Montag, 29. September 2025

Oskar Maria Graf

 

Die gezählten Jahre, Roman von Oskar Maria Graf

Nachwort von Jean Améry


Eine antiquarische Buchhandlung „Die Fundgrube, bei der Volksoper“ in Wien hat den Roman von Oskar Maria Graf geliefert. Ich hatte das Buch eigentlich nur wegen des Nachwortes bestellt, „Ein deutscher Realist“, titelt Améry. Das klingt interessant und gibt wieder einmal zu denken. Das Nachwort fragt uns: „Ist das Wahre das 'Ganze' oder ist vielleicht wahr im geschichtlichen Sinne ausschließlich das moralisch Legitime?“

Die Antwort kennt nicht nur der Wind. „Eine halbe Wahrheit entpuppt sich oft als eine ganze Lüge“, lautet ein Aphorismus Benjamin Franklin's.

Der kluge Jean Améry weiß das selbstverständlich. Wenn er die Frage dennoch nicht als rhetorische, sondern als Suggestivfrage stellt, als sei eine andere Antwort als Zustimmung gar nicht möglich, dann gibt es Gründe – einen Grund. JA ist geprägt nicht nur von der Folter, die ihm angetan, auch von der Menschenverachtung und -vernichtung, die er miterlebt hat.

Dass es das gegeben hat und – wie er annehmen muss – weiterhin geben wird - erfüllt ihn mit Empörung. Diese ist es, die ihn am Leben erhält. Am Leben als Diskutant. Erst als die Einsicht wächst, dass Widerspruch hilflos bleibt, resigniert er, wird Suizidant. Wir haben ihn verloren.

Er lässt uns zurück mit der Frage, die er im Nachwort stellt. Graf antwortet darauf nicht in dem Roman, den Améry als realistisch lobt, sondern sehr deutlich in seinem Erinnerungsbuch „Gelächter von außen“, nämlich von New York aus, wo er zwanzig Jahre lang als Emigrant lebte.

In seinem Roman schildert Graf die Selbstzerstörung der Sozialdemokratie in der Zeit zwischen Bismarcks Verbot der Partei und der Vernichtung der Partei durch die Nazi nach 1933. Geblendet von parlamentarischer Macht habe die SPD-Führung es versäumt, die Machtstellung der Besitzenden zu beseitigen, als sie es noch konnte. Und dass man die Vernichtung der Kommunisten den Rechts-Konservativen überlassen habe, obgleich unter Stalins Führung der Sowjetsozialismus antisozial geworden sei.

In seinen Erinnerungen „von außen“ kommt Graf zum entgegengesetzten Schluss. Einem Emigranten, der Stalin und Hitler als Menschheitsverbrecher gleichgesetzt wissen will, widerspricht Graf mit wirkungsvoller Ironie. Er weiß inzwischen, was die Menschheit dem Bündnis zwischen den USA und der Sowjetunion verdankt – es ist die Verhinderung des drohenden Weltfaschismus. Mit ausschließlich moralischen Mitteln wäre die Allianz des europäischen mit dem asiatischen Imperialismus nicht zu besiegen gewesen.

Wahr im geschichtlichen Sinne ist eben nicht nur das moralisch Legitime. Realitätsnähe erweist sich als unverzichtbar. Dass sie uns verloren gegangen war, erlebte Graf bei seiner Rückkehr nach München. Empört reiste er wieder ab. Empört. Empören auch wir uns. Endlich.


Michael Molsner

Ermutigung zum Aufstand

 

Farbrevolutionen

Ermutigung zum Aufstand in Feindesland


Irgendwer hatte mir eingeredet, Farbrevolutionen seien eine Erfindung der CIA – falsch, Schlauberger im Geheimdienst der USA haben die Strategie bei Benjamin Franklin abgeschaut. Franklin am 7. Juli 1775 an einen befreundeten englischen Bischof: „Dein ausgezeichneter Rat war, wenn wir Krieg haben müssen, möge er ausgetragen werden zwischen Nationen, die einst Freunde waren und wünschen, es wieder zu werden.“

Benjamin Franklin vertritt den Standpunkt der amerikanischen Kolonien, deren Unabhängigkeit der britische König und seine Minister verweigern.

Franklin schreibt: „In diesem Regierungskrieg (der Briten) gegen uns (die US-amerikanischen Kolonien) wird ganz Europa genötigt, uns keine Waffen oder Munition zu verkaufen, so dass wir wehrlos wären und umso leichter gemordet werden könnten. Der humane Sir Draper, der gastfreundlich empfangen wurde in jeder einzelnen unserer Kolonien, rät den Sklaven, ihren Herren den Hals durchzuschneiden. Dr. Johnson, der „Besteuerung nicht Tyrannei“ gefordert hatte, empfiehlt nun den Sklavenaufstand und rät, indianische Wilde zu ermuntern, unsere Pflanzer in entlegenen Siedlungen anzugreifen. Sie sind die ärmsten und unschuldigsten aller Menschen, und die Art der Indianer ist es, Männer, Frauen und Kinder zu ermorden und zu skalpieren... Lord Dunmore und Gouverneur Martin haben schon, wie uns gesagt wird, Schritte ergriffen, um diesen Plan zu umzusetzen, indem ein Aufstand unter den Schwarzen angezettelt wird. Und Gouverneur Carleton, wie uns zuverlässig berichtet wird, war schon fleißig am Werk, Indianer zu bestechen, damit sie ihr Schreckenswerk begännen. Das ist eine Kriegführung wie zwischen Nationen, die niemals Freunde waren und nie wieder Freunde werden möchten, solange die Welt besteht.“

Eine Kriegführung, wie unser Außenminister sie gegen Russland empfiehlt, von dem er sagt, es werde immer unser Feind sein - „solange die Welt besteht“, heißt das, um Ben Franklin zu zitieren.

Die Aufstände, die wir in Feindesland anzetteln, bedienen sich Unzufriedener, die es überall gibt. Die Farbrevolution wird ausgelöst, sobald publikumswirksame Anführer der Unmutigen ausgerüstet, bewaffnet und weltweit propagiert werden können. Misslungen ist das jüngst in Russland (Navalnij), Venezuela (Guaido), Hongkong (Joshua Wong), erfolgreich war die Strategie bisher in der Ukraine (Selenskij).

Vor Diebstahl fremden Geldes nicht zurückzuschrecken, gehört zu den „tools“, den Werkzeugen solcher Kriegführung.


Michael Molsner

Samstag, 30. August 2025

Was ist Terrorismus

Was ist Terrorismus? Und was vielleicht nicht.

Wenn von Terroristen gesprochen wird, sollte von seriösen Medien beachtet werden, dass viele Staaten – auch Israel – von Befreiungsbewegungen gegründet oder geprägt wurden. Menachem Begin war Chef einer Organisation von Terroristen, bevor er für Jahrzehnte ein angesehener israelischer Politiker wurde. Er hat Anschläge verübt, das ist heute vergessen – doch ein Zeitgenosse Begins ist weltberühmt bis heute für die terroristischen Anschläge, die er organisiert und verantwortet hat. Jeder kennt den Namen: Lawrence von Arabien. Einer der großen Filme unserer Zeit trägt seinen Namen im Titel, die Hauptrollen spielen Peter O'Toole, Alec Guiness, Omar Sharif, Anthony Quinn... Archibald McLeish führt die Regie, das Werk dauer vier Stunden und wird mit einer Pause abgespielt.

Worum ging es diesen zwei sehr ungleichen Terroristen. Nicht gerade und dasselbe, aber um ein sehr ähnliches Ziel. Menachem Begin wollte die zerstrittenen jüdischen Organisationen vereinen. Der „Prinz von Acqaba“ strebte die Versöhnung der arabischen Stämme an. Begin war erfolgreich, heute kennen nur noch Historiker seinen Namen. Lawrence hat sein Ziel verfehlt, doch seinen Namen nicht nur, seine Bücher gelten als Weltkulturerbe.

Wenn wir vom Terrornetz der Hamas sprechen, wäre daher wohl eine Frage, ob die Hamas Terroristen wie die Entführer von Hanns Martin Schleyer repräsentiert. Mit Recht hat Helmut Schmidt erklärt: Der Staat lässt sich nicht von Terroristen erpressen. Die RAF war ein Terrornetz. Sie befehligte keine reale Volksmacht. Das Mandat für Anschläge hatte sie sich selbst zugesprochen. So handeln Anarchisten. Als „links“ dürfen Anarchisten sich nicht bezeichnen, sie sind weder Kommunisten noch Sozialisten und lassen ihre Willkür von niemandem einschränken.

Eine andere Lage haben wir vor uns, wenn wir bedenken, dass auch Ho Chi Minh als Terrorist bezeichnet wurde. Dennoch hat Henry Kissinger mit ihm verhandelt. Das hat ihn nicht die Freundschaft mit Helmut Schmidt gekostet. Ho strebte die Befreiung von Kolonialherren an und hatte eine Massenbewegung mobilisiert. Ähnliches gilt für Chu En Lai, dem Richard Nixon die Hand reichte – und Mao Zedong. Auch die amerikanischen Revolutionäre um Thomas Jefferson wurden Terroristen genannt, und tatsächlich haben alle Genannten von Begin über Ho und Chu und Mao terroristische Anschläge zu verantworten gehabt. Auch Fidel Castro und Che Guevara. Sie standen dazu. Hätten sie nicht gehandelt, wären ihre Völker wohl noch immer kolonialisiert.

Wir sollten uns daher die Frage stellen, ob diejenigen, die einen terroristischen Anschlag begehen, Befreiung von Kolonialherrschaft betreiben. Falls dem so wäre, müsste mit der Zuordnung des Beiwortes „terroristisch“ vorsichtiger umgegangen werden.

Mache ich mich strafbar, wenn ich nachdenke?

Michael Molsner

 

Unglaublich

 

Unglaublich


Ich melde eine unglaubliche, meines Erachtens freche und schamlose Verfälschung von Tatsachen auf der Webseite der Tagesschau. Mit Stand vom 28.08.2025 07:27 Uhr war da zu lesen: Um das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren zu feiern, fährt Peking groß auf...

Es ist glatt gelogen, dass Peking zur Militärparade am 3. September 26 ausländische Staats- und Regierungschefs erwarte, nur um sie mit der Trivialität zu langweilen, dass das Ende des Zweiten Weltkriegs gefeiert werden könne.

Für wie blöd hält man die Chinesen, die 26 Eingeladenen und – vor allem – für wie krass verdummt hält man uns?! Es ist eine Beleidigung. Ich kann kaum an mich halten. Haben diese Kollegen, die so etwas schreiben und dann auch noch veröffentlichen, ein Gewissen?

Tatsache ist, dass China die große Militärparade am 3. September veranstaltet, um den Sieg des chinesischen Volkes im Widerstandskrieg gegen die japanische Aggression und gegen den weltweiten antifaschistischen Krieg am achtzigsten Jahrestag voller Stolz auf den eigenen Beitrag zu unser aller Befreiung zu feiern.

Darum geht es bei dieser Parade!

Dass die Chinesen im Pazifik die Hauptlast des Krieges gegen die schier unvorstellbare Grausamkeit der Japaner getragen und die meisten Opfer gebracht haben, wusste der Kriegspräsident der USA, Franklin Delano Roosevelt. Er litt darunter, den Chinesen nicht helfen zu können, doch er wagte es nicht, Kräfte aus Europa abzuziehen. Hätten das Dritte Reich und der Kriegsimperialismus der Japaner gesiegt, wären wir alle zur Beute von Räubern geworden, die Mitgefühl für Schwäche und Grausamkeit für notwendige Härte hielten.

Ist das wirklich niemandem klar, der für die ARD Nachrichten formuliert? Ich kann es nicht glauben und muss wohl von einer bewussten Lüge ausgehen, die uns zugemutet wird.


Michael Molsner

Panama

 

PANAMA


Meine Frau fragt mich: Verstehen sich unsere Parlamentarier als Volksvertreter? Oder als Interessenvertreter? Und im ungünstigsten Fall als Vertreter nur ihrer eigenen Interessen?

Daran knüpfe ich weitere Fragen. Wenn das so wäre, würden wir es merken? Könnten wir etwas dagegen tun? Ja, sicher.

Heute haben wir die Wahlscheine für die bevorstehenden Wahlen am 14. September bekommen. Vier verschiedene Gremien sind zu besetzen, für jedes gibt es zahlreiche Kandidaten. Gewählt wird jedoch nur der OB als Person, die anderen Listen sind mit Personen bestückt, die wir nicht kennen. Da entscheiden wir uns für die repräsentierte Partei. Eine wird öffentlich stets als de facto unwählbar bezeichnet, ist jedoch de jure – dem Gesetz nach – wählbar.

Dieser eigenartige Zwiespalt beruht auf der Tatsache, dass alle Parteien sich selbst ein sogenanntes „label“ anhängen, eine Kennmarke. So steht die CDU für christliche Prägung, die SPD für soziale Gerechtigkeit, die FDP für Liberalität, und die anderen – das müsste ich recherchieren, JUDU steht für Junges Duisburg.

Der de facto unwählbaren Partei wird ein Label angehängt, das sie zurückweist. Rassismus wie unter den Faschisten als Gesinnung und Umsturzpläne. Dass sie nicht längst verboten ist, wird ständig mit Verwunderung diskutiert. Offen wird erklärt, kein Mitglied dieser Partei dürfe für staatshoheitliche Aufgaben eingesetzt werden. Wer wird da sein Zeichen setzen wollen? Soll ja auch niemand.

Das ist die Lage.

Die Frage ist jetzt, wie zuverlässig sind wir über die Parteien und ihre Vertreter informiert? Ich habe ein Buch von Wilhelm Herzog gekauft: PANAMA. Der Verfasser hat es in Pacific Palisades, Kalifornien, beendet; als antifaschistischer Emigrant. Er bezeichnet den Panama-Skandal als den größten Korruptionsskandal der Geschichte. Zwischen 1904 und 1914 wurde der französische Mittelstand enteignet, indem man Kleinbürger überzeugte, ihre Rücklagen in faule Kredite zu investieren. Das war möglich, weil die Organisatoren hohe Gewinne versprachen und sowohl Parlamentarier wie Medienvertreter einfach bestachen, dafür zu werben. Das ist alles gut dokumentiert und unbezweifelbar.

Dieses Buch lesend, komme ich zurück auf die Fragen meiner Frau und gebe sie weiter an alle, die es angeht: to whom it may concern.

Sitzen wir einem Korruptionsskandal auf? Sollen wir unsere Rücklagen in faule Kredite investieren? Steht die Enteignung des Mittelstands bevor? Was wären die Folgen?


Michael Molsner

Freitag, 8. August 2025

Was uns erzählt wird und was nicht

 

Israels Probleme sind unsere


Begonnen hat es nicht, wie bei uns wohl viele meinen, mit der shoah: „Weil Hitler, deshalb Judenstaat.“ Aber so ist es nicht. Mit der Balfour Deklaration von 1917 hat es begonnen. Zu dieser Zeit war Adolf Hitler weit davon entfernt, Völkermord zu verschulden. Er war noch das, was er später gebetstrommelartig wiederholte: Ein einfacher Gefreiter der deutschen Wehrmacht.

Es war der britische Außenminister Arthur Balfour, der den Juden eine Heimstätte in Palästina bei voller Achtung der Rechte heimischer Araber „garantierte“. Vielmehr, garantieren zu können glaubte.

Wie ernst er es gemeint haben mag, darüber wird gestritten. Die wichtigsten Punkte sind auf siebzehn Druckseiten zusammengefasst, falls jemand bei Wikipedia nachsehen möchte.

Weshalb es nicht geklappt hat, ist leicht einzusehen. Sehen wir uns die Landkarten von Japan (vor WK I) und Israel (1917 bis 7. 10.2023) an. Es sind schmale, schlauchartige Gebilde. Wenig bebaubarer Boden. Lebensmittelproduktion nicht ausreichend für die wachsende Bevölkerung. Zur Entwicklung von Industrie nicht ausreichend Energie. Es muß aber industrielle Entwicklung in Gang gesetzt werden, da Agrarprodukte (Reis aus Japan, Südfrüchte aus Israel) nicht ausreichen, um per Export Devisen zu verdienen, mit denen nötige Energie eingekauft werden kann.

Japan hat Teile Chinas erobert und damit den Zweiten Weltkrieg begonnen. Ein Film ist jetzt in Shanghai angelaufen, der die Vorgänge zeigt. Obgleich die chinesische Bevölkerung mehrheitlich aus einfachen Bauern bestand, sind die Japaner vor schier unvorstellbaren Grausamkeiten nicht zurückgeschreckt. Sie eroberten Südkorea, die Philippinen, griffen USA an – damit haben sie sich übernommen.

Weshalb die Gewaltorgie? Liegt es am Volkscharakter? Aber wir Deutschen sind nicht weniger, eher noch grausiger vorgegangen, nachdem wir die Sowjetunion überfallen und im Osten, wie die Führung glaubte, freie Hand gewonnen hatten. Es werde uns nicht schaden, soll Hitler gesagt haben, da der Sieger die Geschichte schreibe.

Uns Grausamkeit als Volkscharakter zuzuschreiben, hat nur wenigen Nachkriegspolitikern und - denkern eingeleuchtet. Klingt zu sehr nach Freispruch: Wie könnten wir schuldig sein, wenn wir per Veranlagung böse wären?

Konstatieren wir, dass Israel, wie Japan (seit 1935) und Deutschland (seit 1941), seine strategische Verteidigungsfläche zu erweitern bestrebt ist, kann uns das eigentlich nur dann verwundern, wenn wir weder an Japan noch an uns selbst noch an die Tatsache denken, dass die Schaffung von Groß-Israel vorausgesehen wurde. Viele haben vor der Konsequenz gewarnt: Hannah Arendt, Stéphane Hessel. Viele haben es begrüßt und suchen, Vorteile daraus zu ziehen: („Krieg lohnt sich“).

Furchtbare Grausamkeit einem irgendwie herbei phantasierten Volkscharakter zuschreiben zu wollen, ist eine Ausrede. Ebenso die Politisierung der Jahrestage des Abwurfs der Atombomben:

Nicht mehr zur Abwehr von Eroberung und Unterjochung – wie 1945/46 – könnten sie eingesetzt werden. Uns droht eine neuartige Gefahr: Atomkrieg zur Durchsetzung von Eroberung und Unterjochung.


Michael Molsner


Freitag, 25. Juli 2025

Der Dichter beim Denker

 

Heidegger hat Paul Celan verehrt, der ihn öfters besuchte und diesen Blick in einem Gedicht festgehalten hat. Es ist zu finden in dem Band LICHTZWANG. Es heißt TODTNAUBERG: "Arnika, Augentrost, der/ Trunk aus dem Brunnen mit dem/ Sternwürfel drauf..." Bitte selbst weiterlesen.

Es sind, finde ich, wundersame Verse. Celan sieht den Stern und fühlt sich, wie mir scheint, selbst in einer Sternstunde. Unglaublich.

Keineswegs schwer erklärlich, nur bisher kaum bekannt gemacht, dieses Verhältnis des Dichters zu dem Verehrer, der alle Gedichtbände Celans erworben hatte und, wie ich erfahre, viele auswendig wusste.

Wer einen Widerspruch darin sieht, dass der Mann, welcher der Mordmaschine des Holocaust entkommen war, ausgerechnet Martin Heidegger begegnen wollte, erliegt einem Fehlschluss. Das jedenfalls ist die Folgerung, zu der ich gelange. Paul Celan lehnte nicht Individuen ab, die einem Irrtum erlegen waren. Das wäre ja auch dumm gewesen, und Paul Celan war klug. Was er unerträglich fand, war das, was Kurt Tucholsky "die Bocherie" nannte. Das in der Nachkriegszeit selbstgerecht sich wieder aufblähende deutsche Spießertum. "Warum lasst ihr euch nicht erst mal die Haare schneiden" - das hörten wir 68er zeitgleich mit den immer schwerer aufs Herz schlagenden, immer umfangreicheren Informationen über das, was "wir" vergessen sollten.

Celan ist in die Seine gegangen, nicht nach Deutschland. Thomas Mann in die Schweiz. Hannah Arendt mit ihrem Mann in die USA. Jean Améry nach Belgien. Primo Levy in den Tod. Heinrich Heine nach Frankreich.

Wir erleben nun, wie alles, was unsere Generation erreicht hatte, verloren gegeben wird. Wir werden im geostrategischen Schachspiel einem klar voraussehbaren "Matt" entgegen geführt. Die es geahnt und darunter gelitten hatten, Heidegger, Celan, Ernst Jünger, Kurt Tucholsky, Jean Améry, Hannah Arendt, Herinrich Heine - wen habe ich vergessen? - sind im Ausland begraben.

Zum Schluss etwas Erheiterndes - muß immerhin auch noch erlaubt sein. Die langjährige Freundin, die mich auf Celans Werk aufmerksam machte, schrieb mir mal über einen Flecken in der Provinz: "Da möchte ich nicht tot überm Zaun hängen". Ich musste laut lachen.

Wenn ich heutigen Tages darüber lache, frage ich mich, ob nicht hinter diesem Scherzwort ein grimmiger, aktueller Ernst sich verbirgt.

Die Fotografie hat meine liebe Frau für mich heraus gegoogelt. Ihre Beiträge zu den oben dargestellten Überlegungen waren mir wichtig.





Samstag, 28. Juni 2025

Zu spät

Vom 25. Juli 1935 bis zum 20. August 1935 tagte in Moskau der VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale. Auszug aus dem Referat Georgi Dimitroffs über die »Offensive des Faschismus«

Der Faschismus an der Macht, Genossen, ist (…) die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals. Die reaktionärste Spielart des Faschismus ist der Faschismus deutschen Schlages. Er hat die Dreistigkeit, sich Nationalsozialismus zu nennen, obwohl er nichts mit Sozialismus gemein hat. Der Hitlerfaschismus ist nicht bloß bürgerlicher Nationalismus, er ist ein tierischer Chauvinismus. (…...

Ich hätte nur weiterlesen dürfen, wenn ich die Zeitung (junge Welt) abonniere. Ich kaufe sie lieber am Kiosk, im Abonnement ist sie mir zu teuer für im wesentlichen doch nur Propaganda. In diesem Bericht ist zum Beispiel weggelassen., dass die Volksfront viel zu spät kam.

Zuvor waren SPD und reformorientierte Arbeiterorganisationen als Verräter denunziert worden. Wie aktuell auch wieder. Da die Mehrzahl der deutschen Arbeiter eine Revolution nach bolschewistischem Muster in Deutschland ablehnte, war die Spaltung der Linken und deren Schwächung die Folge. Ohne Spaltung (und Schwächung!) der Linken wäre eine Machtübernahme der Faschisten nicht möglich gewesen. Man muss bedenken, dass Dimitroff als Chef der Komintern Karl Radek nach Deutschland sandte mit dem Auftrag, die Arbeiter zur Revolution gegen die bürgerliche Demokratie aufzuwiegeln.

Es war Stalins Linie: Die Kommunistischen Parteien in aller Welt hätten in der schweren Zeit den einen Auftrag, die Heimat der sozialistischen Revolution zu verteidigen. Die deutschen Arbeiter sollten also für die Sowjetunion kämpfen. Doch nach dem Ersten Weltkrieg ging es den Deutschen selbst sehr schlecht, sie wollten für das eigene Überleben kämpfen - nicht unverständlich.

Schließlich lenkte Moskau ein. Kennt ihr das Lied: "Kämpfen wir als Sozialisten/ Endlich in einer Front!/ Arbeitsbrüder, Kommunisten - Rotfront!" Sogar kirchliche, bürgerliche Stimmen seien in den Kampf gegen den drohenden Überfall auf die Sowjetunion einzubeziehen.

Nun: Wer zu spät kommt...

 

Mittwoch, 25. Juni 2025

unconditional

 

Unconditional surrender


Die bedingungslose Kapitulation war eine realistische Forderung gegenüber dem Dritten Reich, weil dieses von allen Seiten eingekreist war. Von Westen und Süden kamen die GI's, von Norden die Tommies, von Osten die Rote Armee. Japan in gleicher Weise einzukreisen, erwies sich als noch opferreicher. Daher entschloss sich Washington, Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki abwerfen zu lassen. Die auch von Japan geforderte bedingungslose Kapitulation konnte Japan nun nicht mehr verweigern.

Das ist alles bekannt.

Aktuell von Interesse ist für uns, dass US- Militärs erklärt haben sollen, Teheran müsse die die bedingungslose Kapitulation akzeptieren.

Es ist völlig unmöglich, das riesige iranische Gebiet einzukreisen wie seinerzeit Nazi-Deutschland. Bombardierungen großer Städte wie Dresden und selbst Hamburg und Köln haben den Wehrwillen des Nazi-Regimes nicht gebrochen. Bombardierungen Teherans und – sagen wir – Isfahans würden den Abwehrwillen der Bevölkerung eher stärken als schwächen, falls das Deutschland von 1945 ein Beispiel wäre.

Sogar die Ermordung des Anführers zwingt Teherans Niederlage nur herbei, wenn dieser nicht ersetzbar wäre. Aufstände aus der Bevölkerung würden die Revolutionsgarden grausam beenden. Demnach wird vermutlich der Abwurf von Atombomben, Beispiel Japan, in bestimmten Kreisen Washingtons bereits erwogen.


Michael Molsner, 25. Juni 2025

Dienstag, 24. Juni 2025

Immer bereit?

 

Kriegstüchtig!


Deutschland bereitet sich darauf vor, ein Land im Krieg zu werden. Militärisch und wirtschaftlich soll die Republik Kriegstüchtigkeit beweisen. Unter dem Schlagwort der Zeitenwende sind überall in Deutschland kriegsvorbereitende Maßnahmen zu beobachten. Politiker sprechen über Wehrfähigkeit, als wären Deutschlands Söhne und Töchter lediglich Verfügungsmasse für den Kampf auf dem Schlachtfeld. Die Kriegstreiber und Kriegsprofiteure sind unter uns. Sie sitzen in den Medien, in der Politik, in der Wissenschaft - und in den Rüstungskonzernen. Alle zusammen haben sie ihr Feindbild und ihren Krieg im Kopf zu einer öffentlichen Angelegenheit gemacht - und somit zu einer Angelegenheit von uns allen. Die Mobilmachung an der Heimatfront vollzieht sich Schritt für Schritt. Man könnte den Influencern des Krieges nun sagen: Lasst uns im Frieden und geht doch selbst an die Front - aber sowas wünscht man nicht mal seinem größten Feind.

Montag, 23. Juni 2025

Mimikry?

 

Mimikry - ? So tun, als ob?


Die linksradikalen Publizisten vom Schlage der Kästner, Mehring oder Tucholsky sind die proletarische Mimikry des zerfallenen Bürgertums... dieser linke Radikalismus ist genau diejenige Haltung, der überhaupt keine politische Aktion mehr entspricht. Er steht links nicht von dieser oder jener Richtung, sondern ganz einfach links vom Möglichen überhaupt. Denn er hat ja von vornherein nichts anderes im Auge als in negativistischer Ruhe sich selbst zu genießen. Die Verwandlung des politischen Kampfes aus einem Zwang zur Entscheidung in einen Gegenstand des Vergnügens, aus einem Produktionsmittel in einen Konsumartikel – das ist der letzte Schlager dieser Literatur.

Walter Benjamin, 1931


Das ist das Zentrum des Menschen Kurt Tucholsky. Er ist ein großer Liebender – von Ideen. Die Idee Frau, die Idee Sozialismus, die Idee Revolution: davon kann er singen und sprechen und schreiben wie kaum ein anderer – zärtlich, metallen, kämpferisch. Droht diese Idee – eine dieser Ideen – zur Realität zu werden, versagt er sich; flüchtet.

Fritz J. Raddatz, 1989


Das Problem spielt aktuell wieder eine ganz große Rolle. Ideale weltweit zu verbreiten, beansprucht unsere Anerkennung. Doch die Verwirklichung von Idealen ist lediglich in einem Teil der Welt möglich, ist abhängig von Bedingungen an einem Ort durch ein bestimmtes Zeitfenster. Global geplant, ist die Verwirklichung nur partikular möglich. Daher nennt unser „Tucho“ zeitgenössische Sozialdemokraten Verräter des Ideals, ohne dass er sich den Problemen der „Implementierung“ sozialistischer Ideale praktisch ausgesetzt hätte. Er hatte sich nach Frankreich abgesetzt, als in Deutschland erbitterte Bürgerkriege um die Durchsetzung der Demokratie tobten. Wie sich bald zeigte, liebte er auch nicht Frankreich, sondern die Idee Frankreich; um Raddatz zu ergänzen.

Meine Generation hat Tucholskys Gegner als die eigenen erlebt und bekämpft, das machte uns zu seinen begeisterten „Fans“; und wir sind es geblieben. Dass die 1960 herausgegebenen gesammelten Werke nicht den wirklichen Tucho boten, sondern eine Idealgestalt schufen, die weder dem Menschen noch irgendeiner lebbaren politischen Möglichkeit entsprach – wussten wir nicht. Jetzt liegt das unzensierte Gesamtwerk vor, dem die obenstehenden Zitate entnommen sind. Jetzt sind wir schlauer. Aber kommen zu spät, fürchte ich, um noch gehört zu werden.

Dir kam ein schön und neu gesicht/ Doch zeit ward alt, heut lebt kein mann/ ob er je kommt das weisst du nicht/Der dies gesicht noch sehen kann“.

Stefan George

Ob wir begreifen konnten, was Claus von Stauffenberg meinte, als er beim Feuerbefehl des Erschießungskommandos ausrief: „Es lebe das heilige Deutschland!“? Ich glaube, er meinte die Idee Deutschland. Zweimal ist versucht worden, sie zu verwirklichen. Übel misslungen.

Samstag, 21. Juni 2025

tucho+baram

 

tucho+baram


In bin allmählich zu betagt, um mir immer noch mehr Bücher zuzulegen. Jetzt habe ich aber doch den Band 21 der Gesamtausgabe Texte und Briefe von Kurt Tucholsky gekauft und heute erhalten. Es sind die letzten Briefe, die er geschrieben hat, alle aus 1935.

Vor allem habe ich mich dazu entschlossen, weil mir eine Äußerung von Baram in den Sinn kam. Vor Jahrzehnten auf Formentera haben wir über einen Grafiker diskutiert, der geometrische Formen auf Gemälde brachte. Ich gestand Baram, dass ich damit nichts anfangen könne, und er antwortete: „Why should you? It is not art“. Ich war verwundert, denn der Gemeinte hielt sich für einen sogar besonders begabten Künstler. Und so fragte ich: „How do you know, what is art and what is not?“ Baram antwortete: „If it has no magic, it is not art, Mike.“

Ich habe das nie vergessen, und ein wunderschönes Bild von Baram, der selbst Maler war, hängt seither in meinem jeweiligen Wohnzimmer. Ich sehe es täglich und ja: Es meint mehr als das, was es zeigt. Es ist Kunst.

Womit ich bei Tucholsky bin. Ich halte ihn für einen der größten deutschen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Er hat die Göttergabe, durch seine Sprache mehr zu sagen als das, was wir den content nennen; mehr und anderes, als er inhaltlich mitteilt. Seine Sprache gibt Kunde von etwas, das über den Inhalt geht. It has magic. It is art.

Tucholsky's Sprache birgt ein Geheimnis, ich nenne es einen einzigartigen „Klang“.

Genau das, was Thomas Manns Sprache sogar in den berüchtigten vaterländischen Polemiken hat. Auch bei Jean Améry höre ich diesen Sound mit. Bei Arno Schmidt. Das sind die ganz großen literarischen Lieben meines Lebens. Über all die Jahrzehnte bin ich ihnen treu geblieben. Deshalb stehen so viele Einzelbände von ihnen im Regal. Daß Franz Kafka ein Sonderfall ist, brauche ich wohl nicht zu erwähnen. Die vier genieße ich. Kafka - ? - leide ich mit.

Hannah Arendt hält den großen K. freilich für einen Humoristen. Na, ich weiß nicht, nicht einmal ihr glaube ich alles.

So, jetzt ist aber Schluss mit dem Bücherkauf. Was soll überhaupt aus all den Schätzchen werden, wenn ich dereinst...? Schluss für heute.

Sonntag, 25. Mai 2025

Der überlistete Mitmensch

 


Das Schlimme anderen aufzubürden verstehen“

Aphorismus 149:


Einen Schild gegen das Mißwollen zu haben, ist eine große List der Regierenden. Sie entspringt nicht, wie Mißgünstige meinen, aus Unfähigkeit, vielmehr aus der höheren Absicht, jemanden zu haben, auf den der Tadel des Mißlingens und die Strafe allgemeiner Schmähungen zurückfalle. Alles kann nicht gut ablaufen, noch kann man alle zufriedenstellen; daher habe man, wenn auch auf Kosten seines Stolzes, so einen Sündenbock, so einen Ausbader unglücklicher Unternehmungen.“


Balthasar Gracián, 1647, SJ, Oráculo manual.

Es sind Aphorismen zum Erwerb von Lebensweisheit für Weltleute.

Meine Quelle: Peter Sloterdijk, Was geschah im 20. Jahrhundert? Suhrkamp 2016, „Der überlistete Mitmensch“, S. 339




Donnerstag, 22. Mai 2025

Zu Befehl

 

Krieg mit drei Großmächten - 28. Juni bis 4. August 1914

An diesem oder am vorausgehenden Tag, dem 3. Juni, fiel die in seiner ganzen Regierungszeit folgenschwerste Entscheidung Wilhrelms II.: er tadelte den deutschen Botschafter in Wien, v. Tschirschky, für dessen zurückhaltende, ja abwiegelnde Haltung in der Frage einer Strafaktion Österreich-Ungarns gegen Serbien: "Wer hat ihn dazu ermächtigt? Er soll den Unsinn gefälligst lassen! Jetzt oder nie! Mit den Serben muss aufgeräumt werden und zwar bald." Diese kaiserliche Willensäußerung wurde im Auswärtigen Amnt als Befehl verstanden und sofort an Tschischky nach Wien weitergegeben."

Fritz Fischer, Hitler war kein Betriebsunfall, Beck'sche Reihe 1992,

S. 95


Dienstag, 20. Mai 2025

Ortega y Gasset

 

Vom Baum der Recherchen gepflückt.


Ortega Y Gasset 1933:

Man vergesse nicht, dass der entscheidende Faktor in der Geschichte eines Volkes der Durchschnittsmensch ist. Von seiner Beschaffenheit hängt die Konstitution des Volkskörpers ab... Darum hängt alles davon ab, dass das mittlere Niveau so hoch wie möglich ist... und es kann geschehen, dass ein Volk geniale Einzelne besitzt, ohne dass darum der historische Wert der Nation größer würde. Das tritt immer ein, wenn die Masse sich diesen Vorbildern nicht fügt, ihnen nicht folgt und sich nicht vervollkommnet.


Ortega Y Gasset 1957:

Ich misstraue der Liebe eines Menschen zur eigenen Fahne oder zu seinem Freund, wenn ich bei ihm nicht das Bestreben sehe, seinen Feind oder dessen Fahne zu verstehen. Und ich habe beobachtet, dass es...leichter fällt, uns für irgendein Moraldogma zu erwärmen, als unsere Herzen den Geboten der Wahrhaftigkeit zu erschließen.


ÜBER DIE LIEBE, MEDITATIONEN ÜBER DON QUIJOTE

Mittwoch, 14. Mai 2025

Newark New York

 

Katastrophale Zustände – wo??


An großem US-Flugplatz Newark

Seit Jahrzehnten keine Updates, Kontrollen ausgefallen

Zuvor der Vorfall am Reagan Airport. Washington. Und in Heathrow, London. Wo an Infrastruktur gespart wird, muss die unruhig werdende Bevölkerung durch Geldgeschenke beruhigt und durch Kriege geeint werden, beides schuldenfinanziert. Diesen Zustand hat Trump geerbt und will nun versuchen, das Wirtschaftssystem zu verändern.

Was er einführt, erinnert an Merkantilismus. Mit diesem System haben Frankreichs Könige dem Bürgertum aufhelfen können. Die Staatskassen Versailles waren durch kostspielige Hofhaltung (für den Adel, den Klerus, die Feldherren) geleert. Die Parallelen zu den USA scheinen mir offensichtlich zu sein. Schuldenfinanzierte Kriege, immer neue Stellen für Bürokraten, Geldgeschenke ans unruhig werdende Wahlvolk. Niemandem fällt das auf.

Außer den amerikanischen Wählern. Die haben sich für Merkantilismus entschieden. Unsere Medien triefen vor Hohn. Sie fanden die Washingtoner Hofhaltung bis zu Trump vorbildlich und werden nicht müde, sie zu preisen. Neulich sehe ich eine Fotografie von Obama und seiner Frau und die Aufforderung, fleißig zu teilen. Er hat Krieg in 7 Staaten geführt. Wir lieben ihn noch immer.


Michael Molsner

Freitag, 9. Mai 2025

Frohe Botschaft aus Rom

 

Zum Papst Leo XIV. habe ich eine besondere Beziehung. Das darf ich sagen, ohne zu übertreiben. Hannah Arendt hat ihre Doktorarbeit über den Liebesbegriff bei St. Augustinus geschrieben. Sie betont,wie ich hier schon berichtet habe, dass die Theologie des Kirchenvaters ein Bekenntnis zum Wunder menschlicher Geburt darstellt. Mit jedem Neugeborenen sei die Möglichkeit gegeben, aus einer angeblich zwangsläufigen Reihenfolge auszusteigen und neu zu beginnen. Sie bezeichnet das Weihnachtsfest als das bedeutendste des christlichen Kulturkreises. Für gläubige Christen ist es das Osterfest – nach Johannes 16: „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ (Luther). Doch Hannah spricht nicht nur zu Christen. Interessant fand ich immer, daß man es christlich auffassen kann oder philosophisch: Wahr bleibt, dass ein junger Wanderprediger in Sandalen, der von milden Gaben lebte und nächtigte, wo man ihn aufnahm, zweitausend Jahre unserer Kultur geprägt hat. Und wahr ist, dass der neue Papst Wanderprediger war und nicht von vergangener Schuld sprach, sondern Frohe Botschaft brachte: Lasst uns in Frieden und Liebe die gemeinsame Zukunft beginnen.

Er war Augustinermönch.


Michael Molsner

Samstag, 3. Mai 2025

Unser Stolz

 

Ich habe eine Frage, sie ist ernst gemeint. Nachdem wir zwei Weltkriege geführt und verloren haben, wüsste ich gern, ob von den vielen weltweiten Kriegen, an denen wir uns beteiligt haben, irgendeiner gewonnen wurde. Gewonnen würde bedeuten: wunschgemäßes Resultat erzielt. Mir scheint nämlich, alle gingen verloren. Verloren würde bedeuten: wunschgemäßes Resultat verfehlt.
Nun bin ich kein Speicher für historische Daten. Kann mich irren. Falls ich aber richtig liege, hätten wir vor 150 Jahren zum letzten Mal Kriege gewonnen - unter Bismarcks politischer Aufsicht. Ausgerechnet sein Porträt hat Annalena Bärbock, seine Nachfolgerin, aus dem Büro des Auswärtigen Amtes entfernen lassen.
Und das führt mich zu einer weiteren, einer Zusatz-Frage. In einem Brief vom 19. März 1960 schreibt Hermann Hesse, weshalb er Deutschland 1910 verlassen habe, "um nie mehr dorthin zurückzukehren. Es ist die politische Unfähigkeit und Unzuverlässigkeit des Volkes... Das deutsche Volk, trotz seiner vielen guten Begabungen, eignet sich wie kaum ein anderes zur Diktatur... ist ihr stets offengestanden."
Zum Trost fügt er hinzu: "Deutschland ist ein kleiner Teil der Welt und seine Bedeutung für die Welt ist heute sehr viel kleiner als je seit 1870."
Aus Hermann Hesse, Ausgewählte Briefe, Erweiterte Auflage, Suhrkamp Taschenbuch 211
Kann es denn sein - es klingt widersinnig- dass wir stolz darauf sind, nur solche Kriege zu führen oder mitzuführen, die absehbar verloren gehen werden - ??

Dienstag, 29. April 2025

Kriegsverschleppung?

 Eine verschleppte Kriegserklärung muten Regierungen ihren Bevölkerungen immer dann zu, wenn eine offene Kriegserklärung unpopulär wäre. Wir Deutschen haben zwei Regierungen in Erinnerung, die offiziell versicherten, sie wünschten keineswegs einen Krieg zu beginnen. Doch sowohl der Kaiser wie Hitler bereiteten Expansionskriege gegen Russland vor. Das wurde von etwa 1900 an von Churchill und von 1935 an von Stalin klar erkannt und mit Verteidigungsmaßnahmen beantwortet. Ein Wettrüsten setzte ein. Auch wir erleben ein Wettrüsten. Im Fernsehen hörte ich soeben Friedrich Merz sagen: Wir seien nicht im Krieg und wollten auch keine Kriegspartei werden. Dann sinngemäß, wie ich es verstand: Wir stehen ohne Wenn und Aber zur Ukraine. Das bedeutet ja wohl, wir bezahlen ihre Soldaten und deren Ausrüstung, ihre Bürokratie zur Gänze, und versorgen gleichzeitg eineinhalb Millionen Ukrainer in unserem eigenen Land sehr viel großzügier, als sie es zuhause erwarten konnten. Waffen haben wir geliefert oder liefern sie noch. Von uns Wahlberechtigten wird erwartet, dass wir es gutheißen. Tun wir das? Gegenstimmen werden an Brandmauern geführt und mit Verbotsanträgen täglich eingeschüchtert. Ist das so? Übertreibe ich die Gefahr? Ich erwarte eine offene Kriegserklärung, wie sie innerhalb der abgewählten Regierung bereits geäußert war, nun auch von kommenden Akteuren.Wir gehen auf eine "heroische Festivität" zu. Auf ein Neues!

Donnerstag, 17. April 2025

Rechte & Pflichten

 

Unter meinen Notizen gefunden, was US-Präsident Franklin D. Roosevelt Ende Dezember 1942-Anfang Januar 1943 bezüglich der Deutschen sagte: "Wir müssen den Brüdern eine Abreibung verpassen, die sie in Generationen nicht vergessen." Die Deutschen haben es anscheinend auch nicht vergessen, denn eine Mehrheit der Befragten ist nach zuvertlässigen Umfragen dagegen, einen neuen Krieg um der alten geostrategischen Ziele willen zu führen. Einen Weltkrieg auszulösen, wie schon zweimal, ist ebenfalls anscheinend nicht der Wunsch unserer Wahlberechtigten. Was aber geschieht, wenn Friedensversprechungen derer, die man gewählt hat, nicht eingehalten, sondern durch Kriegsversprechen ersetzt werden? Was haben wir daraus zu folgern? Dass es unseren Entscheidungsträgernganz gleichgültig ist, wofür wir stimmen? Handeln sie nach dem Motto des Songs: I don't care what you say, I will do it anyway? Sollen wir nun bei Wahlen abstimmen oder ist es ganz gleich, ob wir und wie wir es tun? Verantwortung tragen für Un-Taten, auf die wir keinen Einflluss haben, müssen wir wohl nicht.
Allerdings gehöre ich zu den Nerds, die noch an Bürgerpflichten und auch Bürgerrechte glauben. Nu -

Dienstag, 15. April 2025

Entdeckung bei Hofmannsthal

Er stand mir bisher nicht nahe. Nun entdecke ich eine verblüffende Gemeinsamkeit zwischen poor little me und dem österreichischen Klassiker. Auf S. 202 des Fischer Taschenbuchs 25 (Das gute Buch für jedermann) findet man die Stelle. Wir hätten im Deutschen eine sehr hohe dichterische Sprache und ausdrucksstarke Volksdialekte. "Woran es uns mangelt, das ist die mittlere Sprache, nicht zu hoch, nicht zu niedrig, in der sich die Geselligkeit der Volksglieder untereinander auswirkt."
In einem Essay (Leiden mit Sinatra, Hoffen mit Garland), mein Buch BEGEGNUNGEN von 2015, beklage ich genau das, fast genau hundert Jahre nach Hugo von.
Das scheint mir zu bedeuten, dass sich nach den furchtbaren Lehren, die uns zwei verlorene Weltkriege hätten beibringen können, nichts geändert hat. Noch immer haben wir Deutschsprachigen keine Möglichkeit geschaffen, uns über lebenswichtige, auch todbringende, Themen offen miteinander zu verständigen.
Wir können es nicht. Krieg wird gefordert, ohne dass die aus Erfahrung bekannten Folgen diskutabel sind. Und so geht es mit fast allen Begriffen, die in sich einen Widerspruch bergen. Wir kennen nur noch Eindeutigkeit.
Sogar Menschen werden wie Begriffe behandelt, wir verwandeln sie in Abstraktionen. Hitler ist kein Mensch, er ist DAS BÖSE. Da dieses Böse nicht verschwindet, ist Hitler nicht tot, er verkörpert sich immer wieder. Er kann sich in einem CSU-Politiker verkörpern, in Alice Weidel, in Donald Trump. Marine LePen, Elon Musk, und wie heißt nochmal der US-Außenminister? Auch er steht für DAS BÖSE. Ich könnte dafür einstehen müssen, wäre ich wichtig genug.
Mein Gefühl ist, falls auch ich hier mal über meine Gefühle reden darf, dass ich in einer Menschenwelt lebe, wo viele Einzelne nie zu produktiver Anarchie gefunden haben - nur zu deren detruktiver Variante: Sie führt ins Chaos.
Aber es fällt niemandem auf. Und wer liest noch Hofmannsthal oder Molsner? Ich muss selbst lachen über diese eigenartige Zusammenstellung.

Montag, 17. März 2025

Kollege Paulus

 

Kollege Paulus

Angst, Schuld, Nicht-weiter-wissen, Liebe, Religion

All das kam Ende des Jahres 1924 in der kleinen Universitätsstadt Marburg  zusammen, als die Studentin Hannah Arendt sich beim Philosophieprofessor Martin Heidegger vorstellt. Sie ist 1906 geboren und knappe 19, als der 36jähtige sie zu einem ausführlichen Gespräch empfängt. Beider Reaktion auf dieses Treffen ist von einer Vehemenz, die sie nicht erwartet hatten. Heidegger schreibt ihr: Das Dämonische hat mich getroffen. Das ist ein Zitat. Daimon nennt Goethe das Gesetz, wonach du angetreten. So mußt du sein, dir kannst du nicht entfliehen...

Hannah erlebt es ebenso. Liebe, Leidenschaft, heimliche Treffen. Ich hätte mein Recht zu leben verloren, wenn ich meine Liebe zu dir verlieren würde. Schwärmerei? Ist sie allzu jung, um sich zu „erden“?

Ist sie nicht. Sie verlässt Marburg ausschließlich deinetwegen, um in Heidelberg weiter  zu studieren. Der mit Heidegger befreundete Philosoph Karl Jaspers promoviert sie. Die Doktorarbeit behandelt den philosophischen Liebesbegriff bei Augustinus. Jaspers gibt ihr die schlechtestmögliche Beurteilung, weil er ahnt, sie verarbeitet eine persönliche Erfahrung und weniger die Theologie des Kirchenvaters.

Jaspers täuscht sich nicht. Hannah will sich von  Heidegger lösen und heiratet. Es hilft nicht, sie trifft ihn, wann immer es möglich ist, und schreibt ihm, dass jedesmal, wenn sie ihn sieht, die Kontinuität meines Lebens wieder entzündet wird, die Kontinuität unserer – lass mich bitte sagen – Liebe.

Bei Augustinus sucht sie die theologische Basis für einen Neuanfang. Der Mensch werde geboren,  findet sie beim Kirchenvater, damit ein Anfang sei. Der Kirchenvater stützt sich auf Paulus, der als Saulus von Tarsus mit einem Trupp Soldaten durch die Wüste nach Damaskus zog, um Reste der   Terroristen auszulöschen, die unter dem Namen Christen bekannt waren. In einer Vision erschien ihm der Gekreuzigte und beauftragte ihn, unter dem Namen Paulus allen Menschen, auch Heiden, die Frohe Botschaft zu predigen.

Paulus zog um das Mittelmeer, gründete christliche Gemeinden und schrieb die berühmten Briefe (Episteln), die Bestandteil der christlichen Heiligen Schrift sind. Lebt nicht wie Menschen, die ohne Hoffnung sind. Das kostbarste Blut ist für euch geflossen. Man bat ihn, die Botschaft Jesu kurz und bündig zu übermitteln. Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete, / hätte aber die Liebe nicht, / wäre ich dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke. Und wenn ich prophetisch reden könnte / und alle Geheimnisse wüsste / und alle Erkenntnis hätte; / wenn ich alle Glaubenskraft besäße / und Berge damit versetzen könnte, / hätte aber die Liebe nicht, / wäre ich nichts. Und wenn ich meine ganze Habe verschenkte / und wenn ich meinen Leib opferte, um mich zu rühmen, / hätte aber die Liebe nicht, / nützte es mir nichts. Die Liebe ist langmütig, / die Liebe ist gütig. / Sie ereifert sich nicht, / sie prahlt nicht, / sie bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig, / sucht nicht ihren Vorteil, / lässt sich nicht zum Zorn reizen, / trägt das Böse nicht nach. Sie freut sich nicht über das Unrecht, / sondern freut sich an der Wahrheit. Sie erträgt alles, / glaubt alles, / hofft alles, / hält allem stand. Die Liebe hört niemals auf. /Prophetisches Reden hat ein Ende, / Zungenrede verstummt, / Erkenntnis vergeht. Denn Stückwerk ist unser Erkennen, / Stückwerk unser prophetisches Reden; wenn aber das Vollendete kommt, / vergeht alles Stückwerk. Als ich ein Kind war, / redete ich wie ein Kind, / dachte wie ein Kind / und urteilte wie ein Kind. Als ich ein Mann wurde, / legte ich ab, was Kind an mir war. Jetzt schauen wir in einen Spiegel / und sehen nur rätselhafte Umrisse, / dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt ist mein Erkennen Stückwerk, / dann aber werde ich durch und durch erkennen, / so wie ich auch durch und durch erkannt worden bin. Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; / doch am größten unter ihnen ist die Liebe.

Hannah Arendt und ihr zweiter Ehemann Heinrich Blücher mussten aus dem Machtbereich Deutschlands fliehen. Sie war Jüdin, er Kommunist trotzkistischer Richtung.  Heidegger erhoffte sich von den Nazis ein Ende bestimmter Erscheinungen der Emanzipation. Aus der populären Kultur ist der Schlager überliefert: „Du bist verrückt, mein Kind, Du musst nach Berlin. Da wo die Verrückten sind, da gehörst du hin.“ Berlin war Sinnbild dessen, was in süddeutscher Provinz, wo Heidegger als Universitätsrektor amtete, unmöglich war. Das Ehepaar Arendt/Blücher lebte sich in New York ein. 1950 bereist Hannah Europa im Auftrag einer jüdischen Organisation, um Überbleibsel jüdischen Lebens und jüdischer Kultur zu registrieren und zu sichern.

Heidegger ist jetzt kein angesehener Professor mehr, die Parteinahme für die Nazis wird ihm, als einem König des Denkens, besonders übelgenommen.

Hanna weiß nicht, ob sie ihn wiedersehen will. Durch ein Zusammentreffen im Hotel kommt es zustande. Er bittet sie in seine Wohnung, seine Frau Elfriede werde dabei sein; doch Elfriede ist nicht da, er ist mit Hannah allein. Sie schreibt ihm am Tag danach: Dieser Abend und dieser Morgen sind die Bestätigung eines ganzen Lebens…, als stünde plötzlich die Zeit stille. Da kam mir blitzartig zu Bewusstsein, was ich vorher nicht mir und nicht Dir und keinem zugestanden hätte, dass mich der Zwang des Impulses… gnädig bewahrt hat, die einzig wirklich unverzeihliche Untreue zu begehen und mein Leben zu verwirken. Aber eines sollst du wissen…, hätte ich es getan, so nur aus Stolz, dh aus purer reiner verrückten Dummheit. Nicht aus Gründen.

Sie ist jetzt eine erfolgreiche verheiratete Frau. Meisterschülerin des bedeutendsten Philosophen des zwanzigsten Jahrhunderts, wie sie ihn nannte. Sein Werk hat sie bis zu ihrem Tod betreut und verbreitet. Er sei nicht auf ein System aus gewesen, die Welt zu erklären. Heidegger ging aus von jedes Menschen Erfahrung, dass Lebewesen sterben müssen. Daraus entwickelte er Wege des Denkens, um mit der Tatsache auch eigener Endlichkeit fertig zu werden. Hannah Arendt vertrat auf der Basis ihrer theologischen Studien die Auffassung, es reiche nicht, als Individuum tapfer zu sein. Man müsse die Öffnung weltlicher Räume ermöglichen, in dem die tapferen Einzelnen miteinander sprechen, und Lösungen für Probleme suchen.

Dass mit jeder Geburt ein Neuanfang gesetzt sei, der gänzlich unerwartete Lösungen bringe, hat sie nie bezweifelt. Jesus von Nazareth habe die abendländische Ethik durch den Begriff der Vergebung bereichert. Und wer war Jesus? Ein Wanderprediger in Sandalen. Jeder Mensch könne neu anfangen, immer.

Da war nun wieder die Heidegger’sche Aufforderung: Wähle dich selbst und lebe nicht das Leben anderer. Als Hannah im März 1962 ein Schädeltrauma erlitt, fragte sie sich, ob sie noch als sie selbst weiterleben werde. Sie überprüfte ihr Gedächtnis auf Daten. Die Telefonnummer ihres Mannes. Die Geburtsdaten Martin Heideggers. Beruhigt stellte sie fest. Alles noch da.

Einem Brief, den er ihr schrieb, legte er ein Gedicht von Rilke bei. Sternenfall. Was ist verschuldet und was ist verziehn.