Rettende Ehrfurcht
Thomas Mann und sein letztes Wort an uns
Weil es das letzte Wort ist, mit dem er uns gerade noch zu erreichen hoffte,
im Jahr seines Todes, folgen einige Passagen aus seinem letzten Essay
Versuch über Schiller, S . Fischer Verlag, Frankfurt a.M., 1955
Wer den Verfasser im Ranking der deutschen Literatur hoch einordnet, wird sich gerne erinnern lassen. Wer ihn weniger schätzt, mag sich ärgern.
Was man von der Minute ausgeschlagen,
Gibt keine Ewigkeit zurück.
Schiller spreche da von einer Zeit, wo „das nahe Geräusch des Kriegs das Vaterland ängstigt, der Kampf politischer Meinungen und Interessen diesen Krieg beinah in jedem Zirkel erneuert..“
Es gehe um die Arbeit an dem stillen Bau besserer Begriffe. Arbeit am Geist der Nation, ihrer Moral und Bildung, ihrer seelischen Freiheit, ihrem intellektuellen Niveau, das sie in den Stand setze, zu gewahren, dass andere, unter verschiedenen historischen Voraussetzungen,einem verschiedenen Ideensystem, einer anderen sozialen Gerechtsame Lebende, auch Menschen sind; Arbeit an der Menschheit, welcher man Anstand und Ordnung, Gerechtigkeit und Frieden wünscht statt gegenseitiger Anschwärzung, verwilderter Lüge und speiendem Hass – das ist nicht Flucht aus der Wirklichkeit ins Müßig-Schöne, es ist bewahrender Dienst am Leben, der Wille, es zu heilen von Angst und Hass durch seelische Befreiung.
...und ohne dass die Menschheit als Ganzes sich auf sich selbst, auf ihre Ehre, das Geheimnis ihrer Würde besinnt, ist sie nicht moralisch nur, nein, physisch verloren.
Zwei Weltkriege haben, Rohheit und Raffgier züchtend, das intellektuelle und moralische Niveau (die beiden gehören zusammen) tief gesenkt und eine Zerrüttung gefördert, die schlechte Gewähr bietet gegen den Sturz in einen dritten, der alles beenden würde.
Wut und Angst, abergläubischer Hass, panischer Schrecken und wilde Verfolgungssucht beherrschen eine Menschheit, welcher der kosmische Raum gerade recht ist, strategische Basen darin anzulegen, und die die Sonnenkraft äfft, um Vernichtungswaffen frevlerisch daraus herzustellen.
Ohne Gehör für Schillers Aufruf zum stillen Bau besserer Begriffe, reinerer Grundsätze, edlerer Sitten, „von dem zuletzt alle Verbesserung des gesellschaftlichen Zustandes abhängt“, taumele eine von Verdummung trunkene, verwahrloste Menschheit unterm Ausschreien technischer und sportlicher Sensationsrekorde ihrem schon gar nicht mehr ungewollten Untergange entgegen.
Die Rede wurde zum Gedenken an Schillers Todestag gehalten – nicht von Thomas Mann selbst, er war schon zu schwach, von seiner Tochter Erika.
Friedrich Schiller. Geboren: 10. November 1759, Marbach am Neckar, Gestorben: 9. Mai 1805, Weimar
Von seinem sanft-gewaltigen Willen gehe durch das Fest seiner Grablegung und Auferstehung etwas in uns ein: von seinem Willen zum Schönen, Wahren und Guten, zur Gesittung, zur inneren Freiheit, zur Kunst, zur Liebe, zum Frieden, zu rettender Ehrfurcht des Menschen vor sich selbst.
Auszüge zusammengestellt von
Michael Molsner
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