Samstag, 2. Dezember 2023

Grobschlächtig, hölzern, plump

Die junge welt abzubestellen, deren Abonnent ich noch bin, fällt mir nicht leicht. Sie mutet mir aber die gleichen Beleidigungen meines Anstandsgefühls zu wie das Handelsblatt und die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die ich schon vor Jahren abbestellt habe. Aktuell erbost mich vor allem der Titel, den sie über den Nachruf auf Henry Kissinger gesetzt haben: Unkraut vergeht doch. So etwas tut man nicht, meine ich. Zumal das in China und Russland ganz anders gesehen wird. Xi Jinpin sagte, als Henry K. im Sommer zu Besuch nach China kam: „Ein alter Freund wie Sie wird nie vergessen“. Putin drückte der Familie des Verstorbenen sein Beileid aus. Die Annäherung zwischen China und den USA, die er zustande brachte, nennt die Financial Times vom gestrigen Freitag, 1. Dezember 2023, „a staggering achievement by any standards“ (eine erstaunliche Leistung nach jedem Maßstab). Das chinesische Fernsehen sprach von einem traurigen, einem großen Verlust. Und der Atomwaffensperrvertrag („nuclear arms control deals“) mit der Sowjetunion sei von enormer Bedeutung gewesen, beinahe auf gleicher Ebene mit dem Durchbruch in Bejing. Die Angst, dass jederzeit ein Atomkrieg unseren Planeten zerstören und die Menschheit vernichten könnte, habe der Diplomat uns damals für’s erste genommen. Dass der „Gigant der US-Diplomatie“ ein umstrittenes Erbe (a divisive legacy) hinterlässt, um noch einmal die Financial Times zu zitieren, dürfen wir freilich anmerken. Es könnte und sollte ein Hinweis darauf sein, was Realpolitik an Unheil stiftet – falls unsere Kriege gegen Russland uns darüber noch nicht genügend belehrt hätten. Aber „Unkraut vergeht doch“ – geht meines Erachtens nicht. Das ist der Holzhammer der DKP, die sich mit solcher Rhetorik in die Unwählbarkeit polemisiert hat. Und ich werde weiter auf der Suche nach einer Mitte-links-Zeitung sein, die mich umfassend informiert, ohne mein Anstandsgefühl zu beleidigen.

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