Mittwoch, 18. Januar 2017

Ich bitte um Rat für die kommenden Wahlen

Beruflich fühle ich mich für Politik nicht zuständig, privat schon: als Bürger dieses Staates und Mitglied meiner sozialdemokratischen Partei. Beider Führung geht mich etwas an. Ich bin in Sorge und ratlos - wen kann ich überhaupt noch wählen?
Dies gesagt, füge ich hinzu, dass mir nach wie vor die historische Mission der Sozialdemokratie sozusagen heilig ist. Ich verstehe darunter die ständige, immer wieder erforderliche und nie zu beendende Neu-Ausrichtung einer Balance zwischen sozialer Gerechtigkeit und persönlicher Freiheit.  Auch letztere ist wichtig, nicht nur erstere - denn frei ist niemand im Krieg.
So wahr und einsehbar das ist, von unseren politischen Führungsfiguren scheinen die meisten auf den Kriegskurs zu setzen, den Hillary Clinton versprochen hat.
Niels Annen, der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion und seines Ministers, hat in einem Interview vor zwei Tagen klargestellt, dass die SPD sowohl den US-Präsidenten wie den russischen Präsidenten bekämpfen will. Eigentlich sagte er im Klartext: Putin muß weg (Kriegsverbrecher), Assad muß weg (Mörder), Trump muß weg (spricht die Sprache der AfD). Demnach scheint festzustehen, dass eine sozialdemokratische geführte Regierung auf Konfrontationskurs geht sowohl zu Russland wie zu den USA.
Wer wären dann unsere Verbündeten? Frankreich unter Fillon eher nicht. GB unter May zweifelhaft, sucht Bündnis mit USA.
Dieser Kurs (gegen USA+Russland+England+Frankreich) hat sich für Deutschland während der letzten hundert Jahre zweimal als katastrophal erwiesen.
Heute nun lese ich in meiner Lokalzeitung, dass nach der Verweigerung eines Verbots der NPD durch den BGH unsere sozialdemokratische Generalsekretärin zu verstärktem Kampf gegen die AfD aufruft (Faschisten). Aber auch gegen die Linke wird Stimmung gemacht (Altkommunisten). Das ist der Versuch, jegliche Opposition gegen das Kriegsbündnis (für das die NATO eintritt wie zu Obamas Zeiten) zu diskreditieren.
Merkel hinwiederum hat Putin als Verbrecher bezeichnet und Trump Ermahnungen zukommen lassen, als müsse er von ihr auf die amerikanische Verfassung verpflichtet werden.
Wen kann ich wählen - ohne als Faschist oder Utopist beschimpft zu werden und ohne die Kriegspolitik zu unterstützen, was ich für eine Sünde vor Gott und den Menschen halten würde.

Samstag, 14. Januar 2017

Einunddreißigster Brief: Where are you, Errol Flynn?

Erinnert sich jemand, wie es im Wilden Westen zuging, wenn Herausgeber und Chefredakteure von Zeitungen Kritik an den Machthabern übten?  Sie wurden stumm gemacht. Man wollte keine kritischen Stimmen, weder in der  Presse noch im Saloon. Zur Freude von uns Zuschauern griff dann irgendein Errol Flynn, John Wayne oder Clint Eastwood ein und stellte die Demokratie wieder her - die nur funktionieren kann, solange es kritische Stimmen gibt.
Wie steht es bei uns mit der Vierten Gewalt? Ich fürchte, es steht schlimm damit.
Dafür ein Beispiel - und keineswegs ein besonders krasses oder auffallendes.
Heute früh lese ich auf Seite 1 meiner Lokalzeitung:
Lammert für härtere Strafen/ Internet-Beschimpfungen nicht hinnehmbar.
Zwei Interviewer stellen dem Bundestagspräsidenten zunächst die Situation vor Augen: "Die terroristische Bedrohung, Europas Krise, die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten" - und knüpfen daran die Frage, mit welchen Gefühlen der Parlamentspräsident darauf reagiere. Worauf dieser ausführt, Verrohung finde in den sozialen Medien statt und müsse bestraft werden, um hinzuzufügen: "Über den Verlauf und das Ergebnis der amerikanischen Präsidentschaftswahlen bin ich immer  noch fassungslos."
Kritischer Journalismus müsste wohl fragen, wie Lammert es mit seiner politischen Stellung vereinbart, den gewählten neuen US-Präsidenten indirekt zu beleidigen, und ob das den Beziehungen zur neuen Administration und unserem Staat  dienlich ist. Und ob nicht Lammert selbst sich einer Entgleisung schuldig macht, wenn er so etwas sagt.
Doch diese Frage wird nicht gestellt.
Es gibt keinen kritischen Journalismus mehr bei uns - mit ganz wenigen Ausnahmen. Alle Medien, die öffentlich-rechtlichen wie die privaten, denunzieren oppositionelle Stimmen als populistisch oder möchten sie gar unter Strafe stellen.
Fühlt ihr euch wohl in Dodge City, nachdem der Herausgeber der Zeitung stumm gemacht wurde? Und bevor Errol Flynn eingegriffen hat?
Wie sehnlich haben wir als Kinder auf Errols Erscheinen gewartet.
Damit die Demokratie wieder funktioniert.


  

Samstag, 7. Januar 2017

Dreißigster Brief: Tief betroffen wieder einmal von Goethe

War recht niedergeschlagen nach zufälligem Blättern in Goethes Italienischer Reise. Erhoben und beglückt zuerst durch seine wunderbare Offenheit für Fremdes, für andere Bräuche und Sitten. Für seine Bereitschaft, sich durch neue Eindrücke bereichern zu lassen. Verurteilungen habe ich nur einmal auf den 50-60 Seiten gefunden, die ich aufmerksam zu lesen begann - und da waren es die Jesuiten, die er als Erbe und Mitgestalter der Aufklärung beiläufig der Betrügerei bezichtigt. Sehr begreiflich und ein wenig belustigend, ich musste lachen. Aber sonst ... Sogar Befremdliches lehnt er nicht ab, verurteilt es nicht, schildert es genau und anschaulich und übrigens ohne Beschönigung, wenn auch diskret. Er vertraut darauf, dass er daraus lernt und wir durch ihn daraus lernen könnten.
Wie anders, wie niederschmetternd anders ein Reisebericht in der Süddeutschen Zeitung vom 3. Januar (03.01.2017). Da schildert ein Tim Neshitov seinen Besuch bei einem Ururenkel Fjodor Dostojewskis in Russland. Und es gibt keine Einzelheit, die er uns ohne belehrende und beurteilende, auch hämische und sogar verachtungsvoll verurteilende Kommentierung mitteilt. Über seine Vorurteile lässt ern jedenfalls keinerlei Zweifel aufkommen.
Auf was für einen Tiefstand ist die Reiseberichterstattung in unserem Land herabgesunken! Aber freilich, ohne die Tendenz hätte der Kollege seinen Bericht wohl nicht untergebracht. So ist das jetzt bei uns, "so geht es zu" - um Thomas Mann zu zitieren.
Es hat mich sehr traurig gemacht.
Wir erhalten Informationen nur noch mit Gebrauchsanweisung.Was notiert Goethe über die Jesuiten? Dass es ihn interessieren würde zu wissen, was sie den Leuten aufgebunden hatten.