Freitag, 22. März 2024

Nicht vergeben, nicht vergessen

Recht gegen Recht Von Stefan Gärtner 22.03.2024 12:10 Von Michael Molsner An leserbriefe@jungewelt.de. Dass die Mahnungen eines Linkssozialisten jetzt von der Rechten gegen die Linke eingesetzt werden können, liegt auch daran, dass die aktuellste Botschaft von Jean Améry verschwiegen wird. Er hat mit Nachdruck erklärt ("Jenseits von Schuld und Sühne"), dass er dem deutschen Volk nicht vergibt. Dass er eine Vergebung der Schuld des deutschen Volkes auch nicht plant oder diese Verweigerung etwa als psychischen Defekt empfinde und psychotherapeutisch zu "heilen" gedenke. Diese Verweigerung teilt er übrigens mit dem großen italienischen Autor Primo Levi, der als Partisan gegen die Faschisten gekämpft hat. Vergebung bedeutet nach Hannah Arendt, dem Betreffenden einen Neuanfang zuzutrauen. Weder Améry noch Levi haben von unserem Volk das geglaubt. Sie behalten recht, wir sind wieder bei denen, die kriegstüchtig werden wollen, nicht friedenstüchtig. Das wird offen und sozusagen "ehrlich" verlautbart und medial unterstützt, ja gefordert. Ich würde gerne hinzufügen, was in der jungen welt kaum eine Chance auf Veröffentlichung hat. Hannah Arendt leitet ihren Begriff von Vergebung von der Botschaft eines palästinensischen Wanderpredigers ab. Er habe die Kategorie der Vergebung in den Katalog der abendländischen Ethik eingeführt, wo diese Kategorie bis dahin nicht verbreitet oder auch nur allgemein bekannt gewesen sei. In den niedergeschriebenen Überlieferungen dieses Wanderpredigers wird die Verzweiflung seiner noch verbliebenen wenigen Schüler geschildert. Sie fragten sich, ob ihr Meister, nachdem er gekreuzigt worden war, vielleicht gelogen habe, als er von seiner Auferstehung und Wiederkunft sprach. (Die junge welt geht davon ohne weiteres aus). Dann erschien einem dieser Schüler, einem einfachen Fischer, dieser Meister in einer Vision und beauftragt ihn mit der Führung der Schülerschar. Petrus rief: Aber ich habe dich verraten! Er soll als Antwort gehört haben: Du bist der Fels, auf den ich meine Kirche baue. Ihm wurde der Neuanfang zugetraut. Ähnlich das zweite Beispiel. Ein keineswegs einfacher, vielmehr gebildeter Mann hatte sich im Dienste herrschender Kreise als Verfolger der neuen Lehre und ihrer Anhänger hervorgetan. Auf dem Weg nach Damaskus, wo er viele sogenannte Christen vermutete, die er zu vernichten dachte, erlitt er den bekannten Nervenzusammenbruch. Er hörte eine Stimme, die ihn beauftragte, in Damaskus die Christen aufzusuchen und ihnen zu erklären, er - Saulus von Tarsus - habe den Auftrag, die neue Botschaft nicht nur Juden zu bringen, sondern auch den Heiden im römischen Reich. Das war unter Christen nicht für möglich gehalten worden und überdies sehr gefährlich, weil Roms Kaiser ein Gott war und Rivalen mit Alleinstellungsanspruch kaum dulden würde. Doch Saulus übernahm den Auftrag. Er wagte den Neuanfang. Vergebung bedeutet, ich traue dir den Neuanfang zu. Wer A sagt, muss nicht B, C, D usf. sagen - man kann abbrechen und ein neues A setzen. Wir Deutschen können das nicht. We talk the talk, but we don't walk the walk. Michael Molsner, Duisburg Abonnent Homepage: http://www.michaelmolsner.de Blogs: http://presse-mike2.blogspot.com/

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