Samstag, 17. Juni 2023

Abschied von Elis K.

Abschied 14.06.2023: 01.05 ist ihre letzte Mail an mich datiert. „Beinahe hätt' ich's vergessen: Ich habe morgen (Mi) einen Termin beim Hausarzt und zwar um 11 Uhr, da werde ich also um ca. 10 Uhr 30 das Haus verlassen. Lieben Gute-Nacht-Gruss!“ Sie hat mir das noch in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch mitgeteilt, bevor sie zu Bett ging. Sie wusste, dass ich jeden Morgen von ihr eine Mail erwarten durfte, so, wie ich meinerseits sie täglich vormittags und abends anrief. An diesem Mittwochmorgen aber wusste ich ja nun, dass sie beim Hausarzt war, und rief nicht zurück, denn ich hatte zu tun. Gegen Mittag allerdings rief ich sie an und war sicher, sie würde sich melden. Da ihr AB sich einschaltete, nahm ich an, sie habe nach dem Arztbesuch noch Besorgungen gemacht. Jedenfalls würde ich dann eine Mail vorfinden mit Einzelheiten über den Arztbesuch. Doch mein Server zeigte keine Mail an! Nun wurde ich ärgerlich und sprach auf ihren AB, sie möge sich doch bitte endlich melden! Abends antwortete auf meinen Anruf noch einmal ihr AB. Ich wurde sauer: Das sei nicht komisch! Ich sei beunruhigt. Und das war ich. Hatte der Arzt sie ohne weiteres per Sani ins Krankenhaus verfrachten lassen? Falls es so war, konnte es schwierig für sie werden, sich an unsere feste Abmachung zu halten, jeden Tag irgendwie Nachricht zu geben. Das war schon einmal passiert, da hatte sie dann eine Schwester gebeten, ihre Nichte und mich anzurufen. Am Donnerstag noch immer keine Mail! Ich rief gegen 9 Uhr die eingespeicherte Nummer an und hörte wiederum den AB. Da stimmte etwas nicht. Um 10 Uhr mein zweiter Anrufsversuch. Wieder der AB. Nun suchte ich im Internet die für ihren bayerischen Wohnort zuständige Polizeiwache heraus. Mein Vertrauen in die Abmachung unbedingter gegenseitiger Benachrichtigung sei in Jahren gefestigt. Etwas könne nicht stimmen. Ich nannte ihren Namen und die Adresse. Er fragte nach Einzelheiten, die ich im Moment nicht gleich zusammen brachte. Der Beamte war freundlich. Er verstand, dass ich Angst hatte. Etwa eine Stunde später rief er mich an. Sie seien hingefahren und hätten, als nach etlichen Versuchen durch lautes Klingeln und Klopfen nicht geöffnet worden war, die Tür aufgemacht und die Wohnung betreten. Sie hätten die Dame leider tot vorgefunden. Nach meinem ersten Schrecken fragte ich: „Wie vorgefunden?“. In ihrem Bett liegend, sagte er. Sie sei offenbar friedlich eingeschlafen. Es war eine schlimme Nachricht. Erst während der Nacht auf Freitag, als ich kummervoll wach lag und um Trost betete, ging mir auf, wie dankbar ich sein durfte. Sie hatte mir vertraut und ich ihr. Sie hatte nicht tagelang unbemerkt in der Hitze gelegen. Sie hatte gelegentlich befürchtet, dass so etwas passieren könnte. Das hatte ich verhindert. Ihr “alter mike“, wie ich mich manchmal nannte, hatte rechtzeitig eingegriffen. Es war das happy-end einer Geschichte, die vor sechzig Jahren begonnen hat. Als 22jähriger Redaktionsvolontär machte ich für die Lokalzeitung eine Reportage über aufstrebende Unternehmen, upstarts nennt man sie heute. Elis demonstrierte in einer Tanzschule als Partnerin des Chefs vor den Augen neugieriger Adepten, was für Schritte bei diesem oder jenem Rhythmus zu lernen sind. Das machte sie leichthin und elegant. So etwas konnte ich nicht. Sie gefiel mir. Einen Tag später kreuzte ich noch einmal auf und sah sie vor dem Eingang der Tanzschule. Sie stand da so ungezwungen, dass ich spontan sagte: „Sie sind für mich der Inbegriff mädchenhafter Anmut.“ Es schien ihr nicht zu missfallen, und so fügte ich kühn hinzu: „Wie schade, dass ich Sie nicht wiedersehen darf.“ Warum denn nicht? „Na, Sie sind die Partnerin eines offenbar wohlsituierten jungen Unternehmers. Ich bin nur ein Volontär mit sehr kargem Gehalt. Da darf ich es nicht wagen, Sie ihm streitig zu machen.“ Sie antwortete, sie tanze nur mit ihm vor, wenn er eine Partnerin brauche, es gebe sonst nichts zwischen ihm und ihr. Wir haben uns wohl über ein halbes Jahr lang mehrmals wöchentlich an den Abenden getroffen. Schließlich trennten sich unsere Wege – auch räumlich. Doch vergessen habe ich das bezaubernde Mädchen nie. Schade, dass ich hier nicht gut ein Bild von ihr posten kann (Persönlichkeitsschutz). Sie war süß. Und jetzt kommt, was ich kaum hinzuschreiben wage, so unwahrscheinlich klingt es. Auch ich bin von ihr nicht vergessen worden. Wenn in Medien von mir berichtet wurde, nahm sie das wahr und dachte an mich. Schließlich geschah etwas, das ich als ein Wunder erlebt habe. Ich hatte das frühe Erlebnis mit ihr in einem Roman erwähnt, aus dem ich in einer fremden Stadt öffentlich vorlas. Erst um Mitternacht kam ich heim. Am nächsten Morgen klingelte das Telefon. Eine weibliche Stimme. Sie war es und konnte nun ihrerseits kaum glauben, dass ich erst am Abend zuvor ihren Namen – wenn auch verfremdet – genannt hatte. Doch ein Wunder sei es nicht. Sie habe immer mal anrufen wollen, doch im letzten Moment stets gezögert. Diesmal habe ihre Courage halt ausgereicht. Stimmt schon, an Wunder glaubte sie nicht. Überhaupt nicht an diejenigen, die ich, wie sie wusste, meine Oberen nenne. Und doch ist es kaum zu fassen, wie wir seither unsere Beziehung ausgebaut haben. Elis K. ist außer meiner unvergessenen Jugendliebe auch meine hochgeschätzte Künstler-Kollegin. Die Umschläge („Cover“) meiner selbstpublizierten Romane sind alle von ihr gestaltet. Und sie hat bis ganz zuletzt meine kleinen Texte, die ich als Blogger oder auf Facebook anbiete, kritisch kommentiert. Auch meine neuliche Klage über den Tiefstand unserer Medien. 14.06.2023 00:31 ist ihre vorletzte Mail an mich datiert. „Lieber Mike, ist etwas am Tiefstand angekommen, kann es doch nur noch besser werden, sagt man. Wir wünschen es uns. Mein Lieber, schlaf gut!“ Hinzugefügt hat sie „K&U!“, das ist ein Geheimcode zwischen uns. Er bedeutet, dass niemand außer uns beiden gemeint ist. Komme gut an, Liebe! Meine Gebete begleiten dich. K&U!

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