Sonntag, 5. November 2023

Tödliche Falle

Es war abzusehen Nach dem 2. Weltkrieg haben die USA zwei opferreich niedergekämpfte Gegner an sich gebunden. Deutschland wurde mit dem Marshalplan aufgepäppelt, Japan mit einer neuen Verfassung. Es ging darum, diese Staaten nicht an den jeweils möglichen kommunistischen Machtbereich zu verlieren. Deutschland wurde in die NATO integriert und damit unter US-Kontrolle gestellt. Der Vertrag über gegenseitige Kooperation und Sicherheit von 1952 leistete die gleichen Dienste für Japan. Beide Staaten – weil zuvor höchstentwickelt – erholten sich schnell. Sie wuchsen zu Konkurrenten heran. Die USA haben deshalb Japans Wettbewerbsfähigkeit für die Dauer des sogenannten „verlorenen Jahrzehnts“ zerstört, Einzelheiten sind unter dem Stichwort Plaza Accord im Internet zu finden. Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit wurde kürzlich durch die Zerstörung der russischen Gaslieferungen soweit geschädigt, dass unserem Land Entindustrialisierung droht, möglicherweise wird es ein für Europa verlorenes Jahrzehnt. Beide Staaten, die sich nach der Kriegsniederlage auf Friedenspolitik verpflichtet hatten, rüsten nun auf. Ob zur Unterstützung der US-geführten Kriege, wie in Japan Friedensfreunde befürchten, oder zwecks Gewinnung eigener Waffenfähigkeit, wie von Europas Führung versprochen, bleibt vorerst offen. Inzwischen macht eine weitere Macht den USA auf dem Weltmarkt Konkurrenz: China. Wie gegenüber Japan und Deutschland soll nun diesem Rivalen die Wettbewerbsfähigkeit genommen werden. Decoupling ist offizielle Politik und bedeutet nichts anderes, auch wenn es als Derisking getarnt wird. Das alles stellt insgesamt keineswegs ein undurchschaubares Geflecht von Problemen dar. Im Gegenteil, es ist nur allzu durchschaubar. Daher die medial so nachdrücklich geforderte Kriegsbereitschaft. Inzwischen ist ein weiterer Krieg ausgebrochen. Er lässt mich an einen berühmten Essay von Hannah Arendt denken: Home to the roost. Zurück zu uns selbst, schreibt sie, wird die terroristische Unterjochung kehren, die wir anderen angetan haben. Ein Vergleich mit der bei Tag emsig umher pickenden Hühnerschar, die bei Nacht oder Gefahr in den heimischen Stall zurückkehrt. Es war absehbar und ist vorhergesagt worden. Stephane Hessel, Überlebender von Buchenwald, warnt in dem weltweit gelesenen Büchlein „Empört euch!“ von 2010 vor der fortgesetzten Unterdrückung der Palästinenser. Er spricht vom abscheulichsten Massenverbrechen unserer Zeit, das ganz gewiss, wenn es weiterhin geduldet wird, furchtbare Folgen zeitigen müsse. Diese sind eingetreten. Vom Generalsekretär der Vereinten Nationen hören wir, dass es noch schlimmer kommen kann. Ein Regionalkrieg könnte den gesamten Mittleren Osten verwüsten. Überlebende würden bei weiterer völliger Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen den Weg zu uns suchen. Denn wir haben uns, wie die USA, nur mit Worten, mit Taten nicht, gegen die Unterjochung der Palästinenser gewehrt. Wir tragen eine Mitverantwortung, der wir uns nicht entziehen können – obgleich wir es gerne täten. Die Zunahme der Migration ist sicher zu erwarten. Überall, wo wehrlose Bevölkerungen wenig entwickelter Staaten einen Weg in hochentwickelte Länder sehen, gehen sie diesen Weg. In Europa über das Mittelmeer, in Lateinamerika über Mexiko. Stehen legale Wege nicht offen, werden illegale genommen. Der Lebenswille junger Familien ist stärker als die Drohungen von Polizei oder Militär. Das ist die Lage. Sie ist nicht „komplex“. There is no trap so deadly as the trap you set for yourself, wusste schon Raymond Chandler.

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