Mittwoch, 14. August 2024

Zufall oder nicht?

Gibt es Zufälle? Manchmal zweifle ich daran. Gelegentlich einer zufälligen Entstaubung von Büchern stoße ich auf ein Vorwort, das Sartre zur deutschen Ausgabe seines Stücks „Die Fliegen“ geschrieben hat. Die Franzosen hätten nach der Schmach von Vichy, als sie sich 1942 der Besetzung durch die Wehrmacht unterwarfen, zur Mutlosigkeit geneigt. Er aber habe sie 1942 daran erinnert, dass sie noch immer die Wahl hatten, eine Zukunft in Freiheit zu wählen – wie die Deutschen, fast 20 Jahre danach. Schmachvolle Vergangenheit zu verleugnen, das komme niemals in Frage, doch sei Mutlosigkeit auch für die Deutschen die falsche Antwort darauf. Man darf sich, schreibt Sartre anderswo, nicht in die eigene Vergangenheit einschließen wie in eine Hochsicherheitszelle. Statt uns zum Gefangenen unserer Niederlagen zu machen, können wir in die Zukunft eintreten. Die Tür der Zelle ist gar nicht verschlossen, sie steht offen. Als ich meiner Frau von der scheinbar zufälligen Entdeckung berichtete, gab sie mir bedeutenden Bescheid. Wir Deutschen kehren Tag für Tag und immer wieder in die offen stehende Zelle unserer Vergangenheit zurück. Kein Tag, an dem wir dem Dritten Reich der Nazi nicht auf unseren Bildschirmen oder im Radio begegnen und alle seine Helfer kennenlernen. Wir verweigern unsere Zukunft um unserer Vergangenheit willen, die zu leugnen niemand wünscht. Es gibt eine Zukunft auch für uns Deutsche, trotz der Untaten unserer Vergangenheit, und auch für die Franzosen wieder, trotz „Vichy“.

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