Sonntag, 13. August 2023

Standpunkt

Ich suche meine Position im Meinungsstreit. Meinen Standpunkt. Zeit der Schurken, englisch scoundrel time hat die uns Krimi-Autoren wohlbekannte und von uns hochgeehrte US-amerikanische Autorin Lillian Hellman ihre Erinnerungen an das Jahr 1952 betitelt. Erschienen ist das Büchlein, nur 150 Seiten in meiner TB-Ausgabe, im März 1956. Ein schmerzlicher Rückblick in Zorn und Sorge. Vor Senator Joseph McCarthys Ausschuss zur Untersuchung Unamerikanischer Umtriebe (dem Un-American Activities Committee) war sie zwar bereit, sich für ihre eigene Vergangenheit als linksorientierte Aktivistin zu rechtfertigen, verweigerte aber die Beschuldigung anderer. Sie hat teuer bezahlt. Viele Jahre wurde sie auf schwarzen Listen geführt (war blacklisted), musste ihr Zuhause verkaufen und zusehen, wie andere die Karriere retteten, indem sie ihre Freunde verrieten. Ihr Resumé: Ich habe mich nur teilweise von dem Schock erholt... Ich hatte an Intellektuelle geglaubt, ob es meine Lehrer waren oder meine Freunde oder Fremde, deren Bücher ich gelesen hatte. Und dann der Satz, der mich bewogen hat, hier daran zu erinnern: In jedem zivilisierten Land sind Menschen immer für diejenigen eingetreten, die in politischen Schwierigkeiten waren. (In every civilized country people have always come forward to defend those in political trouble.) Während der Zeit der Schurken war eben dies in den USA strafbar – Hellmans Lebensgefährte Dashiell Hammett ging dafür ins Gefängnis, seine zuvor viel gelobten Kriminalromane wurden verhöhnt, seine Reputation zerstört, sein Vermögen entzogen. Da es jetzt bei uns in Deutschland wieder mainstream ist, Gesinnungen zu verfolgen, füge ich hinzu, dass McCarthy es sogar wagte, General George Marshall als nützlichen Idioten der Kommunisten zu verunglimpfen (as a dupe of the communists). Von Dwight D. Eisenhower verlangte er eine unmissverständliche Distanzierung von dessen langjährigem und für den Sieg in Europa bedeutenden Vorgesetzten. Falls er es nicht tue, werde man ihn bei seiner Rede zur Bewerbung für die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner ausbuhen. Eisenhower weigerte sich höchst ärgerlich mit den Worten: „Ich bin oft für meine Aktionen kritisiert worden und nehme es gern in Kauf, wenn es darum geht, meine Vorstellung von Gerechtigkeit zu vertreten. (...that I had no concern whatsoever about booing, that I had often been criticized for my actions, and would gladly be booed for standing for my own conceptions of justice). Mandate for Change, Heinemann London 1963, S. 318. Während seiner Präsidentschaft hatte Eisenhower Gelegenheit, die Gefahren der später als „Hexenjagd“ bezeichneten Kommunistenhatz kennenzulernen. Er beendete sie, als der offenbar irre gewordene Senator die Armeebibliotheken säubern wollte und die Entfernung linkslastiger Bücher forderte, sie gar beschlagnahmen ließ. Das war zuviel. Cancel culture nennt man es heute. Zensurmaßnahmen sind üblich und treffen kaum noch auf Widerstand. Gesinnungsbeschimpfung wird von Politikern und Medien öffentlich gefordert. Wer sich dem Trend verweigert, werde mitschuldig am Abbau von Demokratie und Rechtsstaat. Eisenhower hingegen äußerte sich empört über unamerikanische Methoden, damit bekämpfe man unamerikanische Tendenzen nicht, sondern verstärke sie. Doch die Oberbefehlshaber von Armeen, die Hitler besiegten – wer sind sie schon, ein George Marshal, ein Dwight D. Eisenhower, was haben sie schon geleistet, den westeuropäischen Krieg gegen Hitler gewonnen, uns alle vor der Nazi-Herrschaft bewahrt, na und? Weshalb sollten wir ihre Warnungen vor der Gefährdung der Inneren Sicherheit beachten, wie das entsprechende Kapitel in Eisenhowers zitiertem Werk benannt ist (THE INNER SECURITY). Wir Deutschen haben unsere eigenen Erfahrungen mit innerstaatlicher Sicherheit. Die Nazis zu besiegen haben wir zwar nicht geschafft, als es darauf angekommen wäre. Dafür besiegen wir sie nachträglich. Was für ein „geiles Land“ wir geworden sind! Narrative fressen Fakten. Die einen sagen so und die anderen so. Alles eine Frage des Standpunktes!

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