Montag, 15. November 2021

Propaganda - hoffentlich erfolglos

Am 9.November 2021 hat die New York Times einen Artikel über die verschiedenen Protestbewegungen in den USA veröffentlicht: „Why Wokeness Will Fail“. Es habe in der Geschichte des Landes zwei Formen großer Protestbewegungen gegeben. Der Ruf nach Abschaffung des Althergebrachten richte sich gegen das System als Ganzes, dem keinerlei Lernfähigkeit zugetraut wird. Das sei stets gescheitert, stellt Bret Stephens fest. Die andere Form baue auf dem bereits Erreichten auf und entwickle – darauf fußend – die als notwendend erkannten Reformen. Nur die zweite Form habe sich in der Geschichte der USA bewährt. Für die Abschaffung der Polizei finde sich keine Mehrheit, wohl aber dafür, dass sie sich nicht von rechtsfremdem Rassismus leiten lasse. Stephens nennt andere Beispiele, mir erscheinen sie einleuchtend. Ich habe die Argumente aber auch sehr hilfreich gefunden. Die Sozialdemokratie hat gegenüber den radikalen Linken und Rechten bei den Wahlen zum Bundestag 2021 eine Mehrheit des Wählervolks überzeugen können. Sie bricht weder mit der Politik der Abschreckung eines Helmut Schmidt, wie es die radikal Linken fordern, noch mit der Friedenspolitik Willy Brandts und Egon Bahrs, was die radikalen Rechten beklagen („Dann gute Nacht“, kommentierte der Ressortchef für Außenpolitik der FAZ. Das Althergebrachte soll nicht abgeschafft, als notwendend Erkanntes soll trotz der übermächtigen Propaganda von Finanzinteressen mutig umgesetzt werden. So das Versprechen. Ein ganz anderes Beispiel aus meiner privaten und beruflichen Erfahrung. Eine Freundin von mir lehnt sowohl die SPD ab wie einen Autor, den ich sehr schätze: Thomas Mann. Sie fühlt sich von Thomas Manns älterem Bruder Heinrich angesprochen – ich nicht. Das sind persönliche Reaktionen. Überpersönlich wird es interessanter. Weshalb wird Thomas Mann als Jahrhundert-Schriftsteller bezeichnet und nimmt eine herausgehobene Stellung ein gegenüber nicht nur Heinrich Mann, auch im Vergleich zu seinerzeit sehr erfolgreichen und angesehenen Kollegen wie Lion Feuchtwanger und Franz Werfel? Thomas Mann wird mit Goethe auf eine Stufe gestellt, gilt als „Kanon“, andere nicht. Woran liegt das? Thomas Mann hat Gegensätze nicht geleugnet, sondern war stets neugierig auf die Art, wie sie sich gegenseitig be- dingen und zur Weiterentwicklung hindrängen. Feuchtwanger hat Hitler als ekelhaften Kerl beschrieben, Thomas Mann spricht vom „Bruder Hitler“. Werfel sang „das Lied von Bernadette“, Thomas Mann suchte den Mythos von „Joseph dem Ernährer“ im Ursprung unserer Religion. Thomas Mann war Instinkt-Dialektiker. Das machte ihn zum Realisten und Humoristen. Ich lese das lieber als nackten Hass oder unkritische Verehrung. Rezepte gibt es nicht, wir erleben Entwicklungen.