Premier Robert Fico und dem ungarischen Premier Orban. Sie singen Putins Liedchen, meint der Kommentator der FAZ. „Beiden muss deutlich gemacht werden...“ - was? Sie seien auszustoßen aus unserer „Wertegemeinschaft“, ist gemeint, wenn auch nicht ganz so krass geschrieben.
Als Publizist möchte ich diesen kaum bestreitbaren Tatsachen noch eine Beurteilung hinzufügen, die „umstritten“ sein wird. „Schandfleck“, „Putins Liedchen singen“ - so reden gute Menschen nicht. Mich erinnert es an die höhnische Sprache der Ausgrenzer, die einige von uns noch erlebt haben. Auch in jüngster Zeit noch und sogar auf dieser Facebook-Seite! Es sei nicht so gemeint gewesen, las ich zur Verteidigung von Beiträgen, die Schröders Ausweisung aus unserem Staat oder mindestens den Entzug seiner Staatsbürgerschaft gefordert hatten. Der Entzug von Bürgerrechten ist nur ein erster Schritt, den letzten auf diesem Weg können wir in alten Berichten der Deutschen Wochenschau besichtigen.
Samstag, 14. Oktober 2023
Kriegsberichte
Zu den Kriegen, die jetzt gefährlich werden können, haben ausgewiesene Fachleute Stellung genommen. Stephane Hessel in seinem internationalen Bestseller "Empört euch!" (2010) zum Konflikt Israel-Palästina. Er empfiehlt zur Ergänzung den "Bericht der Untersuchungskommission der Vereinten Nationen über den Gaza-Konflikt, Herausgeber "Human Rights Council" (2008).
"Lektionen aus dem Ukraine-Krieg" zu lernen empfiehlt Chas Freeman Jr. in "Die Weltwoche" Nr. 40 vom 5. Oktober 2023, knapp zwei Wochen alt. Sowohl dieser Verfasser wie Hessel haben beeindruckende Lebensleistungen vorzuweisen. Erinnern möchte ich ferner an Hannah Arendts Eindrücke aus ihren Reisen nach Israel/ Palästina für die Jewish Agency (nach Ende des 2. Weltkriegs). Neben den offiziellen Berichten sind besonders die unbefangenen und spontanen Äusserungen in ihren Briefen an Heinrich Blücher überaus interessant.
Donnerstag, 5. Oktober 2023
Im Rückspiegel der Geschichte
Schwer zu übersetzen: "Prescience shows only in history's rearview mirror". Gemeint ist einfach: Im Rückblick ist zu erkennen, dass Katastrophen klar vorhersehbar waren - aber leider nur von wenigen. Anfang 1941 hat der US-Botschafter in Japan, Joseph Grew, Washington gewarnt, dass ein Überraschungsangriff auf Pearl Harbour drohe. Der Ökonom Roger Babson hatte 1929 einen unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruch des New Yorker Aktienmarktes vorhergesagt. Bekanntlich ist die Weltwirtschaft nach dem Schwarzen Freitag dennoch zusammengebrochen und hat der Überfall auf Pearl Harbour die amerikanische Pazifikflotte fast vernichtet.
Der Grund ist darin zu suchen, dass die Unheilspropheten zwar Experten waren und auch die Entscheidungszentren erreichten - jedoch widerlegt wurden von anderen Experten, die eine gegenteilige Auffassung vertraten und damit durchdrangen.
Das war zu lesen in einem Beitrag der New York Times vom 2. Oktober: "The Secret Memo From The General Who Foresaw Black Hawk Down". Hochinteressant. Tragisches Schicksal des Generals übrigens.
Es gibt andere Beispiele mit sogar noch fürchterlicheren Folgen: So war Stalin 1941 aus verschiedenen Quellen vor einem überraschenden Angriff der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion gewarnt worden. Allerdings sprach vieles dagegen und die Überraschung gelang den Deutschen, ein endgültiger Erfolg der Wehrmacht schien fast sicher. Die möglichen Folgen sind derart fürchterlich, dass niemand gerne darüber spricht.
Für mich ist es ein Trost, dass rückblickend mir niemand vorwerfen kann, ich hätte vor den klar absehbaren Kriegen nicht gewarnt. Das habe ich seit 2014 getan. Seit damals sind die Kriegspläne des globalen Westens aus den Tatsachen ablesbar gewesen, nur liest eben niemand mehr Tatsachen.
Mittwoch, 4. Oktober 2023
Kolonisierung der Ukraine
Und die Absicht ist...?
Kolonialisten, lese ich in einem Beitrag von Stephen Ndegwa (Nairobi), haben immer schon gewusst, dass der erste Schritt einer erfolgreichen Kolonisation in der Zerstörung einer Kultur besteht. Erst wenn Menschen keine eigene Kultur mehr haben, kann man sie nach Belieben manipulieren. Sie haben dann ihren moralischen Kompass verloren und sind Marionetten in den Händen ihrer Herren.
Dies im Sinn, entnahm ich mit zunehmender Spannung einer aktuellen Veröffentlichung von POLITICO, welch langfristige Strategie die USA bezüglich der Ukraine vorschlagen. Die erst neuerdings bekannnt gewordene „Integrated Country Strategy“ ist dreimal so lang wie die um heikle Stellen bereinigte Version, die der Öffentlichkeit ohne große Reklame vor einem Monat zugemutet wurde; es gehe um Sorgen bezüglich der Korruption in der Ukraine, hieß es zunächst nur, und dass man sich darum kümmere.
Jetzt – nur vier-fünf Wochen danach – erfahren wir Näheres. Die Ziele der USA umfassen die Privatisierung der Banken, Unterstützung der Schulen beim Erteilen von Englischunterricht, Ermutigung des Militärs bei der Anpassung an NATO-Standards. Hier Details:
Die Ukraine soll attraktiver für „private“ Investitionen werden; nichts Besonderes: Das Außenministerium fertige derartige Strategien für viele Länder.
Das Land sei zwar nicht zur Zulassung in die NATO vorgesehen, doch das ukrainische Verteidigungsministerium möge ein Offiziers- und Unteroffizierskorps schaffen, das mit NATO-Doktrinen und NATO-Prinzipien vertraut sei.
Auch für zivilen Widerstand sei ein Plan zu erstellen, um ukrainische Zivilisten als Bürgerwehren gegen russische Geländegewinne einzusetzen.
Die Ukraine möge eine eigene Verteidigungsindustrie entwickeln, um unbedingt notwendige Waffen selbst herstellen zu können.
Die Dezentralisierung des Energiesektors sei durch nachhaltige Reformen einzuleiten.
Die Ukraine müsse ihre Aufsichtsorgane instand setzen, Geldmittel aus den USA (budget support) jederzeit nachvollziehen zu können. Das ukrainische Finanzwesen müsse die Wirtschaft durch erleichterte Kreditvergaben ausweiten, die Rolle des Staates im Finanzwesen reduzieren.
Eine verstaatlichte Bank sei durch transparente Schritte in Privateigentum zu überführen.
Das Strategiepapier wünscht abschließend technische und andere Hilfen bei der Unterstützung des zuständigen Ministeriums, die englische Sprache zu verbreiten. Englischunterricht werde der Ukraine helfen, sich mit Gebieten zu vereinigen, die von russischer Besatzung befreit sein werden.
Diplomatische Vertretungen der USA sollen über Kiew hinaus in Lviv, Odessa, Karkow, Dnipro errichtet werden.
Interessant, oder?
Dienstag, 3. Oktober 2023
Freude
Morgen oder übermorgen, am 4. oder 5. Oktober 2023, wird mir eine Biografie von Hannah Arendt geliefert. Sie soll sich, wie der Verlag behauptet, auf bisher unbekannte, neu erschlossene Quellen stützen. Ich freue mich darauf, obgleich ich die Bücher von Hannah und auch einiges über sie längst besitze und überhaupt schon viel zuviele Bücher habe. Da ich recht alt geworden bin, frage ich mich gelegentlich, was aus all den vielen Büchern werden soll und weshalb ich die alle in den Regalen stehen habe. Die Antwort ist mir heute früh eingefallen, als ich festgestellt habe, dass ich mich auf die Biografie von Hannah so sehr freue. Alle diese Bücher in meinen Regalen sind, so oft ich eines aufschlage, ob von oder über Goethe, von oder über Schiller, Hegel, Thomas Mann, Gottfried Benn, Raymond Chandler, Eric Ambler, eine Quelle der Freude – und schon in früheren Zeiten haben sie mir Freude gemacht, eben deshalb habe ich sie ja bewahrt. Weil sie sich über die nun schon lange Dauer meines Lebens bewährt haben. Bewahrt, weil bewährt.
Niemand, denke ich, wird sie noch nach Gebühr schätzen, wenn ich nicht mehr ihr Hüter sein kann.
Aber bis dahin entspringt der Freudenquell!
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